Instagram und die Kinder: "Facebook ist wie ein Tabakkonzern"

"Facebook weiß, dass man Kindern schade", sagte ein US-Senator bei der Anhörung zu Instagram. Mehrere Senatoren vergleichen den Konzern mit Zigarettendealern.

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Jugendliche mit Tablets

(Bild: George Rudy / Shutterstock.com)

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Wie sehr schaden Soziale Netzwerke Kindern? Diese Frage erörtern US-Senatoren beider Parteien, nachdem ein Whistleblower umfangreiche Dokumente über Instagram aus Facebooks Konzernzentrale an das Wall Street Journal (WSJ) übermittelt hat. "Wir haben jetzt tiefen Einblick in Facebooks unerbittliche Kampagne zur Rekrutierung und Ausbeutung junger Nutzer", sagte Senator Richard Blumenthal, Vorsitzender des Verbraucherschutz-Unterausschusses, bei einer Anhörung am Donnerstag.

"Während Facebook öffentlich abstreitet, dass Instagram Teenagern schwer schadet, haben Facebooks Forscher und Experten intern seit Jahren Alarm geläutet", fuhr der Demokraten-Politiker fort. Im März 2020 hatten Facebook-Mitarbeiter intern ihre Forschungsergebnisse vorgestellt: "32 Prozent der Mädchen im Teenager-Alter gaben an, dass, wenn sie unzufrieden über ihren Körper sind, Instagram-Nutzung sie sich schlechter fühlen lässt." Auf Instagram kann eine endlose Reihe augenscheinlich perfekter Körper und Lebenswandel bewundert werden. Das könnte Teenager, die sich mit diesen Darstellungen vergleichen und unmöglich mithalten können, unglücklicher machen.

Schon im Jahr davor hatte eine interne Facebook-Präsentation es so zusammengefasst: "Wir machen Probleme mit dem eigenen Körperbild schlimmer für jede dritte Teenagerin". Vielleicht noch schwerwiegendere Ergebnisse standen auf einer weiteren Facebook-Folie, die dem WSJ vorliegt: "Teenager geben Instagram die Schuld an zunehmender Angst und Depression." Facebook-Forscher hatten alarmierende Erkenntnisse gewonnen: Sechs Prozent der US-amerikanischen und sogar 13 Prozent der britischen Teenager mit Suizidgedanken führten den Wunsch, sich selbst das Leben zu nehmen, auf Instagram zurück.

Jeder fünfte Teenager gab an, dass Instagram-Nutzung sie sich schlechter fühlen lässt. Zudem haben Facebooks eigene Experten herausgefunden, dass diese Ergebnisse nicht in gleichem Ausmaß für alle Sozialen Netzwerke gelten. Während etwa TikTok auf artistische Aufführungen setze, und Snapchats humorige Filter den Fokus auf das Gesicht lenken, geht es bei Instagram vor allem um den Körper sowie Wohlstand und den damit verbundenen Lebenswandel.

Hinzu kommt, dass Instagrams endlose Reihe neu angezeigter Beiträge zu stundenlangen Sitzungen führt. Facebooks Forscher haben festgestellt, dass viele Jugendliche wissen, dass Instagram nicht gut für sie ist – gleichzeitig können sie nicht davon lassen. Die Algorithmen des Dienstes, die die Nutzung steigern sollen, funktionieren offenbar gut.

Diese Algorithmen leiten die Nutzer nicht selten zu unpassenden Beiträgen. Sucht ein Mädchen beispielsweise nach Fitness-Tipps, kann in der Instagram-App bald eine Flut an Diät-Typs, Anleitungen zu Gewichtsverlust und Bildern "idealer" Körper folgen.

