Kommentar zu Apples WWDC 2020: Kommt der Mac jetzt weg?

Apples Umstieg von Intel zu ARM und insbesondere das völlig umgestaltete macOS Big Sur zeigen eine Richtung auf, von der Ben Schwan nicht überzeugt ist.

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macOS 11 alias Big Sur

macOS 11 alias Big Sur.

(Bild: Apple)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Vor ziemlich genau sechseinhalb Jahren gaben drei wichtige Apple-Manager ein bemerkenswertes Interview zum 30. Geburtstag des Mac. Das runde Jubiläum der Maschine, die Apple richtig groß gemacht hat, nahmen Marketing-Chef Phil Schiller, Software-Chef Craig Federighi und Software-Technik-Chef Bud Tribble zum Anlass, gleich mehrfach zu betonen, dass die Zusammenführung von macOS und iOS "absolut kein Ziel" sei.

Schiller meinte, aus seiner Sicht werde es den Mac "für immer" geben, für Federighi war eine Kombination des iPhone-Betriebssystems mit macOS schlicht "Energieverschwendung". Es sei zwar "naheliegend und einfach", ein Gerät wie das MacBook Air mit einem Touchscreen auszurüsten – Apple glaube aber nicht, dass dies zu einem guten Nutzererlebnis führe.

Schneller Vorlauf ins Jahr 2020 und zur WWDC-Keynote vom Montag. Die war nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie von Apple aufgrund der Corona-Krise komplett virtuell (und sehr deutlich aufgezeichnet) abgehalten wurde, sondern aufgrund ihres Inhalts. Der Mac bekommt künftig ein Herz mit ARM – Chips der A-Baureihe von Apple spielen in spätestens zwei Jahren statt Intel-Prozessoren die erste Geige in der Rechnerlinie.

Ein Kommentar von Ben Schwan

Mac & i-Redakteur Ben Schwan schreibt seit 1994 über Technikthemen und richtet sein Augenmerk mittlerweile insbesondere auf Apple-Geräte. Er mag das Design von Mac, iPhone und iPad und glaubt, dass Apple nicht selten die benutzerfreundlicheren Produkte abliefert. Immer perfekt ist die Hard- und Software-Welt aus Cupertino für ihn aber nicht.

Dass das passieren würde, hatte die Gerüchteküche schon seit Jahren vorhergesehen, nun wird es umgesetzt. Apple bemühte sich, die Ängste und Sorgen der Mac-Fans zu mildern. Man sei am besten, wenn man Soft- und Hardware kontrolliere, so Konzernchef Tim Cook. Nur "wenige Tage" brauche ein App-Entwickler, um aus einer Intel- eine ARM-Anwendung zu bauen, ergänzte Federighi, dank Rosetta 2 soll sich Intel-Code inklusive Spielen direkt ausführen lassen und überhaupt seien die A-Chips so schnell, dass das alles kein Problem darstellt. Schließlich ist Apple solche Umstiege gewöhnt und war sich für radikale Schwenks nie zu schade.

Alles in allem also alles total fein, oder? Dank ARM kann es bald Macs geben, die flotter arbeiten, kühler laufen – und auf die lahme, verzögerungsbehaftete Roadmap von Intel ist Apple auch nicht mehr angewiesen. Einziger Verlierer ist also nur der Chipriese, nicht wahr? All das hätte ich zunächst auch vermutet. Allerdings hatte ich da noch nicht den bemerkenswerten Videoauftritt von Alan Dye, seines Zeichens Vice President of Human Interface Design und eine Art Jony Ive 2.0 für den Software-Bereich, gesehen.

Der durfte die nächste Version von macOS mit dem Codenamen "Big Sur" präsentieren. Und die ist schlicht und ergreifend außergewöhnlich. Ohne dass es dazu auch nur ein einziges detailliertes Vorabgerücht gegeben hätte, hat Apple die Software-Grundlage des Mac optisch und bedientechnisch komplett umgekrempelt. Die neue Version heißt nicht umsonst intern "11.0" – die Zehner-Reihe (Mac OS X!) ist nach fast 20 Jahren beendet. Die "größte Designänderung seit der Einführung von Mac OS X" (Dye) sorgt dafür, dass die Oberfläche aussieht wie ein Zombie aus iPadOS, iOS und dem Mac. Apple hat kaum einen Stein auf dem anderen gelassen, von der Menüleiste (transparent, fast nicht mehr sichtbar) über die Icons (klassische iOS/iPadOS-Form) bis hin zum nun dem Mac eingepflanzten Kontrollzentrum aus iOS.

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Die neuartige "Seitenleiste", die iPadOS nun kennt, ist auch in diversen Apple-Apps unter macOS Big Sur vorhanden, die so aufgeräumter aber auch um direkt erreichbare Funktionen beraubt ausschauen. Man wird mehr klicken müssen. Das ganze Bedienparadigma des Mac dürfte sich ändern, auch wenn Dye den neuen Look nicht als dies verkaufte – schließlich sei der Mac es ja, auf dem Apple alle seine Ideen umsetze und daher sehr wichtig für den Konzern.

Für mich sieht das alles nach dem aus, wovor ich mich immer gefürchtet hatte: Dass Apple den Mac mehr und mehr zum iOS-Gerät umbaut. Dass das bedientechnisch wenig sinnvoll sein kann, ist das eine. Die Einschränkung der Freiheiten, die macOS-Nutzer seit Jahrzehnten kennen, ist das andere. Denn genau dies könnte nun passieren: Die weit(er)gehende Vernagelung des Mac.

Erste Ansätze fährt Apple längst: Kernel Extensions werden verbannt, App-Signaturen zur Pflicht, macOS 10.15.5 erstellt plötzlich keine bootbaren Backups mehr. Auf einem ARM-Mac kann Apple hier noch viel mehr abdichten, schließlich kriegt der nicht nur einen T2-Sicherheitschip, sondern gleich eine Secure Enclave.

All das wird dazu fĂĽhren, dass der Mac langfristig nicht mehr Mac sein wird. Auch die Software-Entwickler werden sich dreimal ĂĽberlegen, ob sie noch macOS-Apps programmieren sollen, wenn ein ARM-Mac doch einfach (natĂĽrlich nur mehr schlecht als recht) nativ iOS- und iPadOS-Programme ausfĂĽhren kann. Wozu braucht man eine solche Maschine dann eigentlich noch? Ein iPad Pro mit Magic Keyboard tut's doch auch? Das ist eine zentrale Frage, die Apple bei der WWDC-Keynote nicht beantwortet hat. Denn wenn macOS mehr und mehr wie iOS und iPadOS ist, kann der Mac eigentlich weg. Hoffentlich kommt es nicht dazu. (bsc)