Gigabitausbau: Marathonlauf mit Hürden und Ritt auf der Rasierklinge​

Digitalminister Wissing sieht nach einem Jahr Gigabitstrategie alles im Plan, doch nicht nur die "Riesenlücke" bei der Glasfaserversorgung sorgt für Kritik.

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Gruppenbild mit Minister: Markus Haas, Srini Gopalan, Andreas Pfisterer, Volker Wissing, Moderatorin Kerstin Stromberg-Mallmann, Philippe Rogge, Ralph Dommermuth (v.l.)

(Bild: Krempl)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Bundesregierung und führende Telekommunikationsunternehmen beurteilen die Fortschritte beim Glasfaserausbau und der Mobilfunkversorgung unterschiedlich. "Wir sind im Plan", freute sich Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP) am Dienstag auf der Festveranstaltung seines Hauses zu einem Jahr Gigabitstrategie in Berlin. Es gebe "überhaupt keinen Grund" daran zu zweifeln, dass Staat und Wirtschaft die gesetzten Ziele erreichten. Andreas Pfisterer, Chef der Deutschen Glasfaser, monierte dagegen: "Wir sind hintendran, gerade im europäischen Vergleich." Bei der Glasfaserversorgung gebe es eine "Riesenlücke".

Laut der Gigabitstrategie sollen bis 2025 die Hälfte und bis 2030 alle Haushalte mit Glasfaser und 5G versorgt werden können. Momentan stehe diese Quote bei 30 bis 35 Prozent, gab Pfisterer zu bedenken. Nur acht bis zehn Prozent der Haushalte seien tatsächlich ans Glasfasernetz angeschlossen beziehungsweise nutzten es auch. Angesichts viel weiterer Fortschritte etwa in den baltischen Staaten "müssen wir eine gehörige Portion Tempo vorlegen". Die letzten zehn Prozent seien bei einem solchen Kraftakt zudem immer das Schwierigste, zumal der Überbau der Deutschen Telekom "besorgniserregend" sei.

Srini Gopalan, Vorsitzender der Geschäftsführung Telekom Deutschland, stimmte mit Pfisterer überein, dass es sich um einen "Marathonlauf mit Hürden" handle, der einen "langen und tiefen Atem" erfordere. Sein deutsches Lieblingswort sei "Genehmigungsverfahren", verwies er auf bürokratische Hindernisse. Die Telekom sei trotzdem auf einem guten Weg und werde bis 2024 zehn Millionen Familien und Unternehmensstandorte mit Glasfaser versorgen können. Eine große Möglichkeit sieht er darin, künftig stärker auf alternative, mindertiefe Verlegungsmethoden zu setzen: "Wir können in etwa 30 bis 50 Prozent der Straßen damit arbeiten."

Als ein Erfolg der Gigabitstrategie gilt die Fertigstellung der DIN 18220 für solche Trenching-, Fräs- und Pflugverfahren im Glasfaserausbau, die Wissing vor Ort strahlend in Empfang nahm. Sie soll helfen, bestehende Vorbehalte bei Kommunen und Genehmigungsbehörden abzubauen. In vielen Gemeinden habe es hier noch offene Haftungsfragen gegeben, erklärte der Minister. Er betonte: "Wir müssen alle Mittel und Beschleunigungsoptionen im rechtlichen Bereich nutzen."

"Wir müssen noch ambitionierter werden", gab Markus Haas, Chef der Telefónica Deutschland, als Parole aus. Bei der 5G-Abdeckung sei Deutschland mit über 80 Prozent zwar europaweit führend, doch dauere es im Durchschnitt 260 Tage, um einen Mobilfunkstandort auf Basis des alten rechtlichen Verfahrens zu bauen. 1500 Antennen seien allein bei Telefónica derzeit im Verfahren.

Die Branche fordert, dass solche Standardbauvorhaben, bei denen mit der Genehmigung zu rechnen ist, schon beginnen können, während das Verfahren noch läuft. Dazu liefen in einzelnen Länder bislang nur stockende Gesetzesinitiativen, monierte Haas. Nach Plänen der EU-Kommission sollen Anträge, die nicht innerhalb von vier Monaten von den Behörden beantwortet werden, stillschweigend als bewilligt gelten.

