Ja, ein Ölpreis ist negativ – Nein, Öl ist noch nicht wertlos
Am Montag ist ein US-Preis für Rohöl um 300 Prozent abgestürzt und wurde negativ. Das gab's noch nie. Es liegt am Coronavirus und Spekulanten.
Bizarres Geschehen am US-Ölmarkt: Zum ersten Mal in der Geschichte wurde am Montag Rohöl mit negativen Preisen gehandelt. Ein Absturz von mehr als 300 Prozent führte zu Preisen um die minus 40 US-Dollar je Barrel der Benchmark-Sorte West Texas Intermediate (WTI). Das wiederum drückte Aktienkurse weiter nach unten. Der Index Dow Jones Industrial Average beendete den regulären Handel mit einem satten Abschlag von gut 2,4 Prozent.
Einfacher ausgedrückt haben sich einige Unternehmer dafür bezahlen lassen, dass sie im Mai in Oklahoma WTI-Rohöl in Empfang nehmen. Wenn sie die Papiere nicht spätestens am Dienstag abstoßen, stehen sie vor der Herausforderung, eine Lagerstätte für das gekaufte Öl zu finden. Die Coronavirus-Pandemie hat die Nachfrage nach Treibstoff und anderen Öl-Erzeugnissen stark einbrechen lassen. Deswegen sind US-Lager so voll, dass bereits Lastkähne mit Rohöl betankt und aufs Meer hinausgeschickt worden sein sollen.
Das Boot ist voll
Auch aus Saudi Arabien in den Vereinigten Staaten eintreffende Öltanker können ihre Ladung nicht mehr einfach löschen lassen, weil Speichertanks und Pipelines bereits gefüllt sind. Neue Tanks lassen sich nicht im Handumdrehen herbeischaffen. Die Raffinerien wollen es nicht verarbeiten, weil sie ihre Erzeugnisse nicht in entsprechendem Ausmaß verkaufen können.
Nordamerikanische Autofahrer freuen sich zwar über niedrige Benzinpreise, müssen und können aber auch viel weniger fahren. Verbunden mit den durch die Pandemie verursachten extrem hohen Arbeitslosenzahlen und der Rezession wird das die Nachfrage nach Elektroautos deutlich bremsen.
Inhaber wollen meist gar kein Öl
Nun ist Öl derzeit tatsächlich so günstig zu haben wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr; aber der negative WTI-Preis bedeutet nicht, dass Öl plötzlich wertlos geworden wäre. Denn der negative Preis gilt nur für die seit November 2014 gehandelten Terminkontrakte für Abholung in Oklahoma im Mai 2020. Bis vor einigen Monaten konnte niemand erahnen, dass die Ölnachfrage so plötzlich so drastisch einbrechen würde. Also wurden die Lieferungen bestellt.
E-Autos
Die meisten Käufer der Terminkontrakte haben nie vor, das Öl auch wirklich abzuholen. Sie kaufen die "Wertpapiere" in der Absicht, sie später jemand anderem teurer weiterzuverkaufen oder sich eine Differenz zum Spotpreis ablösen zu lassen. In der Regel unterscheiden sich die Ölpreise bald fälliger Terminkontrakte kaum vom aktuellen Spotpreis des Öls. Doch war Montag der vorletzte Handelstag für die Mai-Kontrakte. Damit standen viele Inhaber plötzlich vor dem Dilemma, aufgrund der geringen Nachfrage keine Abnehmer zu finden, und selbst weder Möglichkeit für noch Interesse an der Abholung des Öls zu haben.
Also mussten sie verkaufen – egal, zu welchem Preis. So ist der deutlich negative Ölpreis zustande gekommen. Der Spotpreis ist aber nach wie vor positiv, so dass niemand erwarten darf, bald an der Tankstelle für das Abholen von Treibstoffen entlohnt zu werden. Terminkontrakte für Juni sind am Montag zwar auch billiger geworden, liegen aber noch über 20 Dollar pro Barrel WTI; für Abholung ab dem Herbst sind es über 30 Dollar. (ds)