Kritik: Geplante EU-Whistleblower-Richtlinie birgt hohe Risiken für Hinweisgeber

Seite 2: Brandbrief an europäische Justizminister

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In einer Petition plädieren 81 zivilgesellschaftliche Organisationen an den Europäischen Rat, die Position des Europäischen Parlaments zu übernehmen. Das Parlament verlangt keinen Vorrang des internen Meldewegs. Auch das Whistleblowing International Network, das in über 35 Ländern zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützt, drängt nun in einem Offenen Brief an alle 28 europäischen Justizminister darauf, auf den verpflichtenden internen Meldeweg zu verzichten. Eine derartige Regelung würde bereits bestehende Gesetze in verschiedenen Mitgliedstaaten untergraben.

In den Niederlanden können sich Hinweisgeber an eine externe Whistleblower-Institution wenden, die in Zusammenarbeit dem Whistleblower den geeignetsten Meldeweg festlegt. In Schweden räumt die Verfassung sogar Beamten das Recht ein, ohne Einmischung sich direkt an die Medien zu wenden. In Österreich betreibt die Staatsanwaltschaft eine anonyme Hotline, die Berichte über mögliche Wirtschaftsvergehen oder Korruption entgegennimmt. Nach dem Zusammenbruch des Bankensektors und einer Reihe von Skandalen in der Regierung und in Strafverfolgungsbehörden hat Irland das europaweit fortschrittlichste Whistleblower-Gesetz verabschiedet: Der irische Protected Disclosures Act von 2014 erlaubt es jedem Arbeitnehmer, sich direkt an Regulierungsbehörden zu wenden, wenn sie glauben, dass ihre Informationen "im Wesentlichen wahr" sind. Entsprechend müssen sie nicht zunächst ihren Arbeitgeber informieren.

Das Whistleblowing International Network weist darauf hin, dass in der Praxis die meisten Hinweisgeber sich zuerst an ihren Arbeitgeber wenden. Eine externe Meldung finde daher nur selten statt. Eine Studie für das französische Arbeitsministerium stellte 2016 fest, dass 57 Prozent der Arbeitnehmer sich zunächst an einen Kollegen wenden. Eine britische Studie ergab, dass sogar 82 Prozent ihre Bedenken zunächst dem Arbeitgeber mitteilen. In den USA bevorzugen sogar zwischen 90 und 97 Prozent der Arbeitnehmer die interne Meldung, wie eine Unternehmensbefragung wiederholt feststellte.

Eine obligatorische interne Berichterstattung hingegen schaffe "reale und unnötige Kommunikationsbarrieren", da der Arbeitgeber damit bestimmte Meldewege und -systeme vorschreiben könne, warnt das Whistleblowing International Network. Die Hinweisgeber müssten daher erraten, ob sie noch rechtlich geschützt sind, wenn sie sich an Aufsichtsbehörden oder Polizei wenden. Meist erfahren sie das erst nach Abschluss der Gerichtsverhandlung. Von dieser rechtlichen Unsicherheit gehe eine "abschreckende Wirkung" aus. In der Lebensmittelindustrie beispielsweise werde sich kaum ein Arbeitnehmer noch an die Behörden wenden, wenn er nicht sicher nachweisen könne, dass etwa von vergifteten Eiern tatsächlich ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko ausgehe. Bis sich der Arbeitnehmer darüber wirklich im Klaren sei, könne es dann aber bereits zu spät sein.

Nach den EU-Vorschlägen müssten Arbeitnehmer ihre brisanten Informationen aus der normalen Führungshierarchie heraushalten und offiziell Bericht über den vom Arbeitgeber vorgeschriebenen Meldekanal erstatten. Das könne zu einem Berichtsstau in dem jeweiligen Büro sorgen, warnt das Whistleblowing International Network, und den normalen Informationsfluss blockieren. Überdies ermöglichten die internen Berichte es böswilligen Arbeitgebern, die Justiz zu behindern. Der EU-Entwurf sehe nämlich eine dreimonatige Frist vor, in der diese dann ihre Vertuschung perfektionieren und den Hinweisgeber diskreditieren könnten. Die Regelungen zum Schutz der Hinweisgeber machten damit das Whistleblowing "gefährlicher" und "unwahrscheinlicher". (olb)