KI-Verordnung: Ampel-Koalition will biometrische Überwachung eingrenzen
Die Regierungsfraktionen sind sich einig, die mit dem AI Act verbleibende Option für einen strengeren Rahmen zu automatisierter Fernidentifizierung zu nutzen.
Mit der Annahme des umstrittenen Deals zur EU-Verordnung für Systeme mit Künstlicher Intelligenz (KI) durch den Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten am Freitag ist das komplexe Regelwerk weitgehend in trockenen Tüchern. Ein Knackpunkt bis zum Schluss war das vom EU-Parlament geforderte Verbot biometrischer Massenüberwachung etwa durch automatisierte Gesichtserkennung. Der im Dezember vereinbarte Kompromiss öffnete breite Hintertüren für den Einsatz solcher Technologien durch die Polizei. Der EU-Rat strich zusätzlich den eigentlich vereinbarten Straftatenkatalog und den Richtervorbehalt. Die Ampel-Koalition ist sich aber ausnahmsweise einig, dass sie auf diesen Kurs nicht einschwenken will.
"Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir uns schon früh für weitgehende Verbote bei der biometrischen Überwachung eingesetzt", betonten deren Berichterstatter Parsa Marvi und Armand Zorn am Freitag. Diese hätten sich auf EU-Ebene zwar nicht durchsetzen lassen. Mit dem finalen, 272 Seiten langen Text stünden den Mitgliedsstaaten aber "Handlungsspielräume zur Nachjustierung" etwa zum "besseren Schutz im Arbeits- und Sozialbereich oder vor biometrischer Fernidentifizierung" offen. "Diese Optionen wollen wir nutzen."
Ähnlich äußern sich die grünen Digitalpolitiker Tabea Rößner und Tobias Bacherle: "Leider kommt der AI Act unserer gewünschten Absage an biometrische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum nicht gänzlich nach." Immerhin gelten dafür künftig aber erstmals Mindeststandards, "über die die Mitgliedsstaaten auch hinaus gehen können". Von der Möglichkeit "für einen strengeren gesetzlichen Rahmen zu biometrischer Fernidentifizierung" wolle man konsequent Gebrauch machen: "Nur wenn wir unsere nach außen oft vorgetragenen demokratischen Werte auch nach innen gesetzlich festschreiben, bleiben wir glaubwürdig."
Nationale Sonderwege: Mal ja, mal nein
"Um den bürgerrechtsverletzenden Einsatz von KI-gestützter biometrischer Gesichtserkennung bundesgesetzlich auszuschließen, werden wir die Freiheiten bei der nationalen Anwendung der europäischen KI-Verordnung nutzen", beteuert auch der digitalpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Maximilian Funke-Kaiser. Es gelte zudem, mit dem nationalen Spielraum die EU-Vorgaben so innovationsfreundlich wie möglich anzuwenden: "Wir wollen KI 'Made in Germany' zum Exportschlager machen." Mit ihrem Koalitionsvertrag lehnen die Regierungsparteien einen flächendeckenden Einsatz von Kameras und die "biometrische Erfassung zu Überwachungszwecken" ab.
Unterstützung erhält Rot-Gelb-Grün vom eco-Verband der Internetwirtschaft. "Für den Erfolg von KI braucht es Akzeptanz in der Bevölkerung", unterstreicht dessen Vorstandsvorsitzender Oliver Süme. "Doch die im AI Act vorgesehenen Regelungen zur biometrischen Echtzeit-Überwachung steigern die Sorgen vor einer Gefährdung von Bürgerrechten und könnten das Vertrauen in Künstliche Intelligenz komplett untergraben." Die Bundesregierung sollte daher im Sinne der Koalitionsvereinbarung "konsequent bleiben", um nicht das Vertrauen der Wähler zu verspielen.
Prinzipiell drängen der eco und der IT-Verband Bitkom aber darauf, dass eine harmonisierte Anwendung der KI-Verordnung entscheidend sei für die Wettbewerbsfähigkeit des Digitalstandorts Europa. Einheitlich ausgelegte Pflichten, Anforderungen und Standards seien nötig. Nationale Sonderwege würden zu einem Flickenteppich an Auflagen und Rechtsunsicherheit für Unternehmen führen. Der TÜV-Verband drängt darauf, dass die EU-Kommission zeitnah klare Umsetzungsleitfäden mit konkreten Beispielen veröffentlicht, um möglichen Fehleinschätzungen durch die Anbieter vorzubeugen.
Massive Machtungleichheit zwischen EU-Gremien
"Die ordnungsgemäße Umsetzung des Gesetzes" ist auch dem Tech-Verband CCIA Europe zufolge "von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass die KI-Vorschriften Unternehmen bei ihrem Streben nach Innovation und Wettbewerbsfähigkeit in einem florierenden, äußerst dynamischen Markt nicht überfordern". Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels begrüßte, dass Anbieter von generativer KI wie OpenAI mit ChatGPT "zur Transparenz verpflichtet" würden. Dies solle ausdrücklich Rechteinhaber in die Lage versetzen, "ihre Urheberrechte auszuüben und durchzusetzen". Zentrale Fragen wie die der Vergütung blieben aber offen.
Grundsätzliche Kritik am Verfahren übt die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi): "Die KI-Verordnung ist das Ergebnis eines tiefgreifenden Machtungleichgewichts zwischen den EU-Institutionen, bei dem nationale Regierungen und Strafverfolgungslobbys gegenüber denjenigen, die das öffentliche Interesse und die Menschenrechte vertreten, überwiegen. Das Parlament wurde dazu gedrängt, wichtige Menschenrechtsschutzmaßnahmen aufzugeben, weil die Mitgliedstaaten beschlossen, der Lobbyarbeit von Industrie und Sicherheitskräften nachzugeben."
(bme)