Kolumne: Innovation? Innovation! Design Driven Innovation: Müssen wir den Kunden fragen?

Kann es Innovation dadurch geben, was Kunden wünschen? Wie eine weitere Perspektive aussehen kann, untersucht Rolf Scheuch in seiner Innovationskolumne.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 20 Kommentare lesen
VUCA

(Bild: estherpoon / shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Rolf Scheuch
Inhaltsverzeichnis

Nach der Osterpause melde ich mich mit einem recht kontroversen Thema zurück: Müssen wir unsere Kunden fragen, um zu erfahren, was Sie benötigen? Hat Apple vor einem Jahrzehnt wirklich eine Kundenbefragung durchgeführt, um die Idee für seinen App Store und damit die Revolution einer, naja, mehr oder weniger, offenen Plattform zu entwickeln?

Eine Kolumne von Rolf Scheuch

Seit 1982 ist Rolf Scheuch (Mitbegründer von Opitz Consulting) in der IT tätig. Heute arbeitet er als Management-Coach, Referent und Autor. Schwerpunkt ist die veränderte Rolle der IT durch die Digitalisierung mit den spezifischen Themen Agilität, Rightsourcing und Innovationsfähigkeit der IT. Das Motto des Mathematikers ist "When in doubt simplify" und damit bewertet er Pragmatismus immer höher als theoretische Konstrukte.

Was haben wir dazu im BWL-Studium gelernt? Es gibt eine nachfrage- und eine angebotsinduzierte Innovation (Jürgen Hauschildt, Prof. Dr. Sören Salomo, Innovationsmanagement). Der Treiber wird mit dem schönen englischen Begriff "Demand-Pull" beschrieben. Der Auslöser ist ein veränderter Absatzmarkt oder ein neues Kundenbedürfnis. Man horcht demnach in seinen Markt hinein und erkennt dieses Bedürfnis. Um Kunden in diesem Sinn "zu befragen", haben sich etwa Customer Advisory Boards, Tiefeninterviews mit Lieblingskunden oder andere Methoden etabliert. Auf der anderen Seite ist es meist ein "Technology-Push", der ein innovatives Marktangebot oder eine Marktansprache etwa durch ein neues digitales Geschäftsmodell auslöst. Eine generelle Unterscheidung ist hier äußerst schwierig, da beide Aspekte sich implizit gegenseitig beeinflussen und genau die Verbindung beider Sichten ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein kann. Bezogen auf das Geschäftsmodell, wäre dies das Alignment der Value Proposition des Produkts auf der einen Seite und des Kundenbedürfnisses auf der anderen Seite.

Hinsichtlich der grundlegenden Wirkung der Innovation stellt P. Drucker fest, dass eine radikale Innovation meist durch einen Technology-Push erfolgt und ein an den Kundenbedürfnissen ausgerichteter Innovationsprozess eher inkrementelle Verbesserungen ermöglicht (Peter F. Drucker, Innovation and Entrepreneurship). Viele Unternehmen, die sich durch bessere Customer Insights oder auch durch ein tiefergehendes Kundenverständnis, zum Beispiel über eine Co-Creation mit ausgewählten Kunden, eine radikale Innovation erhoffen, bekommen damit einen Dämpfer.

Es geht auch anders! Der italienische Ökonom Verganti stellt mit "Design-Driven Innovation" (oder auch "Design-Inspired Innovation") einen neuartigen Ansatz zur Schaffung von Innovation auf (Roberto Verganti, Design-Driven Innovation). Einige Vertreter dieses Ansatzes sind Apple, Nintendo, Alessi oder der Händler Whole Foods Market. Ernesto Gismondi, Vorstand von Artemide, fasst diese Sicht auf Innovation sehr prägnant zusammen: "Market? What market! We do not look at market needs. We make proposals to people!" Cool!

