Karlsruher Richter gegen anlasslose Ăśberwachung

Das Bundesverfassungsgericht hat die in dem Polizeigesetz geregelten anlasslosen Lauschangriffe und die Wohnraumüberwachung für verfassungswidrig erklärt.

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(Bild: ronstik/Shutterstock.com)

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Von
  • Marie-Claire Koch

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mehrere Vorschriften zu polizeilichen Ermittlungsbefugnissen in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherheits- und Ordnungsgesetz – SOG MV) für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Demnach verletzen die Befugnisse das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere den Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das Fernmeldegeheimnis sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung, wie aus dem Beschluss (1 BvR 1345/21) vom 9. Dezember hervorgeht.

So ist beispielsweise die in § 33b Abs. 1 Satz 2 SOG MV aufgeführte Wohnraumüberwachung verfassungswidrig, "weil die Eingriffsschwelle nicht dem Erfordernis einer dringenden Gefahr" genüge. Die Klage hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zusammen mit dem Bündnis "Sogenannte Sicherheit" im Juni 2021 eingereicht, um sich gegen die Überwachung von Menschen ohne konkreten Anlass zu stellen. Laut GFF handelt es sich mit der Entscheidung der Karlsruher Richter um ein Grundsatzurteil, das auch auf für andere Bundesländer Grenzen für die Verschärfung von Polizeigesetzen setze.

Die 2020 verabschiedete Novelle des SOG MV hatte neben anlasslosen Abhörmaßnahmen in und außerhalb der Wohnung den heimlichen Einsatz von Staatstrojanern, und der Rasterfahndung ohne konkrete Gefahr auch eine längerfristige Überwachung durch Polizeibeamte ohne Anlass ermöglicht. Ebenfalls erlaubt wäre damit das heimliche Betreten der Wohnung zwecks PC-Durchsuchung oder Quellen-Kommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Damit wäre auch die Überwachung der Messenger-Kommunikation vor oder nach deren Entschlüsselung möglich. Die Behörden greifen dafür meist auf sogenannte Staatstrojaner zurück.

"Tiefe Grundrechtseingriffe wie die Wohnraumüberwachung oder die Telekommunikationsüberwachung sind nur gerechtfertigt, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt. Die Polizeirechtsverschärfungen in verschiedenen Bundesländern, die Überwachung weit im Vorfeld einer Gefahr zulassen, verletzen das Grundgesetz", erklärt David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator. "Hier wird besonders deutlich, dass die Landesregierung unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung massenweise Daten verarbeiten wollte, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegen musste", sagt, "Sogenannte Sicherheit"-Sprecher Micha Milz. Über manche Punkte habe nur aus formellen Gründen nicht entschieden werden können, etwa über Drohneneinsätze, da nicht klar ist, inwieweit dies die Beschwerdeführer betreffe.

Rechtsanwältin Kathrin Hildebrandt aus Rostock, eine der Beschwerdeführerinnen, betont: "Nach dem Gesetz wären [...] nicht nur viele meiner Mandanten, sondern auch ich selbst als deren sogenannte Kontaktperson Maßnahmen wie längerfristigen Observationen, Kamera-Überwachung oder der Ausspähung durch verdeckte arbeitende Polizeibeamte oder mit der Polizei zusammen arbeitende Personen ausgesetzt". Neben dieser Verfassungsbeschwerde laufen in weiteren Bundesländern Klagen gegen die Verschärfung der Polizeigesetze.

Bereits 2019 hat die GFF gegen ein 2017 reformiertes Gesetz des Bundeskriminalamts eingelegt, um sich gegen verdeckte Überwachungsmaßnahmen wie Staatstrojaner zu stellen. Schon damals wurde kritisiert, dass mit diesem Gesetz große Datenbanken über viele Menschen in Deutschland zeitlich unbegrenzt und "nach unklaren Regeln und zu unklaren Zwecken" angelegt werden könnten. Schon 2016 hatte das Bundesverfassungsgericht wesentliche Teile des BKA-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2016 bereits wesentliche Teile des damaligen BKA-Gesetzes für unvereinbar mit dem Grundgesetz.

(mack)