MeeGo Conference 2010

Themen der Konferenz waren unter anderem der Einstieg von AMD in die MeeGo-Entwicklung, MeeGo für Nokias N900-Smartphone und der Aufbau der Entwickler-Community. Über 1000 Besucher zeigen das große Interesse an dem von Intel und Nokia entwickelten Mobil-Linux.

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Von
  • Thorsten Leemhuis
Inhaltsverzeichnis

Außerhalb der Computer-Szene ist das aus dem Zusammenschluss von Intels Netbook-Betriebssystem Moblin und Nokias Mini-Tablet/Smartphone-System Maemo hervorgegangene MeeGo (noch) nicht sonderlich präsent, denn kaum ein Produkt setzt das Linux-System bislang ein; hier und da hört man sogar Stimmen, die dem für Netbooks, Smartphones, Tablets, Fernseher, Auto-Infotainment-Systeme und ähnliche Einsatzgebiete ausgerichtete Betriebssystem schon keine großen Chancen mehr einräumen, da es zu spät komme und iPhone, Android und Co. einfach zu sehr hinterherhinke.

Die Mitte November in Dublin abgehaltene MeeGo Conference 2010 zeigte allerdings eindrucksvoll, wie viel Interesse an der Plattform besteht, die einer typischen Linux-Distributionen recht ähnlich ist, während Android außer dem Linux-Kernel kaum etwas mit Ubuntu, Suse Linux und Co., gemein hat. So kamen rund 1100 Besucher nach Dublin – ungefähr doppelt so viel wie von einigen der Organisatoren vorab veranschlagt. Rechnet man die Mitarbeiter von Intel und Nokia herunter, verbleiben immer noch zirka 900 an MeeGo Interessierte; erheblich mehr als bei anderen Konferenzen zu einzelnen Linux-Distributionen, wo sich typischerweise zwischen und hundert oder dreihundert, selten aber mehr als fünfhundert Teilnehmer einfinden.

Das für Fußball und Rugby ausgelegten Aviva-Stadium im irischen Dublin konnte diesen Besucheransturm problemlos stemmen und bot den Besuchern eine nette, aber streckenweise etwas zugige und kühle Umgebung. Viele der Besucher kamen aus dem Nokia-nahen Umfeld oder haben bereits für Maemo entwickelt; spürbar war auch die Präsenz von Qt- und KDE-Entwicklern, stellt doch Qt den grafischen Unterbau zur Programmierung von Apps für MeeGo. Auffallend war auch, aus wie viel unterschiedlichen Unternehmen und Branchen die Teilnehmer kamen und in welchen Bereichen diese den Einsatz von MeeGo erwägen – darunter etwa die Automobil-Industrie.

Keine auch nur ansatzweise konkreten Hinweise gab es indes zu Erscheinungsterminen von Nokia-Smartphones mit MeeGo; einiges deutet darauf hin, dass das noch Monate dauern wird.

MeeGo zielt auch auf Tablets und TV-Geräte.

Spekuliert wurde hier und da über die Vorstellung von Smartphones mit Teilen von MeeGo zum Mobile World Congress im Februar nächsten Jahres, doch auch das schien anderen Teilnehmern noch zu optimistisch. Mehr, aber auch nicht sonderlich viel und nichts Offizielles war von einem Tablet mit MeeGo zu hören, dessen Entwicklung Intel offenbar vorantreibt.

Nachdem Intel-Mitarbeiter, Linux-Urgestein und Mitorganisator Dirk Hohndel die Konferenz mit einigen Worten eröffnete, gaben Doug Fisher (Vice President der Software and Services Group von Intel) und Alberto Torres (Executive Vice President für die Abteilung MeeGo Computers, Mobile Solutions bei Nokia) die zwei ersten Keynotes. Dort zeigten die beiden auf, dass wir gerade am Beginn einer Entwicklung stehen, durch die sich nachhaltig verändern würde, wie wir mit Computern und dem Internet umgehen würden.

