Linux 5.11: Support für Intel SGX, neue Treiber und kleinere Verbesserungen

Seite 3: Itanium: Sterben auf Raten

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Für etwas Wellengang in der Fachpresse sorgte schon vor der Veröffentlichung von Linux 5.11 ein einzelner Patch von Linus Torvalds: Es war die Rede davon, Linux würde ab 5.11 die IA64-Architektur nicht mehr unterstützen. Ganz so schlimm kommt es mit Linux 5.11 aber (noch) nicht: IA64-Support bleibt vorerst erhalten, aber das Zittern bleibt.

Wie der Kernel-Entwickler Adrian Glaubitz herausfand, verursachten einige Timer-Patches von Linus Torvalds eine Regression auf allen IA64-Systemen. Da die letzten verbliebenen IA64-Maintainer Tony Luck und Fenghua Yu von Intel nicht mehr am betreffenden Kernel-Code arbeiteten, bewog dieses Problem Torvalds schließlich dazu, IA64 auf "orphaned", also verwaist, zu setzen. Der IA64-Port von Linux hat damit aktuell keinen Maintainer mehr. Beim Build weist eine Warnmeldung auf diesen Umstand hin.

Da sowohl Hewlett-Packard als auch Intel bereits keine Bestellungen mehr für Itanium-Chips akzeptieren, kommentiert Torvalds Itaniums Zukunft wenig optimistisch mit den aus Star Trek entlehnten Worten: "It's dead, Jim". Es ist unwahrscheinlich, dass HP oder Intel noch Maintainer für den IA64-Code abstellen werden: Die Architektur ist gescheitert.

Unter Windows endete der Support mit Windows Server 2008R2, also im Januar 2020. FreeBSD hat seinen Itanium-Port nach Version 10 eingemottet. Selbst NetBSD mit seiner breiten Hardware-Unterstützung hat es bislang nur auf eine halbfertige Portierung gebracht. Die Linux-Distributionen Red Hat, SUSE und Ubuntu haben bereits vor Jahren den Support für IA64 eingestellt. Das freie Debian hatte seine Bemühungen um IA64 offiziell mit "Jessie" zu Grabe getragen, obschon eine Gruppe von Enthusiasten weiterhin an einem inoffizellen Port arbeitet.

Aktuelle "Zugpferde" für Itanium-Systeme sind nur noch HP-UX und OpenVMS. Aber selbst diese lahmen inzwischen sehr. HP-UX erfährt in Version 11i v3 noch bis Ende 2025 Unterstützung. Danach ist die Zukunft schon allein angesichts der dann fehlenden Hardware-Plattform ungewiss. OpenVMS hingegen erfährt aktuell eine Portierung auf x86 durch die Firma VMS Software, inc (VSI). In einer Übergangszeit wird VSI Itanium noch unterstützen. Theoretisch könnte sich daher nach Linux 5.11 noch ein Entusiast von VSI oder ein unabhängiger Hobbyist – vielleicht aus dem Debian-Lager – als IA64-Kernel-Maintainer einfinden. Sehr wahrscheinlich ist das jedoch nicht.

Mit der "orphaned"-Kennzeichnung der IA64-Architektur in Linux 5.11 ist die Plattform allen anderslautenden Meldungen zum Trotz noch nicht tot. Sie darf aber als totgeweiht angesehen werden und der Umstieg auf eine andere Plattform ist ratsam.

Während der Release-Candidate-Phase zu 5.11 befasste sich die Community ungewöhnlich aktiv mit der Vorgängerversion Linux 5.10, die erwartungsgemäß zum Longterm-Support-Release (LTS) auserkoren worden war. Längere Debatten auf den Kernel-Mailing-Listen kreisten um die Frage, warum 5.10 nicht wie die meisten seiner LTS-Vorgänger von Anfang an eine Support-Spanne von sechs Jahren erhalte. Stattdessen soll 5.10 schon nach zwei Jahren, also im Dezember 2022, "end of life" gehen.

Der hierfür zuständige Kernel-Maintainer Greg Kroah-Hartman stellte daraufhin klar, dass er den angekündigten Zeitraum nur dann verlängern könne, wenn sichergestellt wäre, dass er ausreichend Hilfe beim Backporting von Features und beim Testen erhalte. Hierauf erreichten ihn unzählige Nachfragen aus der Community, wie diese helfen könne. Statt jede Mail einzeln zu beantworten, benannte Kroah-Hartman in einem Blogeintrag vom 3. Februar 2021 die grundsätzlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, um die Support-Spanne eines LTS-Releases zu erweitern:

Für Kroah-Hartman sei wichtig, dass Nutzer die Release-Candidates auf ihren Systemen testen. Anschließend sollten sie ihm über die Announcement-Mailing-Liste (oder alternativ via E-Mail) Rückmeldung zu den Testresultaten geben. Optional könne in jede Rückmeldung auch eine Zeile der Form "Tested by: ..." aufgenommen werden. Diesen Hinweis würde Kroah-Hartman schließlich in den Commit des Dot-Releases integrieren. Examplarisch stellte Kroah-Hartman einige gute Rückmeldungen von Nutzern auf seinem Blog bereit, an denen man sich orientieren könne. Zudem würde er sich freuen, wenn er gezielt von Nutzern per privater Mail oder (bevorzugt) über die Mailing-Liste auf Features hingewiesen würde, die aus ihrer Sicht als Backport in ein LTS-Release einfließen sollten.

Nur wenn kontinuierlich Rückmeldung über Tests und Backports gegeben werde, sei ersichtlich, dass ein Kernel noch genutzt würde. Das allein sei das Kriterium, um ein LTS-Release auf sechs Jahre zu bringen. Für 5.10 lägen indes noch nicht genügend Rückmeldungen vor, die eine sechsjährige Support-Phase rechtfertigen würden.

Update 15.02.21, 21:20: Kleinere Textergänzug im Abschnitt "Grafik und Gaming".

(ovw)