Mit einem Ansatz für Design-Driven-Innovation treten die Firmen von den oft drängenden Kundenbedürfnissen einen Schritt zurück, um eine breitere Perspektive einzunehmen. Ich hoffe, dies klingt nicht zu esoterisch, aber man versucht damit, den Kontext der Produktnutzung im Leben der Kunden zu verstehen. Dabei fließen soziokulturelle wie auch zukünftige Technologien in die Sicht mit ein. Auch Mega-Trends sollten berücksichtigt werden, um zu verstehen, wie sich Verhalten künftig verändern wird. Es kommen für Ökonomen eher ungewohnte Fragen auf den Tisch wie: Wie soll das Produkt das Leben der Menschen verbessern und erleichtern?

Betrachten wir zum Beispiel Apple mit seinem Smartphone, das auch, fast nebensächlich, als Telefon verwendet werden kann. Aber in der Hauptsache dient es der Kommunikation, dem Spieltrieb, dem Zeitvertreib und dem Informationsaustausch. Tatsächlich gab es vor Apple schon erste Ansätze in diese Richtung, aber der Ansatz "offene" Plattform in genau dieser Form war neu. Auch das Design von Apple machte die Nutzung einfach. Und, dann noch die Vielzahl an Sensoren! Fast schon wie der Kommunikator aus Star Trek.

Was braucht man für einen Design-Driven-Ansatz? Unternehmen, die ihre eingeschränkte Perspektive auf den Absatzmarkt öffnen und andere Sichtweisen in den Innovationsprozess einbeziehen. Darin stecken Gedanken aus dem Open-Innovation-Ansatz, die Vorgänge bleiben hier aber intern, das heißt, der Innovationsprozess spielt sich im Unternehmen ab.

Verganti empfiehlt, in Innovationsprojekte eine größere Menge unterschiedlicher Mitarbeiter einzubinden, die gegensätzliche Sichtweisen und ein ungleiches Verständnis der möglichen Bedürfnisse eines möglichen Absatzmarkts mitbringen. Aus diesem Netzwerk mannigfaltiger Sichtweisen heraus entsteht die Idee für ein Angebot. Dies ist keine echte Open Innovation, aber bereits ein Öffnen des Innovationsprozesses über die Unternehmensgrenzen hinweg.

Doch zurück zu unserer Ausgangsfrage: Müssen wir immer den Kunden fragen? Ja, das müssen wir! Gerade wenn wir unsere Wettbewerbsposition im angestammten Markt stärken wollen. Aber deshalb eine radikale Innovation zu erwarten, ist wahrscheinlich illusorisch. Die Demand-Pull-Innovation hat ihre Stärke im Bereich der inkrementellen, also schrittweisen, Innovation. Schließlich sind es letztlich die Kunden, die ihre Bedürfnisse einbringen. Liebling der Top-Manager ist die disruptive Innovation, und gerade diese kann eher durch eine Design-Driven Innovation ausgelöst werden. War das nicht der "alte" Trick? Neue Bedürfnisse bei den Kunden wecken und so einen neuen Markt "bauen".

Wenn Sie mich fragen, sollten Unternehmen vor allem darauf achten, eine Ausgewogenheit beim Innovationsportfolio herzustellen. Die inkrementelle Verbesserung weist ein deutlich geringeres Risiko auf und ist besser planbar. Allerdings weckt die Digitalisierung die Hoffnung auf DIE EINE radikale oder sogar disruptive Innovation, die den Markt verändert. Diese eher explorativen Ansätze des Technology-Push bzw. der Design-Driven Innovation sollten jedoch einen zugesicherten Budgetrahmen erhalten, vielleicht sogar als "Schutzraumprojekt" gesehen und nicht durch einen umsatz-/margenorientierten Planungsprozess erstickt werden. Die "Karotte hängt hoch" – um es bildlich auszudrücken –, doch wenn es gelingt können sich Unternehmen durch radikale oder sogar disruptive Innovation natürlich eine gute Position auf einem im Idealfall neuen Absatzmarkt sichern. (jk)