Wie Fischer ausführte, werde die Zahl der Internet-Nutzer und der Internet-tauglichen Geräte in den nächsten Jahren extrem zunehmen. Damit neue Ideen und Geräte entstehen, sei es nötig, eine offene Umgebung zu schaffen, bei der nicht ein Unternehmen die Kontrolle habe – das sei ein Grund, warum Moblin damals unter die Ägide der Linux Foundation gestellt worden sei, unter deren Dach nun auch MeeGo vorangetrieben wird. Solch eine offenen Umgebung würde nämlich zu Innovationen führen, an die Unternehmen gar nicht denken; als eine solche Innovation führte Fisher das in Deutschland recht bekannte (aber nicht sonderlich gut angekomme) WeTab an, das Teile von MeeGo als Unterbau genutzt hat.

Fischer erwähnte auch die Gefahr von Fragmentierung, die Offenheit mit sich bringt – also die Gefahr, dass andere Firmen und Entwickler MeeGo nehmen und verbessern, ohne das die Verbesserungen zurück fließen. Offenheit und eine enge Zusammenarbeit mit den Entwicklern der Software, die in MeeGo zum Einsatz kommt, und die Arbeit nach dem Motto "Upstream-First" soll helfen, das zu vermeiden. Weitere Details dazu liefert LWN.net in dem Artikel "MeeGo conference: Intel's and Nokia's visions of MeeGo".
In einer als QA-Session bezeichneten Podiumsrunde wurde es etwas technischer. Dort wurde etwa erwähnt, dass es bei der Fertigstellung der im MeeGo-Jargon "Handset UX (User Experience)" genannten Smartphone-Oberfläche noch viel zu tun gibt. Zudem wurde die herausragendste Neuerungen der Konferenz publik: AMD-Mitarbeiter und unangekündigter "Special Guest" Chris Schläger, Linux-Entwicklerchef bei AMD, gab bekannt, dass AMD in Zukunft Programmierer zur Weiterentwicklung von MeeGo abstellen und das Projekt auch finanziell unterstützen wird. Grund für diesen Schritt sind unter anderem die neuen Fusion-Prozessoren wie der Bobcat, mit denen AMD in jene Marktbereiche und Einsatzgebiete vorstößt, auf die auch MeeGo zielt. Er betonte, dass Unternehmen wie AMD bei der Entwicklung neuer Funktionen sich nicht nur auf die Hardware konzentrieren könne – vielmehr erfolge die Entwicklung von Hard- und Software heute Hand in Hand, damit sich neue Funktionen auch nutzen ließen. Open-Source sei ein kluges Modell, das helfe, die Entwicklungskosten niedrig zu halten. Weitere Einblicke zu den Meego-Ambitionen lieferte Schläger in einem Interview.

Im Rahmen der Keynotes zeigte Dominique Le Foll von Amino Communication eine TV User Experience (UX) for MeeGo, die das Unternehmen in Set-Top-Boxen eingesetzt hat. Durch die Verwendung von MeeGo als Basis habe das Unternehmen diese Lösung erheblich schneller und dadurch auch günstiger fertig stellen können als mit klassischen Embedded-Distributionen. Details dazu finden sich auch im LWN.net-Artikel MeeGo beyond the mobile device, der sich auch mit dem Einsatz von MeeGo in Autos beschäftigt.

Während der Konferenz gab zudem das im Automotive Infotainment agierende Unternehmen Pelagicore den Beitritt zur Linux-Foundation bekannt, um an MeeGo und speziell dessen Referenz-Design für In-Vehicle Infotainment (IVI) mitzuarbeiten. Linpus kündigte zur Konferenz ein MeeGoSystem mit Multi-Touch-Unterstützung für Tablets an, welches die Firma an Hardware-Hersteller verkaufen möchte; ein YouTube-Video zeigt das Linpus-System auf einem Demo-Tablet mit Intel-Prozessor.