Facebook sucht, die geballten Vorwürfe zu entkräften. Diese Woche hat Facebooks Forschungschefin gesagt, dass Instagram nicht "toxisch für Jugendliche" sei. Instagram-Chef Adam Mosseri hat darauf hingewiesen, dass Angaben Befragter nicht immer den Tatsachen entsprechen. Und die am Donnerstag zur Senatsanhörung angetretene Sicherheitschefin des Datenkonzerns, Antigone Davis, betonte, dass die internen Studien falsch interpretiert würden. Außerdem zeigten sie bloß Korrelation, keine kausalen Zusammenhänge.

Diese Argumente mögen stimmen, doch untergräbt Facebook sie durch mangelnde Offenheit. Erst im August haben Senator Blumenthal und seine Republikaner-Kollegin Martha Blackburn einen Brief an Facebook-Chef Mark Zuckerberg geschickt. "Hat Facebooks Forschung jemals gezeigt, dass seine Plattformen und Produkte einen negativen Effekt auf die geistige Gesundheit oder das Wohlbefinden von Kindern und Teenagern haben können?", fragten die Senatoren ausdrücklich.

"Facebooks Antwort war: 'Uns ist kein Konsens von Studien oder Experten darüber bekannt, wieviel Nutzungszeit zu viel ist'", gab Blumenthal zu Protokoll, "Diese Antwort war schlicht unwahr. Facebook weiß, dass die Beweise für schädliche Auswirkungen auf Teenager umfangreich und spezifisch für Instagram sind." Dabei zitierte er wiederum aus Facebooks eigenen Dokumenten: "Umfangreiche Beweise legen nahe, dass Erfahrungen auf Instagram und Facebook Unzufriedenheiten mit dem eigenen Körperbild verschlimmern." Diese konzerneigenen Forschungsergebnisse seien Managern auf höchster Ebene bekannt gewesen.

Instagram-Features führten laut konzerninternen Erkenntnisse zu einem "perfekten Sturm", der "Abwärtsspiralen" der Nutzer verschlimmere. Zirka 40 Prozent der Instagram-Nutzer sind jünger als 22, das offizielle Mindestalter ist 13. Für jüngere Nutzer würde US-Bundesrecht Datenschutz vorschreiben, der den rechtskonformen Betrieb deutlich weniger profitabel machen würde. Erst diese Woche hat Facebook Arbeiten an einem separaten "Instagram für Kinder" vorübergehend pausiert.

Zu Versuchszwecken hat ein Mitarbeiter Blumenthals ein Instagram-Konto eröffnet und sich als 13-jähriges Mädchen ausgegeben. Dieses "Mädchen" ist dann einigen leicht auffindbaren Nutzerprofilen gefolgt, die sich mit extremen Diäten und Essstörungen befassen. "Binnen eines Tages waren Instagrams Vorschläge ausschließlich voll mit Profilen, die Selbstverletzungen und Essstörungen verherrlichen", berichtete der Senator von der abstoßenden Erfahrung.

"Facebook hat sich das bei den Tabakkonzernen abgeschaut. Es hat seine eigenen Forschungsergebnisse zu Sucht und toxischen Effekten seiner Produkte versteckt. Es hat versucht, die Öffentlichkeit, und uns hier im Parlament, in die Irre darüber zu führen, was es weiß, und es hat Verletzbarkeiten der Kindheit zu einer Waffe gegen die Kinder selbst gemacht", las Blumenthal Facebook die Leviten, "Es hat Wachstum über die geistige Gesundheit von Kindern gestellt, Gier über das Verhindern von Kindesleid gestellt."

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"Instagram ist die erste Zigarette in der Kindheit, die Teenager jung süchtig machen soll", formulierte es der Demokraten-Senator Ed Markey etwas später, "Facebook ist genau wie die großen Tabakkonzerne, die mit einem Produkt dealen, von dem sie wissen, dass es schädlich für junge Menschen ist, und es ihnen zu früh zuschieben."

