Imagine Cup 2009: Käfer für eine bessere Welt

Heute beginnen in Kairo die Finalrunden in dem von Microsoft ausgerichteten Studenten-Wettbewerb Imagine Cup.

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Von
  • Detlef Borchers

Microsofts Chief Software Architect Ray Ozzie bei der Eröffnung des Imagine-Cup-Finales 2009

(Bild: Detlef Borchers)

Heute beginnen in Kairo die Finalrunden in dem von Microsoft ausgerichteten Studenten-Wettbewerb Imagine Cup. 15 Teams treten in den Sparten Game Development, Embedded Design und Software Design an, um den Sieger zu ermitteln. Insgesamt 108 Teams mit 444 Studenten aus 124 Ländern reisten dafür in die ägyptische Metropole. Das deutsche Team The Liaisoners schied bereits in den Vorrunden aus.

Der Imagine Cup, den Microsoft für Informatik-Studenten ausrichtet, ist vor allem ein logistisches Spektakel. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen zwischen den Präsentations-Ständen und den Räumen, in denen die Teams ihre Ideen der Jury vorstellen. 20 Minuten hat jedes Team Zeit, danach kommen kurze Fragen, ehe die Jury in den nächsten Raum weiterzieht. Besonders die Bastler vom Embedded Design brauchen bis zu zwei Stunden, ehe der entscheidende Auftritt beginnen kann. Wer es ins Finale geschafft hat, hat diese Prozedur mindestens vier Mal wiederholt.

Im siebten Jahr seines Bestehens ist der Imagine Cup thematisch auf die Millenium Goals der UN ausgerichtet. Sie sind sehr anspruchsvoll. 2015, verkündet ein Plakat im Kongresscenter des Citystars-Komplexes in Kairo, sollen mehr als 500 Millionen Menschen aus der Armut entlassen werden, sollen 300 Millionen nicht mehr Hunger leiden, 350 Millionen trinkbares Wasser bekommen und 600 Millionen den Segen von sanitären Einrichtungen erfahren. Dazu sollen 30 Millionen Kinder die Geburt überleben, die heute noch sterben, weil medizinische Hilfe fehlt. Und Hunderte von Millionen Frauen sollen frei und gleichberechtigt auf der Erde leben. Wie kann Software dabei helfen? Was haben der Microsoft SQL Server und XML Web Services, Silverlight, das .NET Framework, Microsoft Virtual Earth und Windows CE damit zu tun?

Yooni Shin und ihre Kollegen vom koreanischen Team Wafree kämpfen mit vollautomatisch gesteuerten Käferfarmen gegen Unterernährung.

(Bild: Detlef Borchers)

Eine Antwort gibt etwa das Team Wafree aus Korea. Die Finalisten in der Kategorie Embedded Design haben eine Käferfarm aufgebaut, in der eine Hirschkäfer-Art gezüchtet wird. Die Tierchen sind sehr eiweißhaltig, ihre Larven (300 kcal) galten bei alten Ägyptern und Römern als Delikatesse. Ihre Aufzucht ist in Gebieten möglich, in denen das Land unfruchtbar ist, Wassermangel herrscht und daher die Pflanzenzucht als Nahrungsquelle ausscheidet. Vollautomatisierte, via Handy gesteuerte Käferfarmen, deren Stromversorgung von Sonnenkollektoren gespeist wird, sind der koreanische Lösungsvorschlag. Mit einem Investment von 1 Million Dollar könnten sich 3185 Familien ernähren und bereits mit der vierten Käfergeneration als Eiweißwirte ihren Unterhalt verdienen. Auf zehn Jahre angelegt, könnten am Ende 4 Millionen Menschen ernährt werden. Ethische Debatten lehnte das Team unter Verweis auf unsere Fischstäbchen ab – nicht alle Juroren aßen die schmackhaften Käferplätzchen, die zur Präsentation der Koreaner verteilt wurden.

Andere Finalisten gehen eher herkömmliche Wege, so das Team iSee aus China, das ein komplettes billiges Interface samt einem eBOX-Computer für Blinde entwickelt. 5,6 Millionen Chinesen in ländlichen Gebieten wollen sie ins Informationszeitalter torpedieren. Kernstück ist ein selbst entwickeltes Braille-I/O-System auf Basis von Windows CE, das 300 Dollar kosten soll (herkömmliche Braille-Geräte sollen bei 3700 Dollar liegen). Die Truppe hat Erfahrungen bei früheren Image-Cup-Teilnahmen gesammelt, war außerdem beim Robocup dabei und hat bereits mit einem Küchenroboter Preise gewonnen. Entsprechend ausgefeilt ist die Multimedia-Show. Generell ist der Wettbewerb im Bereich Embedded Design so etwas wie Freistil-Programmierung mit größeren Freiheiten. Das (bereits ausgeschiedene) griechische Team hat für sein Blutanalysesystem einen Client auf Android-Basis entwickelt, lateinamerikanische Teams haben OLPCs im Visier, die auf dem Lande verbreitet sind.

Die weitaus meisten Teilnehmer des Imagine Cup sind Teams, die in der Sparte Software Design antreten. Sehr viele haben Systeme entwickelt, über die Spenden für wohltätige Zwecke eingesammelt werden können – sie wurden von der Jury gnadenlos ausgesiebt. Medizinische Systeme bilden den zweiten großen Schwerpunkt. Das brasilianische Team Virtual Dreams, beim letzten Imagine Cup in Paris auf dem undankbaren 4.Platz gelandet, präsentierte ein Healthtag-System für "reisende Ärzte", die große Landstriche versorgen müssen. Der Zugriff auf die Patientenakten wie die Authentifizierung der Ärzte wird über bunte Bildchen geschaltet, die abfotografiert werden. Die Bilder wiederum werden von indigenen Stämmen gerne an Halsketten getragen. Die Simpel-Version von deutscher Gesundheitskarte und elektronischem Arztausweis soll von der brasilianischen Regierung und der Weltgesundheitsorganisation in einen Feldtest geschickt werden.

Zwischen den Räumen, in denen die Teams ihre Ideen der Jury vorstellen, herrscht ständiges Kommen und Gehen.

(Bild: Detlef Borchers)

Abseits der anstrengenden Arbeit der Juroren vor Ort, die noch in sechs weiteren, allerdings "präsentationsfreien" Kategorien wie Mashup, Fotografie und Design Preise zu vergeben haben, gibt es auch einen Publikumspreis des Imagine Cup (Internet Explorer 8 oder Firefox 3.5 und Silverlight erforderlich). Das deutsche Team kann an diesem begehrten Spezialpreis nicht teilnehmen, da es in seiner Präsentation eine kurze Sequenz aus einem Fernsehfilm zur Lage der indischen Bauern verwendet. Das ZDF forderte für die Rechte zur Internet-Ausstrahlung dieser Bilder eine "exorbitante" Summe. Schon die Erlaubnis, die Bilder aus "Abenteuer Wissen" nur der Jury zeigen zu können, kostete Microsoft ein "hübsches Sümmchen".

Die Finals zum Imagine Cup 2009 laufen noch bis zum kommenden Dienstagabend. Mit den Endrunden des Wettbewerbs steht bereits der nächste Wettbewerb vor der Tür. Die Endrunde wird in Polen stattfinden, was die Finalisten von Demoscene Spirit aus Polen besonders freut. Sie entwickelten mit ISIS das elektronische Äquivalent zum deutschen Mutterschutzpass. (Detlef Borchers) / (hos)