Auch wenn man gelegentlich ein iPhone oder Android-Smartphone sah, weitaus präsenter unter den Besuchern war das mit dem MeeGo-Vorläufer Maemo ausgestattete N900 von Nokia. Zu diesem Gerät gab es einen auch als Video abrufbarer Vortrag, der sich mit den jüngsten und den für die nahe Zukunft geplanten Entwicklungen einer MeeGo-Ausführung für das N900 beschäftigt.

Ziel von MeeGo für das N900 war und ist eine Referenz-Implementation von MeeGo für ARM, die auch für Entwickler als Test-Plattform für MeeGo-Oberfläche und -Anwendungen interessant ist. Um Interessierten das so einfach wie möglich zu machen, haben die Entwickler eine Dual-Boot-Lösung erarbeitet, bei der MeeGo für das N900 auf einer Speicherkarte landet und ein Boot-Manager festlegt, ob Maemo und MeeGo gestartet wird. Die nötigen Schritte für so eine nur mit der derzeit aktuellen Version 1.3 des N900-Betriebssystems möglichen Parallelinstallation erklärt das MeeGo-Wiki. Wie die Vortragenden offen erklären, ist MeeGo für N900 aber keineswegs bereit zum Einsatz für normale Anwender. Für Entwickler sei es aber durchaus schon brauchbar, denn Telefonieren, SMS-Versand, Web-Browsing und einige andere Dinge würden mittlerweile funktionieren.

Im Vortragsvideo zu MeeGo auf dem N900 kann man ab Minute 13 sehen, wie sich MeeGo auf dem Smartphone schlägt und wie die im MeeGo-Jargon "Handset UX (User Experience)" genannten Smartphone-Oberfläche aussieht. Weitere Impressionen von letzterer liefert auch das Video zum Vortrag "MeeGo Handset User Experience Home Screen" ab Minute 5 sowie die auf der Vortrags-Webseite zum Vortrag abrufbare Präsentation.

Auch viele der anderen Vortragsfolien und Videos liefern einen guten Einblick in das MeeGo-Universum für alle, die die Konferenz nicht besuchen konnten. Programmierer finden im "Qt Roadmap Update" einen guten Überblick über die den Stand der Qt-Entwicklung und die Pläne für die nahe Zukunft. Was das kürzlich freigegeben MeeGo-SDK bietet und wie man es nutzt, erläutert Bob Spencer in "Getting Started with the MeeGo SDK".

Einen guten Überblick darüber, wie Intel und Nokia Moblin und Maemo verschmolzen haben und welche Probleme dabei zu lösen waren, gibt der Vortrag "MeeGo Architecture – Short history, present and way forward". Er geht auch auf zukünftige Entwicklungen ein; im ebenfalls als Video abrufbaren BoF (Birds of a Feather) "Open Architecture Process in MeeGo" führen die vier Vortragenden von Intel und Nokia das Ganze noch weiter aus. Dabei gestehen sie ein, dass das aus Moblin hervorgegagene Netbook UX der Netbook-Ausführung von MeeGo derzeit in gewissen Bereichen noch eine Sonderstellung hat, die langfristig beseitigt werden soll.

Die MeeGo-Konferenz hatte über tausend Besucher.

Das MeeGo-Projekt müht sich zudem redlich, eine Community rund um das Betriebssystem aufzubauen; Hintergründe dazu sowie Bereiche zum Mitmachen zeigen die von Dawn Foster gehaltenen Vorträge "State of the Community" und "An Inside Look into the MeeGo Community Metrics". Einen Einblick in der Arbeit und Ziele der In-Vehicle Infotainment (IVI) Working Group liefert diese im Vortrag "In-Vehicle Infotainment for Connected Mobility". Mehrere der Vorträge liefern auch Hintergründe zur (Multi-)Touch-Untersütztung in MeeGo. Wo speziell die Probleme auf den unteren Ebenen (Kernel und X-Server) liegen, wird in "Multi-touch MeeGo: from the hardware to the user" erläutert; mit einigen der hier beschriebenen Schwierigkeiten haben auch normale Linux-Distributionen derzeit zu kämpfen.

