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Kernfusion: Experten erwarten erstes Kraftwerk in frĂŒhestens 20 Jahren

Andreas Wilkens
Fusionsreaktor JET

(Bild: UK Atomic Energy Authority)

Experten der Leopoldina und anderer Institute haben den gegenwÀrtigen Stand der Kernfusionsforschung betrachtet. Es wird wohl noch ein langer Weg.

Die physikalischen Grundlagen der Kernfusion gilt als verstanden. Um sie fĂŒr die kommerzielle Energiegewinnung zu nutzen, werden noch mindestens 20 Jahre vergehen. Davon gehen Energie-Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften aus. Ein Kraftwerk schon in 10 bis 15 Jahren zu realisieren, wie es manche Start-ups versprechen, halten die Experten mehrheitlich fĂŒr unrealistisch.

Die Dynamik in der Kernfusionsforschung habe sich in den jĂŒngsten Jahren beschleunigt, das sei auch an der steigenden Anzahl von Unternehmen und Start-ups zu sehen, die in diesem Feld engagiert sind. Langfristig könnte die Kernfusion Strom in einem klimaneutralen Energiesystem bereitstellen, die ImportabhĂ€ngigkeiten verringern und beispielsweise zur Wasserstofferzeugung genutzt werden, schreiben die Forscher [1] (PDF).

Bisher gebe es fĂŒr keines der Konzepte Magnet- und TrĂ€gheitsfusion einen Prototyp; vor einem Kraftwerksbetrieb seien noch viele praktische Herausforderungen zu bewĂ€ltigen. Dazu zĂ€hlen die Experten die Steigerung der Energieausbeute, den Brennstoff Tritium zu gewinnen, das Plasma zu erforschen sowie besonders widerstandsfĂ€hige Materialien und hochleistungsfĂ€higer Laser herzustellen. Als eine nicht zu vernachlĂ€ssigende Herausforderung sehen die Experten die Finanzierung. Möglicherweise erst in 25 Jahren könne ein erstes Fusionskraftwerk laufen. Das wĂ€re zu spĂ€t, um zu den deutschen und europĂ€ischen Klimazielen fĂŒr 2045 beziehungsweise 2050 nennenswert beizutragen.

Die Technik Magnetfusion stehe auf einem etwas höheren Stand, was etwa den Versuchsaufbau im Labormaßstab betreffe. Die Verfahren der TrĂ€gheitsfusion wurden etwas spĂ€ter entwickelt und unterlagen lĂ€ngere Zeit der militĂ€rischen Geheimhaltung, weil manche Experimente auch militĂ€rische Anwendungen haben und unter anderem das VerstĂ€ndnis von Prozessen bei Wasserstoffbomben verbesserten.

Der ersten Voraussetzung fĂŒr ein Kernfusionskraftwerk, einer sich selbsttragende Kernfusion, habe sich die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten systematisch angenĂ€hert. Hier erwĂ€hnen die Experten Laserfusionsexperimente an der National Ignition Facility (NIF) in den USA. Dabei wurde 2021 zum ersten Mal in einer kontrollierten Fusionsreaktion im Labor das Lawson-Kriterium ĂŒberschritten [2]. Das Kriterium ist das VerhĂ€ltnis der freigesetzten Energiemenge aus der Fusionsreaktion zu der ins Plasma eingebrachten Energiemenge. Das sei mit der Magnetfusion bisher noch nicht erreicht worden.

Die positive Energiebilanz erwarten die Experten auch nicht mit dem Forschungsreaktor ITER, in dem 2034 die erste PlasmazĂŒndung stattfinden soll. DafĂŒr sei die Anlage zu klein und auch nicht dafĂŒr ausgelegt. Diesen Schritt soll der nachfolgende Demonstrator DEMO erreichen, der möglicherweise 2050 Strom ins Netz speist und das benötigte Tritium selbst vor Ort erzeugt. Die ITER-Leitung hatte im Juli dieses Jahres einen neuen Zeitplan vorgelegt [3]. Das Projekt wird sich demnach um mehrere Jahre verzögern.

FĂŒr einen wirtschaftlichen Betrieb eines Fusionskraftwerks mĂŒssten die Kernfusionsbedingungen zuverlĂ€ssig ĂŒber eine lĂ€ngere Dauer oder mit hoher Wiederholungsrate erfĂŒllt werden. Bei der Magnetfusion mĂŒsste das Plasma ĂŒber einen Zeitraum von Stunden bis Tagen stabil gehalten werden. Bisherige Rekorde liegen im Minutenbereich.

Bei der TrĂ€gheitsfusion entscheidend sei neben der zu steigernden Leistung des in das Target eingebrachten Energieimpulses, die Beschussrate zu erhöhen. Heute sind wegen der langen AbkĂŒhlzeiten des Lasers wenige ZĂŒndungen pro Tag möglich, auf der höchsten Energiestufe ein Schuss alle zwei Tage. FĂŒr einen Kraftwerksbetrieb mĂŒsste die Frequenz jedoch bei 10 bis 20 PlasmazĂŒndungen pro Sekunde liegen.

Wie teuer Strom aus Fusionskraftwerken sein wird, lĂ€sst sich aus heutiger Sicht allerdings nicht zuverlĂ€ssig beantworten. Es gebe aber trotz aller Unsicherheit schon AbschĂ€tzungen zu den Stromgestehungskosten zukĂŒnftiger Fusionskraftwerke. In einer Überblicksstudie mit verschiedenen Reaktordesigns von Fusionskraftwerken liege die Spanne zwischen 38 und 157 Dollar je MWh. Die Experten gehen auch angesichts der UnwĂ€gbarkeiten, die mit neuer Großtechnik verbunden sind, davon aus, dass eher der obere Rahmen der Kostenbandbreite erreicht wird.

ITER: Der Kernfusions-Versuchsreaktor in Frankreich (0 Bilder) [4]

[5]

(anw [6])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://energiesysteme-zukunft.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/PDFs/ESYS_Impuls_Kernfusion.pdf
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Zuendung-Forscher-feiern-Erfolg-in-Fusionsexperiment-6169058.html
[3] https://www.heise.de/news/Kernfusion-ITER-Projekt-verzoegert-sich-um-mehrere-Jahre-und-wird-teurer-9789340.html
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/2331848.html?back=9835404;back=9835404
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/2331848.html?back=9835404;back=9835404
[6] mailto:anw@heise.de