KI soll selbst asymptomatische Covid-19-Infektionen erkennen können

Schweizer Forscher haben zwei Algorithmen entwickelt, die ihnen zufolge Covid-19 in Lungenaufnahmen und Atemgeräuschen identifizieren können.

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(Bild: EPFL)

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Das neuartige Coronavirus Sars-Cov-2 gilt als besonders ansteckend, da Infektionen oft ohne Symptome verlaufen und nicht erkannt werden. Forscher der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) haben nach eigenen Angaben nun mit zwei von ihnen entwickelten Deep-Learning-Algorithmen ein Instrument gefunden, um solchen verborgenen Ansteckungsherden besser auf die Spur zu kommen.

Die Programmroutinen DeepChest und DeepBreath können laut den Wissenschaftlern Covid-19 in Lungenaufnahmen und Atemgeräuschen automatisch identifizieren. Die Systeme für Künstliche Intelligenz (KI) sollen dabei auf eine Genauigkeit von rund 95 Prozent kommen. Beide Algorithmen können den Forschern zufolge zudem die Schwere der Erkrankung und der damit verknüpften Einschätzung, ob eine Behandlung im Krankenhaus und eventuell künstliche Beatmung nötig ist, zu ungefähr 90 Prozent korrekt vorhersagen.

Als Ausgangsbasis dienen Daten aus Ultraschallbildern und Auskultation, also dem Abhorchen von Brust und Lunge. Die Algorithmen könnten damit Sars-Cov-2 bei Patienten sehr genau diagnostizieren und vorhersagen, wie schwer sie voraussichtlich erkranken werden.

Die Wissenschaftler zeigen sich selbst erstaunt darüber, dass erste, in einem noch nicht von anderen Sachverständigen geprüften Preprint-Artikel veröffentlichte Ergebnisse darauf hindeuten, "dass DeepBreath sogar in der Lage ist, asymptomatisches Covid zu erkennen". Der Algorithmus könne offenbar Veränderungen im Lungengewebe ausmachen, "bevor der Patient sie bemerkt". KI helfe dabei, komplexe Muster bei diesen klinischen Basisuntersuchungen besser zu verstehen, berichtete der EPFL-Professor Martin Jaggi. "Die bisherigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend."

Den klinischen Teil des DeepChest-Projekts leitet das Universitätsspital Lausanne CHUV. Dort sammelt die leitende Forscherin Noémie Boillat-Blanco, mit ihrem Team Tausende von Lungenultraschallbilder von Patienten mit Covid-19-kompatiblen Symptomen, die in die Notaufnahme eingeliefert werden. Das Projekt startete 2019 mit dem Ziel, Marker zu identifizieren, mit denen sich virale und bakterielle Lungenentzündungen besser unterscheiden lassen können. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie änderte sich der Schwerpunkt des Projekts.

Am Genfer Universitätsspital HUG zeichnete parallel Alain Gervaix, Leiter der Abteilung Frauen, Kinder und Jugendliche, seit 2017 Atemgeräusche auf, um ein intelligentes digitales Stethoskop ("Pneumoskop") zu entwickeln. Sein Projekt war zunächst auf bessere Diagnosen von Lungenentzündungen ausgelegt. Sars-Cov-2 lenkte aber auch seine Arbeit in andere Bahnen. EPFL-Forscher verwendeten die früher gewonnenen Daten zur Arbeit an DeepBreath. DeepBreath soll voraussichtlich bis Ende des Jahres bereitstehen.

Die Infografik zeigt den Ablauf, wie DeepChest und DeepBreath Covid-19 diagnostizieren sollen.

(Bild: EPFL)

Pneumoskopie mit dem Algorithmus lasse sich mit Anwendungen vergleichen, "die Musik anhand einer kurzen Abspielprobe identifizieren können", erläutert Gervaix. "Die Idee kam mir mit meiner Tochter, als ich ihr erklärte, dass ich beim Abhorchen Geräusche hören kann, die mir helfen, Asthma, eine Bronchitis oder Lungenentzündung zu erkennen".

Die Wissenschaftler räumen ein, dass noch viel zu tun bleibe, um die KI-Werkzeuge für den alltäglichen Einsatz tauglich zu machen. Schon im März hatte Mary-Anne Hartley, Ärztin und Forscherin der Gruppe intelligent Global Health (iGH) der EPFL, die lokale Forschergemeinschaft dazu aufgerufen, bei einem einjährigen Hackathon namens Coded-19 mitzumachen. "Wir arbeiten weiter an der Verfeinerung und Validierung der Algorithmen sowie daran, die komplexe Black-Box-Logik für Ärzte einfacher interpretierbar zu machen", betonte sie nun. "Wir wollen robuste und vertrauenswürdige Instrumente schaffen, die auch nach der Pandemie noch von Nutzen sind."

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Zudem arbeiten die Forscher an einer App, mit der die komplexen Deep-Learning-Algorithmen auch auf Mobiltelefonen funktionieren sollen. Hartley, Boillat-Blanco und Gervaix sind zudem dabei, weitere Trainingsdaten zusammenzutragen. Unabhängig von Covid sei die Lungenentzündung nach wie vor eine der Haupttodesursachen bei unter Fünfjährigen sowie einer der Gründe für Antibiotika-Resistenzen, von denen vor allem einkommensschwache Länder und Gemeinschaften betroffen sind. Auf diese sollen die Werkzeuge stärker ausgerichtet werden. Geplant ist auch, Modelle zur Unterscheidung zwischen viraler und bakterieller Lungenentzündung zu erweitern in der Hoffnung, damit den Einsatz von Antibiotika drastisch reduzieren zu können.

Andere Entwickler arbeiten zusammen mit dem Universitätsklinikum Augsburg an einer App, die eine Infektion mit dem Coronavirus anhand der Sprache möglichst rasch aufdecken soll. Forscher der Universität Cambridge sitzen an einer Smartphone-Anwendung, mit der sich anhand des Klangs der Stimme, der Atmung und des Hustens erkennen lassen könnte, ob ein Nutzer an Covid-19 erkrankt ist. Schwierig ist es für alle solche Projekte, die Algorithmen mit ausreichend Daten Erkrankter zu trainieren. Bei der hiesigen Corona-Warn-App sind einschlägige "Spenden" für die Forschung nicht vorgesehen.

(olb)