Die schlechte Nachricht für Facebook ist nicht bloß, dass brisante interne Dokumente an die Öffentlichkeit gelangt sind. Schwerer dürfte wiegen, dass die Sicht der Dinge nicht mehr auf einzelne Senatoren der Demokraten beschränkt ist. Einflussreiche Politiker beider Parteien sind alarmiert und bereiten rechtliche Maßnahmen gegen Facebook vor. Nachdem Zuckerberg schon 2018 im US-Senat konkreten Fragen ausgewichen ist, geht dort das Goodwill für Facebook zur Neige.

Als Zeichen der Unterstützung der Facebook-Kritiker haben auch Maria Cantwell, Demokratische Vorsitzende des einflussreichen Wirtschaftsausschusses, und ihr Republikanischer Stellvertreter Roger Wicker an der Anhörung am Donnerstag teilgenommen. Cantwell unterstützt das Vorhaben, das 1998 verabschiedete Kinder-Datenschutzgesetz COPPA an das digitale Zeitalter anzupassen und die Altersgrenze von 12 Jahren anzuheben. Außerdem möchte sie Datenkonzernen erschweren, sich darauf auszureden, sie hätten nicht gewusst, wie jung ihre User seien.

Wie bereits Zuckerberg im vorangegangenen Schriftverkehr antwortete auch Davis bei der Senatsanhörung am Donnerstag wiederholt ausweichend. Beispielsweise nutzte sie Datenschutzbedenken als Begründung, warum Facebooks Forschungsergebnisse nicht so einfach veröffentlicht werden könnten. Sie versprach bloß "Bemühungen", mehr über Studien diverser Autoren wissen zu lassen – nicht alle eigenen Forschungsergebnisse, wie von Blumenthal gewünscht.

Davis' Aussage, die Offenbarung der internen Unterlagen sei "keine Bombe", war eine ungewollte Auflage: "Das ist eine Bombe", erwiderte Blumenthal, "Es sind mächtige, fesselnde, erschütternde Beweise, dass Facebook die schädlichen Effekte seiner Seite auf Kinder kennt, und diese Fakten und Erkenntnisse versteckt hat."

In ihrer schriftlichen Eingabe hatte die Facebook-Managerin von Löschungen von Konten zu junger Instagram-Nutzer, Maßnahmen gegen Kontaktaufnahme durch unbekannte Erwachsene, Vorauswahl altersgerechter Inhalte und Werbeanzeigen, und Kontrollfunktionen für Erziehungsberechtigte berichtet. Zudem verwies sie auf eigene Forschungsergebnisse, denen zufolge sich die Mehrheit der Mädchen nach Instagram-Nutzung besser und weniger einsam fühlten. Rund 40 Prozent einschlägig betroffener Mädchen hätten dank Instagram weniger Angst respektive weniger Suizidgedanken.

Senatorin Blackburn verwies daher auf interne Facebook-Dokumente mit Plänen, Jugendliche dafür zu gewinnen, ihre jüngeren Geschwister zur Einrichtung von Instagram-Konten zu bringen. Dafür forsche Facebook sogar schon bei Achtjährigen. Weiter hieß es intern, dass es sich positiv auf das Geschäft auswirkt, wenn Kinder Zweitkonten unter falschen Namen einrichten.

Während Eltern die Erstkonten der Kinder überwachten, können die Kinder über ihr Zweitkonto weiter unbegleitet das Soziale Netzwerk nutzen. Das führe zu höheren Nutzungsdauern. Die Zweitkonten haben bei Facebook sogar einen eigenen Namen: Finstas, eine Wortschöpfung aus fake (gefälscht) und Instagram.

Als die Senatoren verlangten, dass Facebook verspricht, nicht gegen den Whistleblower vorzugehen, stand die Antwort zwischen den Zeilen: Vergeltung gegen die für kommende Woche geplante Zeugenaussage der Person vor dem Senatsunterausschuss werde es nicht geben. Solche Vergeltung wäre illegal. Das schließt natürlich nicht aus, dass Facebook wegen der vorangegangenen Preisgabe interner Dokumente an das WSJ Maßnahmen gegen den besorgten Mitarbeiter ergreift.

(ds)