Glasfaser, Bahn, Strom: "Wir haben ein Infrastrukturversagen"

Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag beklagte "frappierenden Rückstand", den Deutschland bei schnellem Internet und anderen wichtigen Netzen habe.

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Strommast

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.

Eine Zeitenwende bei Reparatur und Ausbauen essenzieller Infrastrukturen vermisst der Vize-Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags, Kay Ruge. Die Bundesregierung habe zwar erkannt, dass flächendeckend Glasfaser nötig sei, erklärte der Jurist am Dienstag auf dem Thementag Gigabitstrategie des Behörden-Spiegels. Doch es gebe ein Umsetzungsproblem. Deutschland habe nicht nur bei schnellem Internet einen "frappierenden Rückstand über die Jahre aufgebaut". Die Folgen seien auch bei der Bahn, Straßen und dem Stromnetz sichtbar: "Wir haben ein Infrastrukturversagen."

Bei Glasfaser plädiert Ruge prinzipiell für eigenwirtschaftlichen Ausbau, der zügiger vorankommen müsste. "Die Kommunen wollen keine Netzbetreiber sein", versicherte er. "Wir bringen uns nur ein, weil wir Defizite sehen." So bräuchten Städte und Gemeinden allein für die erneuerbaren Energien überall Glasfaser. Dafür seien sie kommunal mitverantwortlich. Um beim Breitbandausbau voranzukommen, hält der Landkreisvertreter neben staatlicher Förderung auch standardisierte, nachnutzbare Produkte und Open Access für nötig, also für Mitbewerber offenen Zugang zu Glasfasern.

Die Kollegen hätten begriffen, dass möglichst flächendeckender Ausbau in Kommunen sich nicht nur auf die Zentren der Siedlungen beschränken dürfe, betonte Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM). In jedem Ort gebe es Häuser am Ende einer jeden Straße, wo Leitungen nicht wirtschaftlich zu verlegen seien und auch VDSL auf Kupferbasis nicht weiterhelfe: "10 bis 15 Prozent bleiben übrig." Hier sei wichtig, nicht die Bagger wieder wegfahren zu lassen, sondern die letzten Meter über ein beschleunigtes Förderprogramm ("Superfast Lane") noch mit abzuräumen. Die EU-Kommission sehe bei so einem Ansatz keine Wettbewerbsprobleme.

"Wir bauen so schnell wie nie", hielt Grützner der Einschätzung des Statistischen Bundesamts entgegen, dass Deutschland immer noch kein Glasfaserland sei. Auch hohe Kosten und die steigende Zinsbelastung hätten die Investitionen bislang nicht gebremst. Alle Gemeinden auf einmal könnten aber nicht "im nächsten Jahr" voll versorgt werden. Es sei bedauerlich, dass eine Verständigung auf "irgendeine Priorisierung" nicht möglich gewesen sei. So herrsche nun "ein bisschen Wild-West", da jeder Bürgermeister der Erste sein wolle.

"Die Ausgangsbasis darf uns noch nicht zufriedenstellen", sei "aber auch nicht desaströs", meinte Susanne Ding, Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Rund ein Viertel aller deutschen Haushalte könne Glasfaser buchen. "Das tun aber nicht alle", auch darüber müsse man sprechen. Auf jeden Fall werde die Digitalisierung von der Politik nicht "depriorisiert": "Trotz schwierigster Haushaltsverhandlungen werden wir ein hohes Förderniveau von drei Milliarden Euro wohl aufrecht erhalten können." Außerdem werde der Ausbau durch neue Genehmigungsfiktionen ähnlich wie beim Errichten von Mobilfunkmasten beschleunigt.

"Die Deutschen sind sehr rational", ging Walter Fischedick, Abteilungsleiter Digitalisierung in der Hessischen Staatskanzlei, auf den letztlich entscheidenden Endkunden ein. Sie fragten sich etwa: "Was zahl' ich für Breitband, was kostet Glasfaser" und welchem Mehrwert bietet diese? Netflix kriege man auch mit 100 MBit/s ganz gut hin. Wichtig seien daher neue Anwendungen wie Virtual Reality, mit denen der Bandbreitenbedarf steigen werde.

Grützner sieht dagegen E-Government-Dienste als den Treiber, wo die Bundesrepublik besonders stark hinterherhinke. Mit dem geplanten Onlinezugangsgesetz 2.0 würden quantitative Vorgaben nun sogar noch gestrichen, statt richtig Gas zu geben. Dabei biete die Digitalisierung der Verwaltung auch die Chance, analoge Prozesse auf die Probe zu stellen und eine "neue Welt" zu schaffen.

"Digitalisierung kostet Know-how", das nicht vom Himmel falle, suchte Ruge die Kommunen in Schutz zu nehmen. Eine Kreisverwaltung könne nicht ständig neue Aufgaben übernehmen. Entscheidend sei "echte Entschlackung, um Verfahren zu beschleunigen" und den Prüfaufwand zu reduzieren. Fischedick pflichtete ihm bei: "Wir brauchen Fachkräfte, junge Menschen, die in den MINT-Bereich gehen." Ändere sich hier nichts, sei das eine große Bedrohung für den Wirtschaftsstandort.

(ds)