KI-Euphorie an der Börse: Wie groß ist die Blase?

Künstliche Intelligenz. So ziemlich jedes Tech-Unternehmen scheint bemüht, auf den KI-Zug aufzuspringen. Aber ist der Hype nicht bereits zu weit gelaufen?

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(Bild: Zakharchuk/Shutterstock.com)

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Ein Buzzword macht auch an der Wall Street Karriere. Artificial Intelligence (AI) – zu Deutsch: Künstliche Intelligenz (KI) – ist anno 2023 aus dem Wortschatz nicht mehr wegzudenken; auch an der Börse nicht. Mehr als 200 Mal haben die fünf GAFAM-Konzerne Apple, Alphabet, Amazon, Microsoft und Meta das Schlagwort der Stunde auf den Analystenkonferenzen der abgelaufenen Berichtssaison im Frühjahr fallen lassen.

In den in diesen Tagen laufenden Quartalsberichten dürfte es gar noch mehr werden, wenn wir den ersten Eindrücken trauen dürfen: Microsoft und Alphabet erwiesen dem Hype-Thema des Jahres allein enorme 145 Mal ihre Reverenz, wie der Finanzinformationsdienst CNBC vorrechnet.

(Bild: https://twitter.com/StockMKTNewz/status/1684005558813163520)

Keine Frage: Allein die Erwähnung von Künstlicher Intelligenz bewegt an den globalen Finanzmärkten 2023 Milliarden beziehungsweise in der Summe gar Billionen Dollar. Seit Anfang des Jahres haben die Big-Tech-Giganten allesamt um mindestens 40 Prozent zugelegt und dabei den Börsenwert um zusammengenommen mehr als vier Billionen Dollar gesteigert.

Unangefochtener Star des Booms ist indes Nvidia. Der 30 Jahre alte Halbleiterhersteller hat an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq seit Jahresbeginn die schier astronomische Wertsteigerung von 230 Prozent hingelegt und ist dadurch nach Apple, Microsoft, Alphabet und Amazon zum fünften Technologieunternehmen der Welt aufgestiegen, das es auf einen Börsenwert von über eine Billion Dollar bringt.

Der Grund für die Kursexplosion ist in der aktuellen Geschäftsentwicklung kaum zu erkennen: Die im Mai veröffentlichte Bilanz für das erste Quartal offenbarte gar einen Umsatzrückgang von 13 Prozent, während die Nettogewinne lediglich um 26 Prozent stiegen. Doch die Erwartungen sind entsprechend auf die Zukunft gerichtet, in der Nvidia mit seinen Data-Centern und Prozessoren beziehungsweise mit der Programmierschnittstelle CUDA die technologische Kerninfrastruktur der KI-Nutzung liefert. Bestseller sind etwa die Grafikprozessoren A100 und H100, die als KI-Beschleuniger Anwendungen wie ChatGPT antreiben.

Für Nvidia-CEO Jensen Huang, der in diesen Tagen wie ein Popstar von Börsianern gefeiert wird, erscheint der Hype angemessen: "Tatsächlich beginnt ein neues Computerzeitalter", frohlockte der 60-jährige taiwanisch-amerikanische Gründer und CEO von Nvidia vor wenigen Wochen im Spiegel-Interview. "Bei der Künstlichen Intelligenz handelt es sich um das größte Instrument zur Datenverarbeitung, das die Welt je gesehen hat. Die Chance, aus KI etwas wirklich Wertvolles rauszuholen, ist enorm."

Der große Run auf Nvidia folgt einem bekannten Muster an der Börse: "Investiere bei einem Goldrausch nicht in die Goldgräber, sondern in Schaufeln", pflegte der legendäre Investor André Kostolany einst zu sagen. Die Metapher spielt auf den großen Goldrausch von Klondike im späten 19. Jahrhundert an, bei dem viele Goldsucher versucht haben zu profitieren, doch am Ende nur sehr wenige reich wurden. Schaufeln für die Goldsuche wurden dagegen immer verkauft. Analog könnte es bei Nvidia laufen: Ob sich ChatGPT oder ein anderes Sprach-KI-Modell als die meistbenutzte Anwendung der Künstlichen Intelligenz in den kommenden Jahren herauskristallisieren wird, erscheint weiter vollkommen offen – profitieren werden indes die Anbieter von Rechenzentren und Prozessoren wie Nvidia, die für den Betrieb von KI-Systemen nötig sind.

(Bild: https://twitter.com/TrendSpider/status/1685311719693049856)

Entsprechend gibt es Analysten, die dem 30 Jahre alten Chiphersteller in den nächsten Jahren wahrlich goldene Zeiten prophezeien. Vijay Rakesh vom japanischen Finanzdienstleister Mizuho beispielsweise geht davon aus, dass Nvidia alleine in diesem Jahr zwischen 25 und 30 Milliarden Dollar Umsatz mit seiner KI-Sparte generieren dürfte und sich die Absätze in der Folge exponentiell steigern könnten. "Mit der steigenden Nachfrage nach generativer KI sehen wir erhebliche Chancen für Hardwarelieferanten, die den erhöhten Rechenbedarf für große Sprachmodelle ermöglichen, insbesondere für das KI-Powerhouse NVIDIA", schrieb der Mizuho-Analyst in einer Kurzstudie im Wirtschaftsmagazin Barron’s. Rakeshs kühne Hypothese: Bis 2027 könnte Nvidia gar rund 300 Milliarden US-Dollar an KI-spezifischen Einnahmen generieren, mutmaßt er – das entspräche 75 Prozent aller Hardware-Erlöse im Segment der Künstlichen Intelligenz.

