Lobby-Analyse: Google, Facebook & Co. untergraben Verbot "spionierender" Werbung
Zivilgesellschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass die intensive Lobbyarbeit von "Big Tech" ein Aus für gezielte Werbung im EU-Parlament erschwert hat.
Schon frühzeitig setzte sich ein fraktionsübergreifendes Bündnis im EU-Parlament dafür ein, im geplanten Digital Services Act (DSA) ein Verbot "spionierender", profilbasierter Werbung mit Microtargeting zu verankern. Wenn die Abgeordneten nun am Donnerstag über ihre Position zu dem "Plattform-Grundgesetz" abstimmen, ist es trotzdem sehr unwahrscheinlich, dass eine Mehrheit für ein Aus solcher personalisierter Reklame stimmt. Eine zivilgesellschaftliche Organisation glaubt, einen Grund dafür gefunden zu haben.
Laut einer Analyse, die das Corporate Europe Observatory (CEO) am Dienstag veröffentlicht hat, trug die "intensive Lobbyarbeit" von US-Internetkonzernen maßgeblich dazu bei, dass die Volksvertreter "ihre ursprüngliche Forderung nach einem Ausstieg aus dem Verbot von Überwachungswerbung aufgegeben haben". Der Effekt dieser Beeinflussungsbemühungen sei durch "einen besonders komplexen und frustrierenden Verhandlungsprozess" verstärkt worden.
Starker Lobbydruck
Von CEO ausgewertete Protokolle von Treffen maßgeblicher EU-Parlamentarier mit Interessenvertretern zeigen der Organisation zufolge generell, "dass der DSA unter starkem Lobbydruck stand". Seit der Veröffentlichung des Verordnungsentwurfs durch die EU-Kommission hat es laut der genommenen Stichprobe 613 offiziell angegebene Lobby-Besprechungen mit Abgeordneten gegeben. Das entspreche einer Rate von durchschnittlich 1,7 Treffen pro Tag – ohne Unterbrechungen wie Urlaub oder sitzungsfreie Wochen.
Bei den meisten Treffen dominierten die großen Technologieunternehmen, hat die Auswertung ergeben. Dabei führt Google mit 23 Unterredungen die Tabelle an, gefolgt von Facebook (16), Amazon (15) und Microsoft (12). Ihre Interessen vertraten zudem Branchenverbände wie das Interactive Advertisers Bureau (IAB) mit acht Gesprächen, dot.europe bei sieben und die Computer & Communication Industry Association (CCIA) bei fünf Treffen weiter. In die Top 20 hat es ferner etwa der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) mit ebenfalls fünf Gesprächen geschafft.
Schlacht um die Online-Reklame
CEO beruft sich auf Quellen aus dem Parlament, wonach die Online-Werbung bei solchen Gesprächen rasch zum größten Streitpunkt geriet. Auslöser seien Appelle der Abgeordneten von 2020 und 2021 an die Kommission gewesen, ein gesetzliches Verbot von Tracking-Anzeigen zu prüfen. Lobbygruppen aus den Bereichen Internetindustrie, Einzelhandel, AdTech und Verlagswesen hätten schon damals die Riege der Gegner solcher Initiativen angeführt.
Teils seien mit der Zeit einzelne Online-Giganten auch selbst in Erscheinung getreten, führen die Lobby-Beobachter aus. Facebook etwa habe eine teure Print- und Online-Werbekampagne durchgeführt, die sich an die politischen Entscheidungsträger sowie eine breitere Öffentlichkeit richtete. Google habe sich direkt hauptsächlich an die Mitglieder des federführenden Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) im EU-Parlament gewandt.
Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner beklagte Anfang 2021 in einem offenen Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zwar die Vorherrschaft US-amerikanischer Digitalkonzerne auch in Europa. Er forderte, diesen das Geschäftsmodell der personenbezogenen Werbung aus der Hand zu schlagen. Dies hätte fast einen Wendepunkt in der Lobbyschlacht dargestellt, meint CEO. Letztlich habe Axel Springer aber doch ein IAB-Schreiben gegen einen solchen Bann unterzeichnet.
Kein Verbot von Überwachungswerbung
Die IMCO-Empfehlung, über die das Parlament nun im Plenum abstimmen wird, sieht vor, dass Direktmarketing, Profiling und verhaltensorientierte Werbung nur bei Minderjährigen untersagt werden sollen. Plattformen müssten demnach zudem etwa sicherstellen, dass Nutzer "problemlos" informiert im Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in gezielte Reklame einwilligen können.
Einzelne Abgeordnete und andere Ausschüsse haben zwar insgesamt rund 600 Änderungsanträge eingebracht, in dem sie teils noch ein weitergehendes Verbot profilbasierter Werbung fordern. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Global Witness hatten am Montag zudem Ergebnisse eine Umfrage veröffentlicht, wonach mittelständische Firmen in Deutschland und Frankreich mehrheitlich "Überwachungswerbung" ablehnen. Es ist dennoch zweifelhaft, ob sich für entsprechende Anträge Mehrheiten finden lassen.
"Trotz eines parteiübergreifenden EU-Konsenses, dass es notwendig ist, Big Tech in die Schranken zu weisen, haben die immensen Lobbying-Budgets der Unternehmen und ihr Netz von Dritten immer noch Einfluss auf die EU-Politik", beklagte Margarida Silva, Forscherin bei Corporate Europe Observatory. "Mehr als 97 Millionen Euro gibt die Digital-Lobby nach offiziellen Angaben in Europa für Lobbyarbeit aus", ergänzte Felix Duffy, Sprecher der Organisation LobbyControl. Dazu kämen weitere Millionen für Imagewerbung. Dies habe in diesem Fall offenbar erneut Wirkung gezeigt.
(axk)