Kernfusion: Experten erwarten erstes Kraftwerk in frühestens 20 Jahren

Experten der Leopoldina und anderer Institute haben den gegenwärtigen Stand der Kernfusionsforschung betrachtet. Es wird wohl noch ein langer Weg.

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Fusionsreaktor JET

(Bild: UK Atomic Energy Authority)

Lesezeit: 4 Min.

Die physikalischen Grundlagen der Kernfusion gilt als verstanden. Um sie für die kommerzielle Energiegewinnung zu nutzen, werden noch mindestens 20 Jahre vergehen. Davon gehen Energie-Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften aus. Ein Kraftwerk schon in 10 bis 15 Jahren zu realisieren, wie es manche Start-ups versprechen, halten die Experten mehrheitlich für unrealistisch.

Die Dynamik in der Kernfusionsforschung habe sich in den jüngsten Jahren beschleunigt, das sei auch an der steigenden Anzahl von Unternehmen und Start-ups zu sehen, die in diesem Feld engagiert sind. Langfristig könnte die Kernfusion Strom in einem klimaneutralen Energiesystem bereitstellen, die Importabhängigkeiten verringern und beispielsweise zur Wasserstofferzeugung genutzt werden, schreiben die Forscher (PDF).

Bisher gebe es für keines der Konzepte Magnet- und Trägheitsfusion einen Prototyp; vor einem Kraftwerksbetrieb seien noch viele praktische Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählen die Experten die Steigerung der Energieausbeute, den Brennstoff Tritium zu gewinnen, das Plasma zu erforschen sowie besonders widerstandsfähige Materialien und hochleistungsfähiger Laser herzustellen. Als eine nicht zu vernachlässigende Herausforderung sehen die Experten die Finanzierung. Möglicherweise erst in 25 Jahren könne ein erstes Fusionskraftwerk laufen. Das wäre zu spät, um zu den deutschen und europäischen Klimazielen für 2045 beziehungsweise 2050 nennenswert beizutragen.

Die Technik Magnetfusion stehe auf einem etwas höheren Stand, was etwa den Versuchsaufbau im Labormaßstab betreffe. Die Verfahren der Trägheitsfusion wurden etwas später entwickelt und unterlagen längere Zeit der militärischen Geheimhaltung, weil manche Experimente auch militärische Anwendungen haben und unter anderem das Verständnis von Prozessen bei Wasserstoffbomben verbesserten.

Der ersten Voraussetzung für ein Kernfusionskraftwerk, einer sich selbsttragende Kernfusion, habe sich die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten systematisch angenähert. Hier erwähnen die Experten Laserfusionsexperimente an der National Ignition Facility (NIF) in den USA. Dabei wurde 2021 zum ersten Mal in einer kontrollierten Fusionsreaktion im Labor das Lawson-Kriterium überschritten. Das Kriterium ist das Verhältnis der freigesetzten Energiemenge aus der Fusionsreaktion zu der ins Plasma eingebrachten Energiemenge. Das sei mit der Magnetfusion bisher noch nicht erreicht worden.

Die positive Energiebilanz erwarten die Experten auch nicht mit dem Forschungsreaktor ITER, in dem 2034 die erste Plasmazündung stattfinden soll. Dafür sei die Anlage zu klein und auch nicht dafür ausgelegt. Diesen Schritt soll der nachfolgende Demonstrator DEMO erreichen, der möglicherweise 2050 Strom ins Netz speist und das benötigte Tritium selbst vor Ort erzeugt. Die ITER-Leitung hatte im Juli dieses Jahres einen neuen Zeitplan vorgelegt. Das Projekt wird sich demnach um mehrere Jahre verzögern.

Für einen wirtschaftlichen Betrieb eines Fusionskraftwerks müssten die Kernfusionsbedingungen zuverlässig über eine längere Dauer oder mit hoher Wiederholungsrate erfüllt werden. Bei der Magnetfusion müsste das Plasma über einen Zeitraum von Stunden bis Tagen stabil gehalten werden. Bisherige Rekorde liegen im Minutenbereich.

Bei der Trägheitsfusion entscheidend sei neben der zu steigernden Leistung des in das Target eingebrachten Energieimpulses, die Beschussrate zu erhöhen. Heute sind wegen der langen Abkühlzeiten des Lasers wenige Zündungen pro Tag möglich, auf der höchsten Energiestufe ein Schuss alle zwei Tage. Für einen Kraftwerksbetrieb müsste die Frequenz jedoch bei 10 bis 20 Plasmazündungen pro Sekunde liegen.

Wie teuer Strom aus Fusionskraftwerken sein wird, lässt sich aus heutiger Sicht allerdings nicht zuverlässig beantworten. Es gebe aber trotz aller Unsicherheit schon Abschätzungen zu den Stromgestehungskosten zukünftiger Fusionskraftwerke. In einer Überblicksstudie mit verschiedenen Reaktordesigns von Fusionskraftwerken liege die Spanne zwischen 38 und 157 Dollar je MWh. Die Experten gehen auch angesichts der Unwägbarkeiten, die mit neuer Großtechnik verbunden sind, davon aus, dass eher der obere Rahmen der Kostenbandbreite erreicht wird.

ITER: Der Kernfusions-Versuchsreaktor in Frankreich (95 Bilder)

Achtzehn D-förmige Ringfeldmagnete, die um das Vakuumgefäß herum platziert sind, sollen ein Magnetfeld erzeugen, dessen Hauptfunktion darin besteht, die Plasmapartikel zu begrenzen. (Bild: ITER)

(anw)