Libanon steht vor Internet-Ausfall weil Devisen, Strom und Diesel fehlen

Im Libanon könnte bald das Internet ausfallen. Das wäre der Sargnagel für die darniederliegende Wirtschaft, warnt der staatliche Provider.

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Staubige Zapfsäule, daneben liegt der Zapfhahn auf dem Boden

Devisenmangel führt im Libanon zu Dieselmangel. Dabei ist der Diesel für Menschen und Wirtschaft überlebenswichtig.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mangel an Strom und Diesel im Libanon bedroht dort den Zugang zum Internet. Davor warnt der Chef des staatlichen Internetproviders Ogero, Imad Kreidieh, in einem Interview mit der Tageszeitung The National. Das Land befindet sich seit 2019 in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise, verstärkt durch die verheerende Explosion in Beirut vom 4. August 2020. Ein großflächiger Internet-Ausfall wäre "desaströs", warnt Kreidieh.

Seit Jahrzehnten leiden Menschen und Unternehmen im Libanon unter laufenden Stromabschaltungen und Treibstoffmangel. Im Mai hat sich der Energiemangel deutlich verschlimmert: Bis dahin hatte eine türkische Firma auf vor der Küste liegenden Bargen Stromgeneratoren betrieben. Doch sitzt sie auf unbezahlten Rechnungen und sieht sich juristischen Schwierigkeiten ausgesetzt, weshalb sie die Stromlieferungen eingestellt hat.

In Teilen des Landes gibt es nur noch sechs Stunden pro Tag Strom. Die Einnahmen decken die Stromproduktionskosten bei weitem nicht.

Immer wieder fallen in Teilen des Libanon Mobilfunk und/oder Internetanbindungen aus. "Nur Gott weiß", wann es zu umfassenden Ausfällen kommen wird, sagt Ogero-Chef Kreidieh, "Im Fall eines Stromnetzausfalls wird nach einiger Zeit alles stillstehen", warnt der Manager, "Die Zentralbank wird den Betrieb einstellen. Krankenhäuser, Schulen, Universitäten und Unternehmen mit Kunden im Ausland werden alle betroffen sein. (…) Es wird der Sargnagel sein für die Wirtschaft des Libanon."

Schon jetzt sieht es düster aus. Das Bruttoinlandsprodukt des Libanon ist seit 2018 um 40 Prozent eingebrochen. Die Landeswährung Lira hat letztes Jahr 85 Prozent an Wert gegenüber dem US-Dollar eingebüßt. Nahrungsmittelpreise haben sich 2020 vervielfacht. Lebensmittel sind damit so teuer wie sonst nirgends im Nahen Osten.

Schlägereien im Kampf um Lebensmittel sind an der Tagesordnung. Theoretisch gibt es subventionierte Grundnahrungsmittel, doch sind sie schwer zu bekommen. Verbraucher werfen Supermärkten vor, die subventionierten Waren in Lagern zu horten, anstatt sie zu verkaufen, um mit anderen Produkten mehr Geld zu machen.

Zwar hat der ISP Ogero Dieselgeneratoren angeschafft, um selbst mehr Strom bereitstellen zu können, doch nützt das angesichts des chronischen Treibstoffmangels wenig. Sogar die Wasserversorgung ist unzuverlässig geworden, weil der Diesel zum Betrieb der Wasserpumpen fehlt. Das Finanzministerium hat die Zentralbank um 200 Millionen US-Dollar gebeten, um Treibstoff importieren zu können.

Allerdings gehen auch der Zentralbank die Devisen aus. Der reale Wert der Lira beträgt nur ein Achtel des offiziellen Dollarwechselkurses. Treibstoffimporte, internationale Internet- und Telefonanbindungen, Soft- und Hardware für den Netzbetrieb, und andere notwendige Dinge müssen in US-Dollar bezahlt werden. Die gibt es im Libanon kaum noch.

Das Land hat mehrere Internetprovider, doch müssen sie ihre Anbindung an das internationale Internet alle bei Ogero kaufen. Geht bei dem staatlichen Anbieter nichts mehr, fällt das Internet für alle Libanesen aus. Der Libanon zählt laut Speedtest.net zu den langsamsten Ländern der Welt bei Festnetz-Breitbandanschlüssen (Platz 148 von 176).

In der Vergangenheit haben Telecom-Netze eine Milliarde Dollar jährlich in den Staatshaushalt eingezahlt. Weil die Lira so stark an Wert verloren hat, Vorleistungen aber in Devisen eingekauft werden müssen, sind die Netzbetreiber in die roten Zahlen gestürzt. Damit fällt das Staatsbudget um die Abgaben um. Eine Steuer auf WhatsApp-Anrufe konnten Bürger durch heftige Proteste 2019 verhindern.

Kreidieh würde gerne den Betrieb aufrechterhalten und langsam das Glasfasernetz ausbauen. Um das zu bezahlen, müsste Ogero die Preise erhöhen, was von der Regierung genehmigt werden müsste. Die ist nach der Explosion in Beirut zurückgetreten. Eine neue Regierung konnte in den letzten zehn Monaten nicht gebildet werden. Der Libanon ist der nächste Krisen-Hotspot.

Der Libanon ist nur halb so groß wie Sachsen-Anhalt, hat aber an die sieben Millionen Einwohner. Davon sind etwa eineinhalb Millionen Menschen aus Syrien geflüchtet und zirka 220.000 aus anderen Staaten. Pro Kopf gerechnet hat der Libanon die mit Abstand meisten Flüchtlinge weltweit aufgenommen. Die internationale Unterstützung nimmt sich bescheiden aus. Nur einige zehntausend in den Libanon geflüchtete Syrer durften bislang in andere Länder umsiedeln. Aus Hunger und Verzweiflung setzen manche ihr Leben bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, aufs Spiel.

(ds)