"Immer weiterubern": Wie Uber den Profit über Mensch und Gesetz stellte

Uber-Whistleblower MacGann hat im EU-Parlament seine Vorwürfe gegen seinen alten Arbeitgeber untermauert: Der Konzern habe mit allen Mitteln Gesetze blockiert.

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Mark MacGann

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Uber hatte zu seiner Zeit die Philosophie, weltweit fast unbegrenzte Mittel auszugeben, um geplante missliebige Gesetze zu blockieren. Dies erklärte Mark MacGann, der von 2014 bis 2016 Chef-Lobbyist des US-Konzerns war, am Dienstag bei einer Anhörung im Beschäftigungsausschuss des EU-Parlaments in Brüssel. Allein 2014 und 2015 habe der Vorreiter der Sharing-Ökonomie zu diesem Zweck rund 90 Millionen US-Dollar hingeblättert. Ziel sei es gewesen, Politiker dazu zu bewegen, grundlegende Arbeits- und Menschenrechte auszuhebeln.

Weitere hunderte Millionen Euro seien an Anwälte in Kanzleien geflossen, um "Leute in Prozessen zu ertränken", berichtete MacGann. Dieses Verhalten sei "hart in Richtung unmoralisch" gegangen. Dazu gekommen seien "ziemlich unorthodoxe Praktiken": So seien etwa Wissenschaftler gut dafür bezahlt worden, damit die Ergebnisse ihrer Studien über das Potenzial der Sharing-Ökonomie mit verzerrten Daten "das unterstützen, was wir tun". Insgesamt habe der App-basierte Taxi-Herausforderer Profite "über Menschen", aber auch über die Einhaltung von Recht und Gesetz gestellt.

Er selbst sei anfangs betört gewesen von der "großartigen Idee", das Leben in Städten mit dem Dienst besser und umweltfreundlicher zu machen, blickte der Whistleblower zurück, der die "Uber Files" unlängst an Medien wie den "Guardian" übergeben und sich im Juli als Quelle zu erkennen gegeben hatte. Damals habe die Firma Fahrer noch "wie Helden behandelt" im Wissen, dass diese das Rückgrat des ganzen Betriebs ausmachten.

Als vermehrt Kritik von Taxi-Fahrern aufgekommen sei, lautete das Motto MacGann zufolge, diese zu ignorieren und sich die Demokratie beziehungsweise die politische Macht der Verbraucher zu eigen zu machen. So habe der Konzern gedroht, den hierzulande besonders umstrittenen Dienst UberPop einzustellen, über den Aufträge an private Fahrer mit eigenem Auto gingen. Es sei darum gegangen, mit allen erforderlichen Mitteln öffentlichen Druck auszuüben: "Do whatever it takes", sei die Losung gewesen: "Wir haben Fahrer und Kunden zu unseren Waffen gemacht."

Schon 2015 "ist der Traum geplatzt", führte der Ire den Abgeordneten vor Augen. Damals sei aus Zeitgründen die menschliche Interaktion mit den Fahrern abgeschafft und mit ihnen nur noch über das Backoffice per App kommuniziert worden. Dazu gekommen seien massenhafte Klagen rund um den Status der Selbstständigkeit. Die interne Vorgabe dazu habe eine starke "sprachliche und rechtliche Gymnastik" erfordert. Der Standpunkt sei gewesen: "Es sind nicht unsere Fahrer, sondern die von Partnern."

"Wir haben allen gesagt, was sie hören wollten", erinnerte sich MacGann. Investoren sei eine nie gekannte Rendite, Kunden ein Super-Service mit konkurrenzlosen Preisen, Fahrern anständiger Lohn und gute Teamarbeit versprochen worden. Wer genauer hinhöre, hätte erkennen müssen: "Einer muss dabei der Betrogene sein." Regierungen, Medien und Fahrern sei eine Lüge verkauft worden. Zugleich habe die Ansage geheißen, auch gegen lokale Widerstände, Sanktionen, Verhaftungen und Prozesse "immer weiterzuubern".

Zudem leistete sich der Konzern laut dem Hinweisgeber ein großes Sicherheitsteam und heuerte zusätzlich Privatdetektive an, um Lizenzinhaber und Fahrer zu überwachen. So sollte etwa die Gründung von Gewerkschaften verhindert werden. Mit der App habe jedes Büro verfolgen können, wohin jedes Auto wohin mit wem fährt. Zudem wollte Uber weitgehende Berechtigungen, um zu schauen, ob etwa auch Spotify & Co. auf dem Handy seien, um Kunden noch Zusatzdienste verkaufen zu können. Fake-Profile seien genutzt werden, um Aktivitäten der Fahrer auch über Facebook und WhatsApp auszuspionieren.