Hat die Börse mit dem steilen Anstieg von KI-Aktien in diesem Jahr nicht wie so oft in der Vergangenheit übertrieben? Der KI-Goldrausch erinnert an die Blasenbildung vergangener Dekaden – wie etwa der Internet-Euphorie um die Jahrtausendwende, die bekanntlich im Kursmassaker und vielen zerplatzen Börsenträumen endete. Entsprechend zurückhaltend äußert sich etwa der Vermögensverwalter Cody Willard, der für seinen Hedgefonds bereits 2016 in Nvidia investierte, angesichts des aktuellen Hypes um die "AI Revolution".

"Nvidia und andere Techwerte sind überbewertet", schrieb Willard in einer Kolumne beim Finanzportal Marketwatch. "Der Bereich ist im Moment überfüllt, und die meisten Unternehmen, die ihre KI-Konzepte in den Himmel loben, werden es nicht schaffen, Fuß zu fassen", glaubt Willard. "Ich würde Aktien wie C3.AI, Sprout Social, Sound Hound AI und Sprinklr meiden", erklärt der Vermögensverwalter von 10,000 Days Fund Capital Management mit Blick auf die zum Teil exorbitanten Kurszuwächse der Smallcap-Unternehmen, die im Kultsektor der Künstlichen Intelligenz tätig sind.

C3.AI beispielsweise, das vom Silicon Valley-Software-Veteranen Thomas Siebel bereits 2009 gegründet wurde und "Generative AI"-Lösungen für Geschäftskunden entwickelt, zählt zu einer der absoluten Hype-Aktien der noch jungen Branche. Seit Jahresbeginn liegen die Anteilsscheine des "Enterprise AI"-Anbieters um enorme 260 Prozent vorne, die C3.AI wiederum zu einem Börsenwert von knapp fünf Milliarden Dollar verholfen haben. Wie viel Fantasie im Kurs liegt, macht unterdessen die Geschäftsentwicklung deutlich: Im jüngsten Quartal legten die Umsätze nicht mal um ein Prozent auf 72,4 Millionen Dollar zu, während sich die Verluste um elf Prozent auf knapp 65 Millionen Dollar ausweiteten.

Noch weiter liegt die Verlust- und Umsatzentwicklung beim KI-gestützten Immobilienfinanzierungsvermittler Upstart auseinander. So brachen die Erlöse im ersten Quartal des Jahres um gleich 65 Prozent auf 110 Millionen Dollar ein, während die Verluste um fast 500 Prozent auf 129 Millionen Dollar explodierten. Trotzdem schoss die Upstart-Aktie seit Jahresbeginn um sensationelle 400 Prozent nach oben und hat damit unter den KI-Aktien die beste Performance vorzuweisen. Erklärbar wird das Missverhältnis mit dem Einbruch des Kreditgeschäfts in Zeiten hoher Bauzinsen und der gleichzeitigen Hoffnung auf eine Trendwende im Zinszyklus. Das Zauberwort "KI" sorgt für zusätzliche Fantasie beim von früheren Google-Managern gegründeten Start-up, das die bürokratische Vermittlung eines Darlehens mithilfe von KI effektiver gestalten will. Die Plattform soll dabei helfen, die Kreditwürdigkeit des Kunden genauer vorherzusagen.

Wie schnell sich jedoch die in viele KI-Startups und -Unternehmen gesetzte Fantasie tatsächlich in reales Wachstum in Dollar und Cent umsetzen lässt, bleibt die Billionen-Dollar-Frage dieser Tage. Ausgerechnet Microsoft, nach dem großen Investment in ChatGPT-Mutter OpenAI für viele der Vorreiter der Tech-Branche, dämpfte zuletzt die Erwartungen auf eine schnelle Monetarisierung des KI-Geschäfts.

"Die Erlöse aus dem KI-Wachstum werden schrittweise erfolgen", erklärte Microsofts Finanzchefin Samy Hood am Rande der jüngsten Quartalsbilanz in der Telefonkonferenz mit Analysten. In anderen Worten: Es könnte doch alles ein bisschen länger dauern, bevor der KI-Hype auch in den Zahlenwerken der Tech-Giganten erkennbar seinen Niederschlag findet. Angesichts der überbordenden Euphorie um das vermeintlich neue Boom-Segment der Tech-Industrie ist das Enttäuschungspotenzial damit zumindest an den Kapitalmärkten inzwischen nicht unerheblich.

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