Gen-Analyse soll Justizirrtum aufdecken

Wissenschaftler fordern die Freilassung einer verurteilten Kindermörderin, weil neue Ergebnisse einer Gen-Analyse sie entlasten sollen.

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(Bild: Louis Reed / Unsplash)

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90 hochrangigen Wissenschaftler und Ärzte, darunter der Nobelpreisträger Peter Doherty und die Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn, haben eine Petition veröffentlicht, in der sie die Begnadigung der als Kindermörderin verurteilten Australierin Kathleen Folbigg fordern. Folbigg wurde 2003 vor einem australischen Gericht für schuldig befunden, ihre vier kleinen Kinder erstickt zu haben. Sie wurde zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Fall erregt in der australischen Öffentlichkeit großes Aufsehen. Folbigg beharrte auf ihrer Unschuld. Neben der Tatsache, dass der Richter eine natürliche Ursache für die vier Todesfälle für ausgeschlossen hielt, beruhte das Urteil auf Passagen aus den Tagebüchern der Angeklagten.

In der Petition berufen die Experten sich nun jedoch auf eine Genanalyse, die belegt, dass sowohl die Mutter als auch zwei ihrer Kinder einen Gendefekt aufweisen, der zu plötzlichem Herztod führen kann. Die Mutationen des CALM2-Gens sei eine der bekanntesten Ursachen für den plötzlichen Herztod, sowohl im Wachzustand als auch im Schlaf, bei Säuglingen und Erwachsenen, argumentieren sie. Die Entscheidung, Folbigg zu begnadigen, liegt nun beim Gouverneur des Bundesstaates New South Wales.

Dass Wissenschaftler sich derartig massiv in Gerichtsurteile einmischen, ist selten, aber nicht völlig ausgeschlossen. Der aktuelle Fall erinnert an die Auseinandersetzung um die Verurteilung von Sally Clark, die von der Royal Statistical Society geführt wurde.

Clark wurde 1999 wegen Mordes an ihren beiden Kindern verurteilt. Die RSS kritisierte jedoch, dass ein Experte die Wahrscheinlichkeit, die Todesfälle könnten eine natürliche Ursache gehabt haben mit 1 zu 73 Millionen falsch berechnet hatte. Der Fehler: Der Experte war davon ausgegangen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass beide Kinder eines natürlichen Todes gestorben waren, sich durch Multiplikation der Einzelwahrscheinlichkeiten berechnen ließe. Das ist jedoch nur dann richtig, wenn beide Ereignisse unabhängig voneinander sind. Falls es jedoch eine medizinische Ursache für den ersten Todesfall gebe, müsse man mit bedingten Wahrscheinlichkeiten rechnen, argumentierten die Statistiker.

Zudem hätte das Gericht nicht nur die – extrem kleine – Wahrscheinlichkeit für zwei natürliche Todesfälle berechnen müssen, sondern diese auch mit der Wahrscheinlichkeit vergleichen, dass eine Mutter ihre beiden Kinder im Abstand von einigen Jahren ermordet. Der Fall gilt heute als Lehrbuch-Beispiel für die sogenannte Prosecutors Fallacy, den "Irrtum des Anklägers". Clark wurde 2003 im zweiten Berufungsverfahren freigesprochen. (wst)