Einzelne Mitgliedsstaaten oder Politiker, die dem Lobbying besonders offen gegenüberstanden, wollte MacGann nicht nennen. Aus dem von ihm geleakten Unterlagen war hervorgegangen, dass Frankreichs späterer Präsident Emmanuel Macron zu seinen Zeiten als Wirtschaftsminister sehr entgegenkommend gewesen sein soll.

Deutschland, seine osteuropäischen Nachbarn und die baltischen Staaten waren dem Insider zufolge wenig zugänglich. Aktive Korruption mit Bestechungen habe er nicht gesehen, aber das Lobby-Team habe Zugang zu höchsten Regierungsämtern in fast allen Mitgliedsstaaten und bei der EU-Kommission gehabt. Zu Berichten über fragwürdige Kooperationen mit der früheren, unter anderem für die digitale Agenda zuständigen Kommissarin Neelie Kroes wollte er sich nicht äußern, da die Anti-Betrugsbehörde Olaf den Fall noch untersuche.

Seinen Gang an die Öffentlichkeit begründete MacGann damit, angerichtetes Unheil wiedergutmachen zu wollen. Mit den Ausschlag gegeben habe 2021 ein langes Gespräch mit einem Uber-Fahrer in Malaga, der laut Unternehmensangaben durchschnittlich 31 Euro in der Stunde verdienen sollte. Nach Abzügen der Kommission von 25 Prozent, der Mehrwertsteuer, den Leasing-Gebühren sowie den Kosten für Benzin, Reinigung und Versicherung dürften bei ihm aber wohl nur 7 Euro ankommen, was unterhalb des Mindestlohns liege. Ein Schreiben an den Beschäftigtenausschuss mit Bitte um Anhörung sei im September vorigen Jahres unbeantwortet geblieben.

Eine unverhältnismäßige Macht für große Tech-Plattformen sei gefährlich, unterstrich der frühere Generaldirektor des IT-Dachverbands Digital Europe. Sie zerstöre die soziale Gerechtigkeit und letztlich die Demokratie. Den Entwurf der Kommission für eine Richtlinie für faire Bedingungen für Plattform-Arbeiter unterstützte MacGann prinzipiell. Damit soll eine "widerlegbare Vermutung" eingeführt werden, wonach Auftragsarbeiter von Airbnb, Uber, Deliveroo & Co. zunächst als deren Beschäftigte gelten. Das Uber-Modell basiere auf dem Status von Selbstständigen, sodass der geplante EU-Ansatz dafür eine Herausforderung darstelle, erläuterte der Whistleblower. Aber auch damit könnten Plattformen langfristig profitabel sein.

Die Parlamentarier quittierten die gewährten Einblicke mit stehenden Ovationen. Dennis Radtke (CDU) dankte MacGann für seinen Mut. Leila Chaibi von den Linken fühlte sich bei manchen Sprechblasen, die Kollegen oft absonderten, aber auch an von Uber trainierte Papageien erinnert. Die Grüne Karima Delli monierte, dass der Konzern seine "schurkenhaften Methoden" sogar bei einer Studie von 2017 zur Infrastruktur für die Sharing-Ökonomie im Verkehr angewandt habe, die das Parlament in Auftrag gegeben hatte: Einer der Autoren sei Juan Montero gewesen, der parallel als Rechtsanwalt für Uber in Barcelona gearbeitet habe.

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"Wir wollen Plattformen nicht zerstören", unterstrich Arbeitskommissar Nicolas Schmit. Sie dürften über die Jahrzehnte hinweg geschaffene Rechte von Mitarbeitern aber nicht einfach zurückdrehen. Er hoffe, dass der Richtlinienvorschlag im Ministerrat nicht verwässert werde.

"Wir haben uns geändert", versicherte Zuzana Púčiková, die bei Uber seit 2019 die Beziehungen zu den EU-Institutionen leitet. Sie glaube an die Mission, Menschen und Dinge mit weniger Autos und besseren Jobs zu bewegen. Man setze aber nicht mehr auf Wachstum um jeden Preis, sondern etwa auf eine "robuste Ethiklinie", Elektromobilität und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Taxis, dem ÖPNV und der Zivilgesellschaft. Algorithmische Anregungen würden immer menschlich überprüft. EU-Gesetze wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO befolge man. Die Mehrheit der Fahrer und Auslieferer wolle aber nicht als klassische Beschäftigte eingestuft werden. Dies schmälere ihre Ertragsmöglichkeiten.

Brahim Ben Ali, Gründer einer Uber-Gewerkschaft, hielt dagegen, dass das Unternehmen sogar "noch schlimmer" geworden sei als vorher. Tarife würden ständig gekürzt, Rechte von Arbeitnehmern verunglimpft. Uber habe etwa OECD-Studien finanziert in Frankreich, Südafrika und den USA. Gegen die Datensammelei seien schon vier Beschwerden bei der französischen Aufsichtsbehörde CNIL anhängig. Bei Konzerninitiativen für einen "sozialen Dialog" handle es sich eher um ein weiteres Ablenkungsmanöver.

(fds)