Lichtzeichnen: Von der Asphalt-Platte zum CCD

Seite 2: Haltbares Licht

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Foto-Pionier J. N. Niepce

Der erfinderische Niepce sann eigentlich nur auf eine Kompensation seiner mangelnden zeichnerischen Fähigkeiten, denn über schlichtes Gekritzel kam er auch bei wohlmeinender Betrachtung nicht hinaus. Als Lösung kam ihm die Motivübertragung auf eine mit Asphalt lichtempfindlich gemachte Zinnplatte in den Sinn. Sein Kontakt zu Louis Daguerre (1787 bis 1851) war diesem behilflich, die Idee unter Verwendung von lichtstärkeren Objektiven und der überarbeiteten chemischen Rezeptur zu einem haltbaren und durchsetzungsfähigen Verfahren zu entwickeln.

Noch heute existieren die mit Quecksilberdampf entwickelten Jodsilberplatten in kaum vergangenem Charme. Jodsilber ist ungleich lichtempfindlicher als die Asphalt-Kombination, weshalb sich die Belichtungszeit von acht Stunden auf wenige Minuten verringerte. Innerhalb kürzester Zeit entstanden überall in Europa Fotoateliers. An der neuen fotografischen Wiedergabemöglichkeit faszinierten vor allem der Realismus und die Geschwindigkeit.

Viel kostengünstiger als die Malerei war die Fotografie außerdem, weshalb ein sich stets vergrößernder Personenkreis von der Selbstdarstellung Gebrauch machte und sich Standards wie Hochzeits- und Familienfotografien bereits kurz nach der Erfindung der Fotografie etablierten. Das permanente Duell zwischen Malerei und Fotografie brachte übrigens Man Ray auf den Punkt, der da sagte: "Ich male, was ich nicht fotografieren kann, und fotografiere, was ich nicht malen will."

Also bekam auch das Dargestellte einen sehr privaten Charakter. Im Laufe der Jahre ergänzte man die Darstellungen des Persönlichen durch Bilder des ersten Schultages und Klassenfotos, die nach zwei Weltkriegen nur noch mit Sätzen wie "der ist tot und der ist tot" kommentiert wurden. Bis auf den Sprecher selbst lebten vielleicht noch drei weitere, aber einer war zum Krüppel geschossen und den fotografierte man nicht. Es war der Wunsch, Schönheit abzubilden, sich idealisiert darzustellen und sich in seinen eigenen Fantasien zu inszenieren.

Eingefangen auf einer Zinnplatte mit lichtempfindlicher Bitumenschicht: ‘Blick aus dem Fenster’ von J. N. Niepce

Aber die Fotografie hat ihren dokumentarischen Charakter dabei nicht eingebüßt, und manchen Kindern der Kriegsjahrgänge ist die Fotografie des Vaters das einzige Bild, das sie von ihrem Erzeuger haben, wobei auch Handlungsreisende in manchen Familien nur fotografische Präsenz hatten – ein Freund war die ersten Jahre seines Lebens der festen Überzeugung, dass sein Vater nur im Diaprojektor existiert. In dieser Form der Selbstdarstellung und Selbstinszenierung, denn die wenigsten Säuglinge der Jahrhundertwende windelte man auf einem Eisbärenfell anstatt auf der Kommode, liegt auch ein Selbst-Bewusstsein, das sich von der doch recht schlicht gefassten Idee Louis Daguerres immer mehr entfernte.