An die Bundesregierung appellierte Haas, die Spielregeln nicht "während des Laufs" zu ändern. Ein Großteil der aktuellen Mobilfunkfrequenzen sei bis 2040 vergeben. Teil der Bedingungen der Auktion sei ein "Verhandlungsgebot für Diensteanbieter" gewesen. Sollten Wettbewerber wie 1&1 nun "doch zwingend Zugang" zu den eigenen Netzen bekommen, seien die Ausgaben für die Frequenzen nicht mehr refinanzierbar. Dann müsste die Politik prinzipiell auch "die Versteigerung rückabwickeln".

"Das Verhandlungsgebot ist vollkommen gescheitert", hielt Ralph Dommermuth, Chef von United Internet und dem Mobilfunkneueinsteiger 1&1, dagegen. An der umstrittenen Diensteanbieterverpflichtung führt ihm zufolge "gar kein Weg vorbei". Regionalanbieter würden sonst verschwinden, "wenn sie weiter aus Mobilfunk herausgehalten werden". Im Rahmen der nächsten Frequenzvergabe dürfe die Bundesnetzagentur zudem neue Bedingungen stellen, die jeder einpreisen könne. Darüber hinaus kritisierte auch Dommermuth den Überbau von Glasfasernetzen durch die Telekom.

Ein Anbieter, der auf der grünen Wiese anfange, hat Dommermuth zufolge aber auch Vorteile. 1&1 setze auf den Standard Open RAN mit einer offenen, herstellerunabhängigen Infrastruktur, die zu einem "Leuchtturm in Europa" werden könne. Damit sei "das ganze Netz software-isiert", was die Zukunft des Mobilfunks darstelle. Kern des Ansatzes sei es, nicht alles bei einem Hersteller zu bestellen. Dies mache "unabhängig von Innovationszyklen der Ausrüster". Der Einsteiger räumte aber auch ein, dass Open RAN "keine einfache Geschichte" sei. Die Schwierigkeit bestehe darin, "alles kompatibel" zu bekommen.

Einig waren sich die Chefs von Telekom und Telefónica mit ihrem Kollegen von Vodafone Deutschland, Philippe Rogge, dass die auf EU-Ebene debattierte Big-Tech-Kostenbeteiligung am Netzausbau nötig sei. Dieser "Fair Share"-Vorschlag werde hierzulande missverstanden, beklagte Haas. "Es geht nicht um Netzneutralität. Wir behandeln jedes Datenpaket gleich." Sollte die Infrastrukturabgabe nicht kommen, müssten "die Verbraucher in Deutschland die Zeche zahlen".

"Vielen Dank, dass der Netzausbau so dynamisch läuft", bedankte sich Wissing beim versammelten Who is Who der Branche. Die Unternehmen "leisten großartige Arbeit", während die Politik für "passende und verlässliche Rahmenbedingungen" sorge. "Ganz ohne den Staat geht es nicht, auch wenn wir den eigenwirtschaftlichen Ausbau wollen", weiß der Liberale. Gerade die im März aufgelegte Förderrichtlinie 2.0, mit der auch der Ausbau in "dunkelgrauen Flecken" ohne Gigabitfähigkeit finanziell unterstützt werden könne, stelle einen "Ritt auf der Rasierklinge" dar, da man hier in "Grenzbereichen" arbeite.

Der Branchenverband VATM zog vorab eine durchwachsene Bilanz: Der Zeitplan sei von Anfang an "ambitioniert" gewesen. "Durch die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung ist es noch herausfordernder geworden, diese Ziele zu erreichen", erklärte VATM-Präsident David Zimmer. Umso dringender seien jetzt die richtigen Rahmenbedingungen, wo noch "viel Luft nach oben" sei. Etwa auf die notwendigen Beschleunigungen im Baurecht und bei der Genehmigungspraxis warte die Branche nach wie vor. Der VATM vermisst zugleich "eine bessere Förderpriorisierung" mit einer sinnvollen Verknüpfung zwischen eigenwirtschaftlichem und gefördertem Ausbau.

Zusammen mit dem Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) kritisiert der VATM den Überbau scharf. Die Bundesnetzagentur und das BMDV wollen hier nun gegensteuern. Der Breitbandverband Anga, der vor allem Kabelnetzbetreiber versammelt, lobt insbesondere die neue Förderrichtlinie. Er fordert aber "einen noch stärkeren Vorrang des eigenwirtschaftlichen Ausbaus und den Schutz privater Investitionen". Ein Meilenstein sei die Standardisierung alternativer Verlegemethoden.

(vbr)