Kolumne: Innovation? Innovation! Gift und Gegengift: How to kill Innovation!

Scheinbar eingefahrene Situationen schreien nach besonderen Ansätzen. Rolf Scheuch geht in seiner Kolumne einer besonderen Methode nach.

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(Bild: Peshkova / shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Rolf Scheuch

Ich liebe sie: Die Gift-Gegengift-Methode, die sich wunderbar eignet, um Lösungsansätze für scheinbar eingefahrene Situationen zu erarbeiten. Bei dieser Methode suchen wir nach einem Gift für unser eigenes Scheitern. Die Gift-Gegengift-Methode setze ich in meinen Teams beispielsweise ein, um Risiken beim Aufbau und dem Betrieb eines Digital Labs zu beleuchten: Gleichsam als "Teufelchen" betrachten wir das System "Digital Lab" von oben und überlegen uns gemeinsam "vergiftende" Glaubenssätze, Regelwerke und Prinzipien, die unseren Ansatz scheitern lassen könnten.

Eine Kolumne von Rolf Scheuch

Seit 1982 ist Rolf Scheuch (Mitbegründer von Opitz Consulting) in der IT tätig. Heute arbeitet er als Management-Coach, Referent und Autor. Schwerpunkt ist die veränderte Rolle der IT durch die Digitalisierung mit den spezifischen Themen Agilität, Rightsourcing und Innovationsfähigkeit der IT. Das Motto des Mathematikers ist "When in doubt simplify" und damit bewertet er Pragmatismus immer höher als theoretische Konstrukte.

Wir "hacken" also unseren eigenen Innovationsansatz! Das macht nicht nur einen Riesenspaß sondern, sondern rüttelt auch feste Denkweisen richtig durch. Auf diese Weise lösen wir uns insbesondere von linearen Denkansätzen bei der Problemfindung und gestatten uns, ein Versagen zu denken – ja, durch die Auswahl des richtigen Giftes, das Versagen sogar zu erzwingen.

Bei unserem Vorgehen machen wir uns einen ganz ähnlichen Ansatz zunutze: den Ansatz von den festverankerten negativen Glaubensätzen. Denkweisen, die uns daran hindern, erfolgreich zu sein. "Geht doch eh schief!" "Wir kriegen sowieso kein Budget für unsere Ideen – und Zeit dafür sowieso nicht!" Die Liste dieser Glaubensätze ist lang und solche negativen Maximen sind oft tief eingebrannt und damit "Gift" für rationale Entscheidungen. Kurz: Negative Glaubenssätze sind optimal geeignet für ein Brainstorming mit der Gift-Gegengift-Methode!

Worauf warten wir, auf geht’s in ein Beispiel: "Eine einzige digitale Einheit für Innovation reicht"

Ich spreche häufig mit Unternehmen, die Innovationen dadurch schaffen möchten, dass sie diese nach dem Motto "Keep it simple" in eine einzige digitale Einheit auslagern. Diese Einheit nennen sie Digital Lab oder Inno Lab oder ... Das Problem: Der Begriff "Innovation" bleibt unscharf, oft sogar ganz bewusst, und am Ende meint jeder einzelne etwas anderes, wenn von "Innovation" die Rede ist.

Häh? Wie bitte soll das gehen? Wie sollen Vorhaben und Organisationseinheiten für "Innovation" erfolgreich sein, wenn im Unternehmen unterschiedliche Erwartungen und Zielvorstellungen kursieren? Und reicht wirklich eine einzige digitale Einheit aus, um wirtschaftlich relevante Ideen zu erzeugen, neue digitale Produkte oder Geschäftsmodelle zu entwickeln und dann noch diese zum wirtschaftlichen Erfolg zu bringen? Und dabei dann auch noch diese Vielfalt mit dem gleichen Personal abzudecken? Das erscheint echt verwegen … Oder?

Halt! Tatsächlich gibt es hierfür sogar einen Lösungsansatz: Die digitale Einheit ist ein "virtueller Raum", der projektspezifisch, temporär mit dem passenden Personal besetzt wird. Das Management dient nur der Schaffung eines Raums für isolierte, aus der Organisation herausgezogene Projekte; andere sprechen in diesem Kontext auch von Schutzraumprojekten, die bewusst gegen Regeln verstoßen dürfen, ja sogar sollen. Die Innovationsteams organisieren sich selbst. Die Projekte werden bei "Misserfolg" abgebrochen oder wandern im Erfolgsfall in die operativen Einheiten zurück, um den wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen und zu verfestigen.

In vielen Fällen hingegen könnte es sinnvoller sein, in einem lebendigen Netzwerk unterschiedlicher, digitaler Einheiten zu agieren und über Vergabeströme stets die richtige Einheit für die Aufgabe zu wählen.

Schon stehen wir vor einem Durcheinander. Ein Durcheinander, das zurückzuführen ist auf die erwähnte zu weite und unspezifische Erwartungshaltung an eine digitale Einheit sowie auf die ungeklärte Frage: Was bedeutet "Innovation" für das Unternehmen?

Unser Gift "eine einzige digitale Einheit für Innovation reicht" hat also ausgereicht, um eine grundlegende Irritation zu erzeugen. Doch für jedes Gift gibt es ja glücklicherweise ein Gegenmittel: Welches Gegengift können wir hier verordnen?

Der erste Schritt liegt nahe: Er besteht in einer klaren Formulierung der Erwartungen aller wichtigen Protagonisten an die digitale Einheit und der Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses des Innovationsgedankens. Ohne eine Definition geht es nicht. Es heißt also, in den sauren Apfel beißen und "Innovation" für die Firma definieren. Nicht alle müssen mitmachen, aber alle müssen über eine verbindliche Sicht auf Innovation informiert und gegebenenfalls geschult werden. Hierzu ist es vor allem zwingend nötig, das Topmanagement bei der Zielsetzung, also der Formulierung von Vision und Zielen, einzubeziehen und eine Freigabe zu erhalten. Auf Basis dieser gemeinsamen verstanden Erwartungshaltung lässt sich eine Organisation für Innovation aufstellen und ein passendes Führungssystem entwickeln.

Soweit nur mal ein erstes Beispiel. Die Gift-Gegengift-Methode eignet sich für viele Risiko-Szenarios. Und für mich ist es immer wieder ein Genuss, auch einmal hemmungslos negativ sein zu dürfen. Ich bin gespannt und freue mich, wenn Sie Ihre Erfahrungen mit der Methode mit mir teilen. (jk)