Klägeranwälte: Prozess um Telekom-Börsengang könnte 10 bis 20 Jahre dauern

Am millionenschweren Schadenersatzprozess um den dritten Börsengang der Deutschen Telekom sind derzeit noch rund 16.000 Kläger beteiligt, der Streitwert liegt bei 78,9 Millionen Euro.

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  • dpa

Der millionenschweren Schadenersatzprozess um den dritten Börsengang der Deutschen Telekom könnte nach Einschätzung der Klägeranwälte noch 10 bis 20 Jahre dauern. Dies sei zu befürchten, wenn das Frankfurter Oberlandesgericht alle 187 strittigen Punkte abarbeiten wolle, sagte Rechtsanwalt Andreas Tilp. Am kommenden Montag und damit rund sieben Jahre nach den ersten Klagen wird das Frankfurter Oberlandesgericht die mündliche Verhandlung über den dritten Börsengang der Telekom im Jahr 2000 beginnen.

Bei einer so langen Zeitdauer sei zu befürchten, dass viele der derzeit mehr als 16.000 Kläger die Verfahren aufgeben. "Vielleicht wollte man das ja", sagte Tilp mit Blick auf das vor dem Hintergrund solcher Prozesse geschaffene Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG). Das Gesetz habe sich "in der Praxis als untauglich und höchst problematisch erwiesen", sagte Rechtsanwalt Stephan Holzinger von der Kanzlei Tilp. Er hoffe auf eine Abschaffung des Gesetzes und eine neue Regelung durch die Europäische Union. Nach Auffassung der Anwälte hat das Gericht aber auch die Möglichkeit, nur einzelne Streitpunkte zu untersuchen und dann den damaligen Börsenprospekt als insgesamt fehlerhaft einzustufen. Allerdings würden auch dann noch mehrere Jahre vergehen, bis Schadenersatz gezahlt werden könne.

Das Frankfurter Oberlandesgericht wird von diesem Montag an in einer mündlichen Verhandlung einzelne Rechtsfragen prüfen, die das Landgericht als erste Instanz zuvor formuliert hatte. Am 14. April soll auch der frühere Telekom-Chef Ron Sommer als Zeuge gehört werden. Die Kläger sehen sich durch den Börsenprospekt betrogen. Konkret geht es unter anderem um die Bewertung der Telekom-Immobilien und um die Frage, ob die milliardenteure Übernahme des US-Handybetreibers Voicestream (heute T-Mobile USA) ohne Wissen der Öffentlichkeit damals schon beschlossen war. Die Telekom-Aktien der dritten Tranche waren zum Preis von 63,50 Euro aus dem Bestand der bundeseigenen KfW verkauft worden, derzeit werden die Papiere bei rund elf Euro gehandelt. Die Kläger fordern insgesamt rund 80 Millionen Euro Schadenersatz.

Nach der aktuellen Zählung der Telekom sind derzeit in dem Verfahren noch genau 16.098 Kläger beteiligt, die Schadenersatz für die erlittenen Kursverluste der für einen Einzelpreis von 63,50 Euro ausgegebenen Aktien aus dem Bestand der KfW fordern. Die vermeintliche Volksaktie mit dem hohen Risiko notierte zwischenzeitlich schon mal auf einem Tiefststand von 8,55 Euro und hat sich bis heute nicht erholt. Der aktuelle Streitwert liegt bei 78,9 Millionen Euro, nachdem rund 1000 Kläger ihre zusammen 12,7 Millionen Euro schweren Klagen aufgegeben haben. Die Telekom hält weiterhin daran fest, dass mit ihrem Prospekt alles in Ordnung war – von der Bewertung des eigenen Immobilienbestandes bis zu den geschäftlichen Erwartungen.

In der ersten Runde hat das Verfahren bereits das Landgericht Frankfurt an die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit gebracht. Wacker, bisweilen schon fast verzweifelt kämpfte Richter Meinrad Wösthoff gegen die von 800 Anwaltskanzleien produzierten Papierberge und war heilfroh, als er nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz die zentralen Rechtsfragen dem OLG zur Entscheidung vorlegen durfte. Nach der alten Zivilprozessordnung mit Einzelfallprüfung hätten die Verfahren allein in der ersten Instanz 15 Jahre Bearbeitungszeit benötigt, schätzte Wösthoff und beklagte sich in der mündlichen Verhandlung: "Das Gericht leidet. Gerichte sind auf einen solchen Ansturm nicht eingerichtet."

Über Wösthoffs 200 Seiten starken Fragenkatalog wird nun in einem eigens angemieteten Kongresszentrum verhandelt. Theoretisch können sämtliche Kläger als Beigeladene an dem Prozess teilnehmen und über ihre Anwälte auch Fragen stellen. Für den Prozess ist ein Musterkläger bestimmt worden, ein von der Tübinger Kanzlei Tilp vertretener Rentner aus Baden-Württemberg, der mit 1,2 Millionen Euro den höchsten Klageanspruch eines Privatmanns hat und nicht ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit treten will. Um seinen Fall geht es aber ohnehin nur am Rande, Verhandlungsgegenstand sind die Fragen des Richters Wösthoff.

Los geht es mit dem Erwerb des US-Handybetreibers Voicestream, den sich die Telekom einen guten Monat nach dem dritten Börsengang 40 Milliarden Euro kosten ließ. Die Anleger vermuten, dass das in der Nachbetrachtung äußerst verlustreiche Geschäft schon während der Zeichnungsfrist eingetütet war. Gleich als ersten Zeugen hat das OLG für den dritten Verhandlungstag am 14. April den früheren Telekom- Chef Ron Sommer geladen, weitere hochrangige Manager und Spitzenbeamte folgen im engen Takt bis Ende April. Wann das Hauptthema der besonders umstrittenen Immobilienbewertung behandelt wird, ist unklar.

Ein Vergleich kommt für die Telekom nicht in Frage, weil sie zum einen an der Richtigkeit ihres Prospektes festhält, zum anderen aber auch nie sicher sein kann, dass alle Kläger sich darauf einlassen würden. Der juristische Aufwand bliebe aber derselbe. Aus genau diesem Grund ist auch der Gang zum Bundesgerichtshof im größten deutschen Anlegerprozess fast unumgänglich. Den Termin für eine weitere Musterklage gegen den zweiten Telekom-Börsengang im Jahr 1999 hat das OLG noch gar nicht festgelegt. Eine Art Treppenwitz ist in dem ganzen Verfahren der Umstand, dass das KapMuG selbst befristet ist und zum 1. November 2010 ausläuft. Das bis dahin eine rechtskräftige Entscheidung im Telekom-Verfahren gefallen sein könnte, glaubt kaum einer der Beteiligten. "Wir gehen davon aus, dass uns der Gesetzgeber dann nicht im Regen stehen lässt und nicht einfach zur alten Zivilprozessordnung zurückkehrt", meint einer der Juristen. (dpa) / (jk)