Gutachten: Bundesregierung verfehlt CO2-Einsparziel trotz Klimapaket
Forscher attestieren zwei Ministerien, dass Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um nur 50 – statt geplanten 55 – Prozent mindern kann.
Jetzt hat es die Bundesregierung schwarz auf weiß: Wie von Kritikern ihres Klimaschutzprogramms bereits befürchtet, reichen die darin bisher beschlossenen Maßnahmen noch nicht aus, um den CO2-Ausstoß bis 2030 planmäßig um mindestens 55 Prozent zu senken. Mit dem Klimapaket in seiner jetzigen Form wird es nur gelingen, dass die Bundesrepublik ihre Treibhausgasemissionen um 51 Prozent gegenüber 1990 zu mindern. Das geht aus einer Studie des Öko-Instituts für das Bundesumweltministerium hervor.
Dem Ziel näher
Ein parallel vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten wartet mit dem nicht viel besseren Ergebnis auf, dass der CO2-Ausstoß mit den eingeleiteten Instrumenten um 52 Prozent sinken könnte. Ohne das Schutzprogramm, auf das sich die große Koalition im Herbst nach monatelangem Ringen verständigt hatte, würde Deutschland laut der am Donnerstag veröffentlichten Kurzfassung der Analyse für das Umweltministerium nur um 41 Prozent mindern können. 2019 waren nach ersten Schätzungen rund 35 Prozent geschafft, die Marke für 2020 liegt bei voraussichtlich ebenfalls nicht haltbaren 40 Prozent.
Laut der Untersuchung des Öko-Instituts besteht vor allem in den Sektoren Verkehr und Gebäuden zusätzlicher Handlungsbedarf. Im Bereich Mobilität wird demnach bis 2030 weniger als die Hälfte der notwendigen Einsparungen erreicht, die "Treibhausgasminderungslücke" beträgt dort schätzungsweise 33 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2030. Im Gebäudesektor, wo fürs Heizen und Warmwasser viel Energie verbraucht wird, soll die Lücke im Stichjahr rund die Hälfte davon betragen.
Für die Resultate haben die Gutachter prozessbasierte Energiesystem- beziehungsweise Ausstoßberechnungsmodelle verwendet. Darin werden die energiebedingten Emissionen aus den einzelnen Sektoren ermittelt und dabei die im Klimapaket beschlossenen Maßnahmen berücksichtigt. Schätzungen für die Entwicklung der nicht-energiebedingten Emissionen etwa aus der Landwirtschaft oder industriellen Verarbeitungsprozessen sind enthalten. Die Energienachfrage- und CO2-Emissionsentwicklung haben die Forscher dann in ein übergeordnetes Modell integriert, in dem auch Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Sektoren berücksichtigt werden können. So wirkt sich zum Beispiel die gesteigerte Stromnachfrage durch mehr E-Fahrzeuge und den Einsatz von Wärmepumpen auf die Stromerzeugung aus.
"Noch weitere Maßnahmen nötig"
Das Schutzprogramm "bringt deutlich mehr, als viele glauben", erklärte Umweltministerin Svenja Schulze. "Das Gute ist: In den Bereichen, wo sich die Politik bereits erfolgreich gekümmert hat, liegen wir weitgehend auf Kurs, etwa in der Industrie oder beim Kohleausstieg." Zur Ehrlichkeit gehöre aber auch, "dass noch weitere Maßnahmen nötig sind, um die noch fehlenden Prozentpunkte zu schaffen".
Vor allem im Verkehrsbereich sei "noch viel zu tun", mahnte die SPD-Politikerin. "Die neuen Zahlen geben uns hier deutliche Warnsignale." Das Klimakabinett werde da "jetzt wieder zusammenkommen" und nachbessern müssen. Zugleich begrüßte Schulze Gedankenspiele der EU-Kommission, wonach die Mitgliedsstaaten im Interesse der für 2050 angestrebten Klimaneutralität den Treibhausgasausstoß bis 2030 um über 55 Prozent senken müssten. Auch für Deutschland bedeute dies: "Wir müssen was drauflegen."
Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer räumte Nachholbedarf ein. Er sieht noch Luft nach oben etwa bei einer "verbindlichen Beimischquote von nachhaltigem Kerosin" in der Luftfahrt, einem dichten Lade- und Tanknetz für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben inklusive Wasserstoff und den Ausbau des Bahnangebots zwischen europäischen Metropolen. Ein Tempolimit auf Autobahnen lehnt der CSU-Politiker trotz eines recht hohen CO2-Einsparpotenzials weiter ab.
"Weg frei für Windkraft"
Die Gutachten zeigten, dass die Regierung auf den Ernst der Lage nicht angemessen reagiere, monierte die Klima-Allianz Deutschland. Greenpeace sprach von "Dokumenten des klimapolitischen Scheiterns". Dies sei aber absehbar gewesen, da die Vorschläge von Scheuer "hinten und vorne" nicht reichten. Dem Klimapaket war zuvor attestiert worden, dass der eingeführte CO2-Preis zu niedrig, die erweiterte Pendlerpauschale zu hoch sei.
"Das 2020-Ziel haben wir als einziger Sektor erreicht", fühlt Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), den Kurs der Branche von den Studien bestätigt. Innerhalb der letzten 30 Jahre sei es hier gelungen, die CO2-Emissionen um 44 Prozent zu senken. "Gleichzeitig unterstützen wir mit einem wachsenden Erneuerbaren-Anteil alle anderen Sektoren dabei, ebenfalls ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren: kein grüner Wasserstoff, keine klimafreundliche Mobilität ohne Erneuerbare Energien."
Um die Ziele für 2030 erreichen zu können, sieht Andreae aber die Regierung am Zug: "Weg frei für Windkraft an Land und auf See", forderte sie. Zudem müsse der 52-Gigawatt-Deckel für Photovoltaik-Anlagen aufgehoben werden. Die Energieunternehmen bräuchten hier die richtigen Rahmenbedingungen. Ferner gelte es, "gemeinsam vor Ort für die Energiewende zu werben und Akzeptanz zu schaffen". (mho)