Geheimdienste: CDU/CSU sichert passgenauen Staatstrojaner-Einsatz zu
Die Opposition wirft der großen Koalition vor, mit der Quellen-TKÜ für den Verfassungsschutz & Co. Sicherheitslücken aufzureißen. Schwarz-Rot weist das zurück.
Redner der Opposition und der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich am Freitag bei der 1. Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur "Anpassung des Verfassungsschutzrechts" im Bundestag einen heftigen Schlagabtausch geliefert. "Ihre Politik ist ein Sicherheitsrisiko für Deutschland", warf Benjamin Strasser (FDP) Schwarz-Rot vor. Alexander Throm (CDU) gab die Anschuldigung postwendend an das gesamte andere Lager zurück.
Sicherheitslücken sollen offen bleiben
Mit der Initiative sollen neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundesnachrichtendienst (BND) sowie dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) auch die Verfassungsschutzämter der Länder die Befugnis erhalten, mithilfe von Staatstrojanern Messenger-Kommunikation etwa via WhatsApp, Signal oder Threema sowie Internet-Telefonate und Video-Calls mitzuschneiden und auszuwerten. Dafür seien Staatstrojaner nötig, gab Strasser zu bedenken. Die funktionierten nur, "wenn Sicherheitslücken bei den Geräten aller Deutschen offen gelassen werden".
Ein solcher Zug verursache nicht nur Milliardenverluste für die Wirtschaft, sondern stelle auch eine "Einladung für Cyberkriminelle und ausländische Nachrichtendienste" dar, befürchtete der Liberale. Die Koalition setze stur die "Seehofer-Doktrin" weiter um: "alle dürfen alles". Dies verstoße gegen das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten. Beim Anschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin hätten die Sicherheitsbehörden zudem dessen Chats gehabt, aber viel zu spät ausgewertet.
Ob Quellen-TKÜ eine Rolle spielen werde, wisse man nicht
Die Telegram-Nachrichten des Attentäters seien den hiesigen Agenten "nur durch ausländische Geheimdienste" an die Hand gegeben worden, hielt Throm dagegen. Dabei sei die FDP wohl bereit, die beklagten Angriffe auf die IT-Sicherheit in Kauf zu nehmen. Der Christdemokrat warnte: Keiner wisse, ob die geplante Befugnis zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung "bei Verhinderung des nächsten Anschlags" eine Rolle spielen könnte.
"Wir wollen verhindern, dass unsere Verfassungsschutzbehörden blind und taub in der digitalen Welt werden", warb CDU/CSU-Fraktionsvize Thorsten Frei für das Vorhaben. Es sei niemandem zu erklären, warum diese ein Handy auslesen und eine SMS ausleiten, bei WhatsApp aber nicht mitlesen dürften. Zugleich betonte der CDU-Politiker, dass seine Fraktion auch die über eine Quellen-TKÜ hinausgehende heimliche Online-Durchsuchung möglich gemacht hätte, wenn die SPD dafür zu gewinnen gewesen wäre. Bayern habe diese schon verankert. Dort hätten so "tatsächlich auch Anschlagpläne vereitelt" und "Extremisten in Haft" genommen werden können.
"Kraftvolle Antwort" auf immer mehr verschlüsselte Kommunikation
"Wir haben neuartige Bedrohungen", betonte Volker Ullrich (CSU). Der Rechtsstaat müsse sich diesen auch schon im Vorfeld annehmen und eine "kraftvolle Antwort" auf immer mehr verschlüsselte Kommunikation geben. Die Union werde aber die technische Voraussetzung sicherstellen, dass "nur der überwacht werden kann, der eine Gefahr darstellt". Die Koalition wolle die Diensteanbieter auch verpflichten, dass sie nur die Daten und Inhalte weiterleiten, die Gefährder betreffen.
Der Verfassungsschutz "muss technisch auf die Höhe der Zeit kommen", verteidigte auch Uli Grötsch (SPD) den Plan. Dieser enthalte "maßvolle Erweiterungen" der Geheimdienstbefugnisse. Die Quellen-TKÜ stelle zwar einen "schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte" dar. Sie werde aber nicht massenhaft und nicht bei unbescholtenen Bürgern eingesetzt. Zugleich kündigte er an, dass Schwarz-Rot bei der parallel verfolgten, nicht minder umstrittenen Reform des Bundespolizeigesetzes die Quellen-TKÜ auf den Bereich des Menschenhandels einschränken werde.
Das nächste "verfassungswidrige Ei"
Der von der Koalition jüngst ausgehandelte Deal gehe "zulasten der Bürgerrechte in diesem Land", monierte der Linke André Hahn. Die Anbieter müssten den vollständigen Datenstrom auf die Überwachungssysteme der Geheimdienste umleiten, die Endgeräte der Nutzer würden über Trojaner infiltriert. Dies sei ein "völlig unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff", der nicht trennscharf zu Online-Durchsuchungen abgrenzbar sei. In beiden Fällen müssten Sicherheitslücken in den IT-Systemen genutzt werden. Damit werde "die digitale Sicherheitsarchitektur aller Bürger unterlaufen".
Mit der Quellen-TKÜ lege die Regierung dem Verfassungsschutz offen das nächste "verfassungswidrige Ei ins Netz", beklagte der Grüne Konstantin von Notz. Wer die mit dem Instrument verbundene große Rechtsunsicherheit verschweige, baue einen Popanz auf. Nötig wäre eine umfassende Reform des Verfassungsschutzes des Bundes und der Länder. Vor allem die faktisch nicht-existente Kontrolle im Bereich der V-Leute "ist ein Sicherheitsrisiko ersten Ranges". Jens Maier (AfD) kritisierte, die Initiative stelle einen "weiteren Schritt dar in Richtung Totalüberwachung der Gesellschaft".
(bme)