Gerichtsentscheidung in Videoblogstreit: Auch "schwul" kann Beleidigung sein
Kann jemand, der in einem Instagram-Storyclip als "schwul" tituliert wird, Unterlassung verlangen? Das OLG Köln sagt: Es kommt auf den Zusammenhang an.
Das Adjektiv "schwul", früher eindeutig negativ konnotiert, ist seit Jahren innerhalb der queeren Community zur mit Stolz getragenen Selbstbezeichnung umgewertet worden. Darf man also jemanden heute grundsätzlich einfach als "schwul" bezeichnen, der das selbst nicht tun würde? Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat Ende April entschieden, dass der Begriff durchaus auch heute eine Beleidigung darstellen kann. Wer ihn also beispielsweise in Dissing-Videos abfällig gegenüber konkreten Personen fallen lässt, verstößt damit gegen § 185 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB). Zudem macht er sich zivilrechtlich unterlassungspflichtig.
"schwul" und "Bastard"
Im Hintergrund der gerichtlichen Auseinandersetzung, um die es im konkreten Fall geht, steht eine Dauerfehde zwischen den Social-Media-Szenefiguren A.B.K und KuchenTV.
A.B.K (bürgerlich Abdelhalim Bouhmidi, 30), der sich selbst als "krassesten YouTuber Deutschlands" bezeichnet, hatte in einer seiner zahlreichen Instagram-Stories einen Unbekannten auftreten lassen, der KuchenTV (bürgerlich Tim Heldt, 27, aus Braunschweig) als "schwul" und "Bastard" bezeichnete. Der solchermaßen Adressierte ging rechtlich dagegen vor. Das Landgericht (LG) Köln urteilte zunächst, dass die Beschimpfung „Bastard“ den Tatbestand einer Beleidigung erfülle, die Titulierung als „schwul“ hingegen nicht.
Das in der zweiten Instanz mit der Sache befasste OLG sah die Frage jedoch differenzierter und entschied am 26.4.2022, dass es sehr wohl eine Beleidigung darstellen könne, jemanden als "schwul" zu bezeichnen (Az. 15 W 15/22, noch nicht veröffentlicht). Es komme – wie immer im Äußerungsrecht – auf den Zusammenhang an.
Entscheidend ist die Wahrnehmung des Rezipienten
Entscheidend ist bei einer Veröffentlichung auf einem Social-Media-Kanal die Wahrnehmung des durchschnittlichen Rezipienten, in diesem Fall also eines Instagram-Nutzers. Der, so das OLG, verstehe "schwul" im gegebenen Fall aber klar als Beleidigung – schon weil nur wenige Sekunden später im Video die Bezeichnung "Bastard" fiel, die eindeutig beleidigend sei. Ob es in dem Zusammenhang überhaupt um eine (unwahre) Tatsachenbehauptung über die sexuelle Orientierung des Kontrahenten gehe oder allein um ein negatives Werturteil, könne dahinstehen: Immerhin war aus den veröffentlichten Videoblogs von KuchenTV bereits eindeutig hervorgegangen, dass dieser in einer heterosexuellen Beziehung lebte.
Aber die Richter machten sich die Mühe, auch die Bedeutung von "schwul" abseits von der sexuellen Aussage zu erhellen. Nach dem Duden, so ihre Argumentation, bedeute der Begriff jugendsprachlich auch "schlecht, unattraktiv und uninteressant" in einer Weise, die "Verdruss, Ärger, Ablehnung" hervorrufe. Seine Verwendung in diesem Sinne gelte somit als diskriminierend und sei von Rechts wegen zu unterlassen. Was die von A.B.K geltend gemachte Meinungsfreiheit betrifft, so sei diese gegen das Persönlichkeitsrecht seines Kontrahenten abzuwägen. Letzteres wiege schwerer. Die umstrittene Äußerung genieße auch kein Privileg als Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.
Durch den Einbau in seinen als Videocollage angelegten Instagram-Storyclip hat A.B.K sich die fraglichen Äußerungen zu eigen gemacht, so das Gericht. Er muss sie künftig unterlassen, auch in der vorliegenden Form. Dr. René Rosenau, Rechtsanwalt bei der Kölner Rechtsanwaltskanzlei Höcker, die KuchenTV in dem Prozess vertrat, hat dem Onlinemagazin LTO zufolge die OLG-Entscheidung wie folgt kommentiert: "Es gibt leider immer noch genug Vorgestrige, die Worte wie 'schwul', 'behindert' oder 'Jude' als Beleidigung verwenden ... Solche Personen darf man mit ihrer menschenfeindlichen Einstellung aber nicht davonkommen lassen, indem man ihr Verhalten sanktionslos stellt."
(psz)