MassenĂĽberwachung: BND hat seinen Datenstaubsauger wieder hochgefahren

Der Bundesnachrichtendienst hat 2017 die internationale Telekommunikation mit tausenden Selektoren durchforstet – ein deutlicher Anstieg gegenüber 2016.

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(Bild: Gorodenkoff / shutterstock.com)

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Die massenhafte "strategische" Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendiensts (BND) ist 2017 erneut auf Touren gekommen. Dank der umstrittenen Befugnis, mit der der Auslandsgeheimdienst seinen "Datenstaubsauger" einsetzen und den Schutz des Fernmeldegeheimnisses einschränken darf, haben die Agenten allein im Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus" 2017 im ersten Halbjahr 7347 und im zweiten Halbjahr 6482 Suchbegriffe mit dem Plazet der G10-Kommission eingesetzt. 2016 waren es hier dagegen nur 858 im ersten und 1449 Selektoren im zweiten Halbjahr.

Die Zahlen stammen aus dem aktuellen, mit gut anderthalbjähriger Verspätung veröffentlichten Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags PKGr über sogenannte G10-Maßnahmen der Geheimdienste. Wie viele Telekommunikationsverkehre im BND-Filter anhand der Suchvorgaben hängen blieben, wird mittlerweile nicht mehr verraten. Zu entnehmen ist dem Dokument aber, dass die Spione nach der automatisierten Selektion und einer Geeignetheitsprüfung nicht mehr als 119 Telefonate, E-Mails, Chat-Nachrichten beziehungsweise SMS als "nachrichtendienstlich relevant" einstufte.

Im Bereich "Proliferation und konventionelle Rüstung" waren in der ersten Jahreshälfte 2017 zudem 178 und im zweiten Halbjahr 171 Suchbegriffe angeordnet. Hier ergaben sich keine großen Verschiebungen gegenüber 2016. Den Relevanztest bestand hier nur ein Telekommunikationsverkehr. Im noch jungen Gefahrensektor "Cyber" genehmigte die G10-Kommission dem BND 2017 120 beziehungsweise 122 Selektoren. Beim Probelauf im Jahr davor waren es noch 1144 Suchbegriffe, die aber zu keinem verwertbaren Treffer führten. 2017 qualifizierten die Analysten hier eine eingefangene Nachricht als relevant genug, um sie weiter zu bearbeiten.

Nach den Snowden-Enthüllungen und der Selektorenaffäre hatte der BND den Datenstaubsauger zunächst stark zurückgefahren. Die Zahl der eingesetzten Suchkriterien wurde deutlich reduziert. Inzwischen ist diese in der Summe fast wieder so hoch wie 2013, als der Auslandsgeheimdienst insgesamt über 12.000 Selektoren genehmigt bekommen hatte. Gegen den Einsatz des Datenstaubsaugers und damit zuhängende Bespitzelungsaktionen an Netzknoten sind Verfassungsbeschwerden anhängig.

Laut G10-Gesetz sind Betroffene von einer "strategischen" Überwachungsmaßnahme zu unterrichten, sobald diese beendet ist und sofern die personenbezogenen Daten nicht unverzüglich gelöscht wurden. 2017 legte der BND dazu der G10-Kommission zehn entsprechende "Mitteilungsangelegenheiten" zur Entscheidung vor. Diese sah in acht Fällen vorläufig und in einem Fall endgültig von einer Benachrichtigung ab. In einem Fall nahmen die Mitglieder "die Mitteilung zur Kenntnis".

Die Zahl der individuellen Überwachungsmaßnahmen aller Geheimdienste nach G10-Gesetz ist 2017 ebenfalls weiter gestiegen und lag bei 276 Fällen im Vergleich zu 261 im Vorjahr. Auf das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) entfiel hier mit 235 Einzelmaßnahmen wieder der Löwenanteil. Die Tätigkeit des BND umfasst 34 Anordnungen. Für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) werden sieben Überwachungsfälle ausgewiesen. Schwerpunkt der Verfahren war der Bereich Islamismus, gefolgt vom "nachrichtendienstlichen Bereich", also der Spionage anderer Länder.

Die Anzahl der Hauptbetroffenen lag sowohl im ersten als auch im zweiten Halbjahr 2017 bei 450, während diese 2016 zwischen 386 und 431 lagen. Die Höhe der Nebenbetroffenen inklusive Kontaktpersonen schwankte zwischen 312 im ersten und 358 im zweiten Halbjahr 2017, was keinen großen Unterschied gegenüber 2016 darstellt. Die durchgeführten Maßnahmen erstreckten sich auf insgesamt 2546 überwachte Telekommunikationskennungen im ersten und 2756 im zweiten Halbjahr 2017. 2016 waren es mit 1767 beziehungsweise 1980 deutlich weniger.

Nach Terrorismusbekämpfungsgesetz haben die Dienste zudem in 105 Fällen von Unternehmen kunden- oder nutzerbezogene Auskünfte eingeholt oder technische Mittel zur Standortermittlung eines Mobilfunkgerätes (IMSI-Catcher) eingesetzt. Das ist ein leichter Rückgang gegenüber 114 einschlägigen Überwachungen 2016. Dies ist dem parallel publizierten zweiten einschlägigen PKGr-Bericht zu entnehmen.

Von den insgesamt 74 Auskunftsverlangen (2016: 67), die sich vor allem gegen Anbietern von Telekommunikations- und Telediensten sowie Finanzdienstleister richteten, waren den Angaben zufolge 181 Personen betroffen. Hinzu kam der Rekord von 31 IMSI-Catcher-Einsätzen (2016: 18) mit 46 betroffenen Personen. Schwerpunkt der Verfahren war auch hier der Bereich Islamismus. 74 Personen wurden über Maßnahmen informiert, bei 161 Personen wurde davon vorerst oder weiterhin abgesehen. Zu elf Hauptbetroffenen entschied das PKGr, von einer Mitteilung endgültig abzusehen. (mho)