Mit dem bei MeeGo eingesetzten Security-Framework beschäftigt sich unter anderem der auch von LWN.net zusammengefasste Vortrag "Mobile Simplified Security Framework (MSSF) Overview" von Elena Reshetova und Casey Schaufler. Zu etlichen weiteren Vortragsfolien und -Videos gelangt man über das Konferenzprogramm oder die Übersicht der Videoaufzeichnungen. Diese sind auch über die Video-Webseite der Linux Foundation abrufbar, wo man die Videos auch als OGG herunterladen kann.

Kristian Høgsberg erläuterte Wayland.
Der letzte Konferenztag war als Unconference angelegt – Teilnehmer konnten in einer Morgenveranstaltung Vorträge oder Diskussionsrunden vorschlagen und die verfügbaren Räume unter sich verteilen. In einer der Sessions lieferte Intel-Entwickler Kristian Høgsberg einen Überblick über die Idee und Architektur der maßgeblich von ihm vorangetriebenen X-Server-Alternative Wayland – die hat er vor Jahren gestartet, als er noch bei Red Hat gearbeitet hat. Wayland soll nach derzeitigen Plänen bereits in Ubuntu 11.04 eingesetzt werden (siehe auch den Kommentar Das Ende von X11?). In dem leider nicht als Video abrufbare Vortrags gab Høgsberg jedoch keinerlei Hinweise, wann MeeGo Wayland einsetzen oder darauf umschwenken will; auf der Agenda der MeeGo-Entwickler steht es aber, denn in einigen anderen Vorträgen und Vortragsfolien fand Wayland durchaus am Rande Erwähnung.

Michael Meeks gab einen Vortrag über das im September von der Document Foundation vorgestellte LibreOffice. Er ähnelte dem von LWN.net zusammengefassten Vortrag, den Meeks auf der diesjährigen Linux Plumbers Conference (Präsentationsfolien). Er beschrieb unter anderem die Probleme mit dem teilweise über 20 Jahre alten Quellcode, die die Libre-Office-Entwickler zu beseitigen versuchen – einige Speicherlecks seien schon beseitigt und es wurden Code-Bereiche zusammengeführt, die die gleichen oder ähnliche Funktionen umsetzten. Der internationalen Entwicklergemeinde seien zudem die vielfach in Deutsch gehaltenen Kommentare nicht sonderlich hilfreich; an die deutschsprachigen Anwesenden appellierte er, doch beim Übersetzen dieser Kommentare zu helfen, wozu man nicht mal Programmierkenntnisse benötige. Ausführlich beschrieb er auch, wie die Zahl der Entwickler zugenommen habe, weil zum Beisteuern von Code zu LibreOffice kein Abtreten der Copyright-Ansprüche ("Copyright Assignment") nötig sei, wie es bei OpenOffice der Fall war und ist.

Unconference-Programm.

In Gesprächen zeigten sich die meisten Teilnehmer und Personen aus dem Umfeld der Organisatoren recht zufrieden mit der Konferenz. Bei den Entwicklern unter den Teilnehmer klang aber auch immer mal ein wenig Unsicherheit durch, wann denn mit MeeGo ausgestattete Hardware in größeren Stückzahlen auf den Markt kommt und wie erfolgreich diese beziehungsweise MeeGo im Allgemeinen denn sein wird. So mancher schien die Plattform aber durchaus für zukunftsträchtig zu halten und deutete an, Applikationen für MeeGo zu schreiben beziehungsweise existierende Anwendungen auf MeeGo zu portieren.

Die nächste MeeGo-Konferenz soll vom 23. bis 25. Mai in San Francisco stattfinden – also ungefähr einen Monat nach der für April geplanten Freigabe von MeeGo 1.2. Als "Yearly Industry Event" richtet sich diese Konferenz allerdings eher an Unternehmen. Nach der Veröffentlichung der übernächsten MeeGo-Version soll im November wieder ein eher auf Entwickler, Projekt-Mitstreiter und Enthusiasten ausgerichtete Konferenz mit einem Schwerpunkt auf Zusammenarbeit (Collaboration) außerhalb der USA abgehalten werden. (thl) (thl)