60 Absender aus elf Ländern: Wie deutsche Chips in russische Raketen gelangen

In russischen Marschflugkörpern finden ukrainische Techniker immer wieder westliche Halbleiter. China gilt als zentrale Drehscheibe fürs Umgehen von Sanktionen.

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Chip auf Mainboard

(Bild: raigvi / Shutterstock (Ausschnitt))

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Es ist ein offenes Geheimnis: Viele IT-Bauteile westlicher Konzerne wie AMD, EPCOS, Intel und Infineon sowie dessen Tochter Cypress befeuern trotz umfassender Sanktionen Putins Krieg gegen die Ukraine. Dortige Techniker entdecken in den Überresten tödlicher Marschflugkörper wie Kh-101 alias Kodiak, Kalibr und Iskander sowie im Hyperschallgeschoss Kinschal immer wieder Chips und andere Komponenten solcher Halbleiterhersteller. Nur ein Beispiel: In einer Kodiak-Rakete habe unter anderem ein Infineon-Chip mit der Produktnummer CY7C1069G30-10ZSXI gesteckt, schreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS).

Beim Zoll tragen solche Produkte dem Bericht zufolge die Tarifnummer HS 85423245. Die EU habe solche Halbleiter auf ihre Sanktionsliste gegen Russland gesetzt. Ferner seien sie in einer Sondertabelle des Sanktionsbeauftragten David O’Sullivan mit 38 "Schlachtfeldobjekten hoher Priorität" verzeichnet, zusammen mit anderen westlichen Erzeugnissen, die Moskau im Krieg gegen die Ukraine nutzt. Um zu verfolgen, wie solche Elemente in die russischen Raketen gelangen, ist die FAS zusammen mit dem norwegischen Sanktionsfachmann Erlend Björtvedt der Spur eines dieser Mikrochips nachgegangen.

Der Experte leitet das Beratungsunternehmen Corisk und untersucht im Auftrag des Helsinki-Komitees, einer zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisation, Verstöße gegen die geltenden Russland-Sanktionen. Er setzt dabei auf öffentlich zugängliche internationale Zolldaten. Dieses Verfahren gilt als seriös und diente bereits wiederholt zum Nachweis einschlägiger Lieferungen nach Russland. Björtvedts Recherchen haben der FAS zufolge ergeben, dass sich Infineon-Produkte der einschlägigen Zollkategorie trotz aller Sanktionen bis heute in einem "breitem Strom nach Russland" ergießen. Der Fachmann sei binnen kürzester Zeit auf 150.000 einschlägige Chips des Konzerns aus Neubiberg gestoßen.

Die Daten zeigen der Zeitung zufolge "einen Irrgarten von Zwischenhändlern". Beim Versand von Infineon-Halbleitern nach Russland seien rund 60 Absender aus elf Ländern aufgetaucht. Bei keinem davon sei erkennbar, von wo er die Teile des deutschen Herstellers bezogen habe. Herausgestellt habe sich aber auch: "Die meisten Endlieferanten russischer Kunden saßen dabei in China." Der russische Partnerstaat diene so "als zentrale Drehscheibe für Sanktionsumgehung in diesem Sektor". Taiwan und Thailand folgten mit einigem Abstand. Daneben gelten auch die Türkei und Kaukasus-Länder als Umschlagplätze, über die elektronische Komponenten für Computer und Waffen gen Russland gehen.

Der Infineon-Vorstandsvorsitzende Jochen Hanebeck bezeichnete es gegenüber der FAS als "bedrückend und schwer erträglich", dass Erzeugnisse seines Unternehmens "trotz bester Vorkehrungsmaßnahmen von Russland zu militärischer Nutzung missbraucht werden". Der Konzern sei dafür aber nicht verantwortlich, da er alle Kontakte in das Land und zu Distributoren gekappt habe und Spuren für Lieferungen dorthin nachgehe. Björtvedt reicht das nicht aus: Auch Infineon nutze internationale Zolldaten. Schon bei einer einfachen Routineprüfung dürften so die Querschläger "schwer zu übersehen" sein. Plötzliche Zuwächse bei einzelnen russischen Käufern wie Elektronik- und Luftfahrtkonzern Itelma hätten bei den Neubibergern zusätzlich die Alarmglocken schrillen lassen müssen.

(bme)