Krankenhäuser fordern weniger Bürokratie

Ärzte und Pflegekräfte beschäftigen sich im Durchschnitt fast drei Stunden pro Tag mit Bürokratie. Die staatliche Digitalisierung ist bisher kein Lichtblick.

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Stapel mit altem Papier

(Bild: Photo For Everything/Shutterstock.com)

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Ärzte und Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern sind durchschnittlich fast drei Stunden pro Tag mit Bürokratie beschäftigt, wie eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) ergab. Die DKG sieht in der Bürokratie eine Belastung der Patientenversorgung und fordert eine Reduzierung des Dokumentationsaufwands. Kritisch sehen Pflegekräfte und Mediziner auch, dass Vorgänge mehrfach dokumentiert werden, da helfe auch die Digitalisierung nicht. Bevor digitalisiert werde, müsse erst eine Bestandsaufnahme über die zu digitalisierenden Prozesse gemacht werden, erklärt DKG-Vorsitzender Dr. Gerald Gaß.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will die Krankenhäuser in Zukunft mit einem Entbürokratisierungsgesetz und Digitalisierung entlasten; dazu hat die DKG jetzt ein Positionspapier verfasst. Auch die mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum geplanten Pflichten sorgen neben bereits bestehenden Datenübermittlungspflichten für hohe bürokratische Aufwände. Beispielsweise ist, wie im Positionspapier aufgeführt, eine Beschreibung der Datensätze erforderlich, die die Krankenhäuser als Gesundheitsdateninhaber jährlich übermitteln und prüfen müssen.

Die Digitalisierung konnte bisher keine Entlastung schaffen. Sie habe zudem bei vielen Krankenhäusern aufgrund eines Investitionsstaus nicht weiter ausgebaut werden können, erklärt die Pflegedirektorin im Westpfalz-Klinikum, Andrea Bergsträßer. Zwar ist mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) eine Förderung der Digitalisierung vorgesehen, allerdings gebe es nicht genug Software-Anbieter, um die Anforderungen an die Digitalisierung in dem Tempo umzusetzen, wie gesetzlich gefordert. Zudem fördere das KHZG nur bestimmte Projekte.

Selbst mit finanziellen Möglichkeiten der Krankenhäuser seien viele Systeme zudem nicht interoperabel, moniert Gaß. Als Beispiel nannte er die dezentrale Blutdruckkontrolle, Laborergebnisse oder Ähnliches aufgrund fehlender Schnittstellen nicht automatisiert über das Krankenhausinformationssystem (KIS) in die Patientenakte gelangten. Oft würden Daten digital erhoben, müssten dann aber händisch ins KIS übertragen werden. Mit den Standardisierungsvorgaben der Gematik als zukünftige Digitalagentur des Bundesgesundheitsministeriums soll sich das ändern. Laut Gaß könne die Digitalisierung – von Spracherkennungssystemen bis hin zu den Informationssystemen – zwar helfen, dazu brauche es aber auch entsprechende Investitionen, aber nicht nur einmalig.

Die Umfrageergebnisse des DKI zeigen, dass Vollzeit angestellte Ärzte durchschnittlich 2,9 Stunden und Pflegekräfte 2,7 Stunden am Tag mit Dokumentationsaufgaben und Nachweispflichten verbringen. "Drei Stunden pro Tag entsprechen 116.600 von knapp 343.000 Vollkräften (34 Prozent) im Pflegedienst von Allgemeinkrankenhäusern und 59.500 von gut 165.200 ärztlichen Vollkräften bundesweit (36 Prozent). Diese Fachkräfte stehen in der Zeit, in der sie die ausufernden Bürokratiepflichten erfüllen müssen, nicht der Patientenversorgung zu Verfügung", so Gaß.

Die Dokumentation habe sich über viele Jahre von einer notwendigen Nebentätigkeit zu einer extremen Last entwickelt. "Das Problem von medizinisch und pflegerisch viel zu oft nicht notwendiger Schreibarbeit ist völlig außer Kontrolle geraten", heißt es von der DKG. Eine Verringerung der Dokumentationsaufgaben um nur eine Stunde pro Tag und Arbeitskraft würde laut DKG dafür sorgen, dass 21.000 Ärzte und 47.000 Pflegekräfte mehr für die medizinische und pflegerische Versorgung zur Verfügung stehen.

Man wüsste inzwischen nicht mal mehr, wofür Daten erhoben werden müssen, erklärt Denny Götze, Pflegerische Bereichsleitung für Anästhesie und Intensivmedizin im Evangelischen Waldkrankenhaus Berlin. Ein großer Teil diene nicht dazu, den Behandlungserfolg nachzuweisen – etwa die regelmäßige Dokumentation über die Temperatur der Kühlschränke.

Bei den Kodierungsprüfungen mit den Medizincontrollern im Krankenhaus müssten laut Götze alle Dokumente, die eine Abrechnungsrelevanz haben, fallbegleitend geprüft werden. Teilweise sei das aber nicht mehr prüfbar, etwa bei einem sich mehrere Wochen auf Station befindenden Patienten, für den täglich mehrere Seiten Papier ausgedruckt würden. Laut Götze müssen diese im Dialog zwischen Medizincontrollern und Ärzten und Pflegekräften geprüft werden.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hofft auf das von der Ampel-Koalition und dem Gesundheitsministerium geplante Bürokratieentlastungsgesetz. "Die Politik sollte Wort halten. [...] Sie sprechen immer von Entbürokratisierung, aber es findet diese de facto nicht statt", sagte Dr. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin. Es existiere mittlerweile eine "Schattenwirtschaft der Überbürokratisierung". Diese Bürokratie entziehe dem medizinischen Personal viel Energie. Die Ärzte wollen nicht mehr Geld, sondern mehr Zeit. Dafür müsse für jede neue Form der Bürokratie eine alte weichen. Die jetzigen bürokratischen Aufwände würden die Medizin gefährden.

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(mack)