Im Nachtzug durch Europa: Verwirrung zwischen DB, ÖBB und MÀV
Die Eisenbahn soll einen gewichtigen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Doch bei Strecken durch mehrere Länder gibt es noch Probleme.
Ein ICE steht ausnahmweise am Bahnhof Twistringen.
(Bild: heise online / anw)
- Tim Gerber
Mehr Zugverkehr auf der Langstrecke soll die Weichen für klimafreundlichere Mobilität stellen. Wichtiger Baustein dafür sind Nachtzugverbindungen zwischen europäischen Großstädten, die Flüge ersetzen können. Dass das nicht immer reibungslos klappt, hat c't-Redakteur Tim Gerber erfahren müssen.
Die E-Mail kam pünktlich zur Abfahrtszeit des Zuges um exakt 19:40 Uhr. Doch ihr Inhalt war eher verwirrend: "Leider können wir Sie wegen eines technischen Problems aktuell nicht über eventuelle Änderungen zu Ihrer Verbindung EN 40476 informiert halten. Möglicherweise hat sich der Fahrplan verändert. Bitte informieren Sie sich daher online über den aktuellen Fahrplan", schrieben mir die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) am 10. Juli.
Tatsächlich hatte ich bei dem Unternehmen eine Reise im Liegewagen nach Berlin gebucht: Abfahrt 19:40 Uhr vom Westbahnhof in Budapest. Aber erst für den 31. Juli, also drei Wochen später. Die Suche nach zutreffenden Informationen gestaltete sich schwierig. Die Informationssysteme der ungarischen und der österreichischen Staatsbahn förderten unterschiedliche Informationen zu ein und demselben Zug zutage: Mal sollte er wie geplant um 19:40 Uhr am Westbahnhof starten, ein anderes Mal bereits um 19:01 Uhr vom Ostbahnhof der ungarischen Hauptstadt, ein drittes Mal gar von einer Vorortstation.
Die direkte Information von Reisenden über ihr Smartphone – bei Fluggesellschaften und im innerdeutschen Bahnverkehr inzwischen eine Selbstverständlichkeit – stellt die europäischen Bahngesellschaften bei grenzüberschreitenden Verbindungen offenbar vor größere Herausforderungen. Kundenfreundliche IT-Lösungen sind hier nicht in Sicht. Dabei wären sie dringend nötig, wenn die Bahn das Flugzeug auf möglichst vielen Strecken ersetzen soll.
Täglich grüßen die ÖBB
Die Warnmail kam nun täglich stets um 19:40 Uhr. Ich fragte bei der Pressestelle der ÖBB, wann das darin erwähnte technische Problem denn behoben wird, aufgrund dessen sie ihre Kunden nicht über eventuelle Änderungen informieren könnten. Darauf teilte ein Konzernsprecher mit, es gebe gar kein solches Problem. Die konkrete Verbindung werde allerdings von der ungarischen Staatsbahn MÀV angeboten. Durch umfangreiche Änderungen an der Verbindung könne diese vom System der ÖBB nicht mehr überwacht werden, hieß es in der Stellungnahme weiter.
Gekauft hatte ich das Ticket aber bei den ÖBB. Denn über das System der Deutschen Bahn (DB) findet man zwar so ziemlich alle europäischen Nachtzugverbindungen. Buchen kann man sie dort allerdings nicht. Der Versuch endet stets mit dem Hinweis, man möge einen Fahrkartenschalter im Bahnhof aufsuchen. Mitreisende berichteten mir allerdings, man habe sie von Bahnhof zu Bahnhof durch ganz Berlin geschickt, um am Ende am Hauptbahnhof mitzuteilen, dass der gewünschte Zug bereits ausgebucht sei.
Auf die Buchungsmöglichkeit für Nachtzüge über die ÖBB weist das System der DB die Kunden nicht hin. Verbindungen am Tage kann man dort quer durch ganz Europa in einem Rutsch buchen, beispielsweise von Hannover ins ostungarische Nyíregyháza. Will man für diese Reise hingegen den bequemen Nachtzug nutzen, der jeden Abend von Berlin nach Budapest fährt, muss man alle Tickets einzeln über die Portale der verschiedenen Bahnen kaufen.
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Der Zug war pünktlich
Fragen nach den technischen Ursachen für all diese unterschiedlichen Buchungsmöglichkeiten beantworten die Bahnen zögerlich oder gar nicht. Die ÖBB reagierte überhaupt nicht mehr auf Nachfragen dazu. Seitens der DB hieß es nur, man könne technische Hintergründe mangels personeller Ressourcen nicht im Detail erläutern. Eine Schwierigkeit besteht nach Aussagen der Bahn-Sprecherin wohl darin, dass es zwar für Tickets auf Sicherheitspapier seit langem internationale Standards gibt, für digitale Tickets bislang aber nicht.
Im für Verkehr und Digitales zuständigen Bundesministerium von Volker Wissing (FDP) scheint die Digitalisierung des innereuropäischen Bahnvertriebssystems keine sonderliche Priorität zu genießen. Einen genaueren Überblick über die dahingehenden Projekte der bundeseigenen Bahnunternehmen hat man dort offenbar nicht. In Brüssel seien dazu mehrere europäische Regulierungsvorhaben in Arbeit, an denen das Ministerium beteiligt sei, heißt es auf Nachfrage zögerlich. Die Bitte um Details dazu bleibt unbeantwortet, auf eine allgemeine Interview-Anfrage seitens c’t Anfang des Jahres hat das Ministerium bis heute nicht reagiert.
Die DB teilte auf mehrfaches Nachfragen immerhin mit, sich im Rahmen des "Open Sales and Distribution Model" (OSDM) mit den anderen europäischen Bahnen und Vertriebsdienstleistern auf einen gemeinsamen Branchenstandard für den technischen Meldungsfluss zwischen den einzelnen Inventar- und Vertriebssystemen geeinigt zu haben. Dabei seien auch Inhalte und Optionen berücksichtigt worden, um zukünftig alle Angebote aus nationalen Vertriebssystemen wie zum Beispiel der MÁV leichter für internationale Vertriebspartner (also die DB) zugänglich zu machen.
Verbindungen, die nur durch Nutzung verschiedener Preissysteme buchbar seien, wie etwa jene Kombination aus dem Nachtzug von Berlin nach Budapest und einem Tageszug von Budapest nach Nyíregyháza, sollen dann in jeglichen Kombinationen in einem Buchungsvorgang verfügbar sein. Zu guter Letzt beabsichtige man Ticketing- und Kontrollprozesse für digitale Fahrkarten der einzelnen europäischen Bahnen weiter anzugleichen, teilte eine Sprecherin des Konzerns auf Anfrage von c’t mit. Konkrete Zeitpläne dafür gibt es aber offenbar nicht.
Die E-Mail mit den möglichen Änderungen erreichte mich weiterhin täglich, stets pünktlich um 19:40 Uhr. Am Abreisetag selbst kam bereits um 13:40 Uhr dann die letzte Mail. Der Zug fuhr wie geplant pünktlich um 19:40 vom Westbahnhof ab.
(tig)