Fachkräfte​: "Russische ITler sind clever"

Aufgrund der Teilmobilmachung verlassen Hunderttausende wehrpflichte Russen ihr Land. Darunter sind auch IT-Fachkräfte. Sind sie eine Chance für Deutschland?

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(Bild: kb-photodesign/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg

Headhunter für Fachkräfte aus Osteuropa: Roman Remel.

Roman Remel, 39, lebt seit seinem zwölften Lebensjahr in Deutschland. Geboren ist er im Kaukasus, nahe Sotschi am Schwarzen Meer. Er hat ein Masterstudium im Personalwesen in Glasgow abgeschlossen und ist seit etwa zehn Jahren Headhunter. Er sucht im Auftrag von deutschen Unternehmen Fach- und Führungskräfte, darunter auch IT-Personal, in Russland und anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks für Firmen in Deutschland oder deren Niederlassungen in diesen Ländern. Remel kennt die Russen gut. Mit ihm haben wir darüber gesprochen, ob russische IT-Fachkräfte zur deutschen Mentalität passen.

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Scharen von Männern im wehrpflichtigen Alter verlassen Russland, weil sie nicht als Soldaten in den Krieg gegen die Ukraine ziehen wollen. Wie beurteilen Sie die Situation: ist das ein temporärer Exodus oder eine dauerhafte Flucht?

Wenn sich diese Männer in Europa etablieren, werden nicht mehr viele in ihre alte Heimat zurückgehen. Es sei denn, die Regierung und das Regime wird komplett ausgetauscht. Neben der politischen muss die wirtschaftliche Situation so sein, dass sie den Menschen verlässliche Stabilität und eine positive Zukunft bietet. Nur dann kehren sie zurück.

Unter den jungen Männern sind bestimmt viele IT-Fachkräfte. Der Bitkom hat die Politik auffordert, gezielt IT-Fachkräfte aus Russland nach Deutschland zu holen und eine erleichtere Einwanderung für diese Personengruppe einzuführen. Ist das legitim oder eine Notsituation ausgenutzt?

In der aktuellen Lage würde das Programm für beide Seiten zu einer Win-Win-Situation führen. Die geflüchteten russischen IT-Fachkräfte dürften rasch regulär arbeiten und die Unternehmen hätten zumindest einen Teil ihrer offenen Positionen besetzt. Ich sehe in diesem Vorschlag nichts Negatives.

Manch andere schon. Sie befürchten, dass ein solches Programm von russischer Seite zur Spionage und Sabotage in deutschen Unternehmen und IT-Systemen genutzt werden könnte.

Meine Auftraggeber haben solche Befürchtungen noch nie geäußert. Sie haben aber Bedenken, ob die osteuropäischen Beschäftigten untereinander klar klarkommen. Die Vermutung, dass Ukrainer nicht mit Russen in einem Team sein wollen, ist naheliegend.

Es heißt, Menschen aus Drittstaaten, also nicht EU-Ländern, hätten hohe bürokratische Hürden zu nehmen, um in Deutschland arbeiten zu dürfen. Dazu zählen lange Bearbeitungszeiten und hohe Anforderungen an Deutschkenntnisse. Wie ist Ihre Erfahrung?

In allen meinen Aufträgen war das kein großer bürokratischer Akt und die Verfahren liefen ziemlich zügig ab, soviel ich mitbekommen habe. Denn um die organisatorischen Dinge kümmern sich die Unternehmen selbst. Mein Auftrag endet, wenn der Arbeitsvertrag unterschrieben ist.

Ist Deutschland ein attraktives Land für russische Fachkräfte?

Russen mögen die Tugenden der Deutschen, allen voran deren Verlässlichkeit. Ich meine auch, dass in Deutschland die meisten russischsprachigen Menschen außerhalb Russlands und den anderen Ländern der Gemeinschaft unabhängiger Staaten leben. Nicht zu einer Minderheit in einem fremden Land zu gehören, macht Deutschland für diese Menschen attraktiv. Gegenüber angelsächsischen Ländern hat Deutschland allerdings den Nachteil, dass hier selten gut Englisch gesprochen wird. Deutsch zu lernen ist sehr schwierig, aber das schaffen die Russen, auch weil viele deutsch in der Schule gelernt haben.

Beschreiben Sie bitte den Typ russische Fachkraft.

Ich führe sehr viele Interviews mit Menschen aus vielen Ländern und muss daher ganz klar sagen: Russen sind clever. Dieser Eindruck bestätigt sich mir in fast allen Vorstellungsgesprächen. Ich spreche mit den Russen bewusst Englisch, denn wenn man dieselbe Sprache spricht wie sie und sie deshalb darauf schließen, dass man dieselbe Mentalität hat wie sie, ist man zügig per Du und auf einer persönlichen Ebene. Mit Englisch versuche ich die Distanz zu wahren. Russen sind gut ausgebildet, können improvisieren, krempeln die Ärmel hoch und packen an.

Sind sie loyal gegenüber ihrem Arbeitgeber?

Das ist sehr schwierig für sie. Russen haben kein Sicherheitsdenken und planen keine Karrieren über Jahre hinweg in einem Unternehmen. Sie sind auch nicht so vernünftig und geduldig wie die Deutschen. Russen sind dynamisch und wenn ein anderes Unternehmen mit einem besseren Angebot wirbt, sind sie ganz schnell weg. Deshalb ist die Fluktuation in Russland hoch.

Was erwarten russische Fachkräfte von ihrem Job und was sind sie bereit zu geben?

Als Erstes muss das Geld passen. Dann mögen Russen gerne ein freundliches, familiäres Arbeitsklima. Sie wollen als Menschen wahrgenommen werden. Wenn sie das vorfinden, sind sie auch bereit, viel zu geben. Überstunden sind kein Problem für sie, das kennen sie aus Russland nur allzu gut.

Sie suchen in mehreren russischen Regionen nach Fachkräften, darunter in St. Petersburg und Moskau, Nowosibirsk und Wladiwostok. Unterscheiden sich diese Menschen in ihrer Mentalität?

Zwischen den einzelnen Regionen sind die kulturellen Unterschiede in Russland sind nicht so groß wie in Deutschland, obwohl sie Entfernungen bis zu 10.000 Kilometer trennen. Russland ist zentral geprägt und nicht wie Deutschland von Föderalismus. Russen sagen häufig, dass Moskau und St. Petersburg nicht Russland sei, der überwiegende Teil der Bevölkerungen zugezogen ist. Die europäischsten Menschen sind die aus St. Petersburg, das kann man schon allein bei Recherchen auf Linkedin anhand der Kleindung auf den Fotos der Menschen feststellen. Die Menschen aus Nowosibirsk sind schon ganz anders. Sie sind nahe an China und haben eine asiatische Mentalität. Außerdem ist die Region viel ländlicher geprägt als die von Moskau und St. Petersburg. Mit Bewerbern aus Wladiwostok habe ich keine Erfahrung.

Was war ihr überraschendstes Erlebnis bei der Besetzung einer Stelle mit einem Russen?

Ich habe für ein deutsches Unternehmen in Russland einen russischen Geschäftsführer gesucht. Dem Vorgänger wurde gekündigt, weil er parallel zwei Geschäftsführerjobs hatte. Er dachte sich: wenn ich den einen Job in vier Stunden schaffe, dann kann ich mir doch einen zweiten suchen. Solche Geschichten kann man mit Russen erleben, mit Deutschen ist das ausgeschlossen. Russen nehmen manche Dinge nicht so ganz genau. Das ist typisch für sie.

(axk)