Microsoft-Prozess: Das Orakel von Washington

Der erste Tag im Berufungsverfahren scheint für beide Seiten unentschieden ausgegangen zu sein. Die Haltung der Richter aber gibt Anlass zu Spekulationen.

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Von
  • Wolfgang Stieler

Der erste Tag des Berufungsverfahrens im Kartellprozess gegen Microsoft scheint für beide Seiten unentschieden ausgegangen zu sein. Beobachter suchen nach Hinweisen auf die Haltung der Richter. Jedes Wort, jede Frage der sieben Richter wird sorgfältig analysiert. Normalerweise akzeptiert ein Berufungsgericht die Fakten, die ihm von der vorhergehenden Instanz vorgelegt werden, und prüft lediglich, ob die juristischen Schlussfolgerungen aus der Faktenlage korrekt sind. In diesem Fall versucht Microsoft jedoch, den Prozess mit einer juristischen Breitseite völlig neu aufzurollen und die Tatsachenfeststellung (finding of facts) von Richter Thomas Penfield Jackson teilweise außer Kraft zu setzen.

Nach US-Medienberichten deuten verschiedene Indizien darauf hin, dass die Richter uneinig über die Bewertung der Tatsachenfeststellung sind. Der vorsitzende Richter Harry Edwards beispielsweise deutete an, der Argumentation der Microsoft-Anwälte zumindest teilweise zu folgen. Einige der Fakten, so der Richter, seien lediglich Folgerungen. Eine Tatsache müsse aber eine Tatsache sein, um als solche akzeptiert zu werden.

Inhaltlich konzentriert sich die juristische Auseinandersetzung noch einmal auf den längst geschlagenen so genannten Browser-Krieg, also auf die Frage, ob die Verknüpfung von Internet Explorer und Windows-Betriebssystem gegen die Antitrust-Gesetze verstoßen hat. Skeptisch zeigte sich Richter Edwards zumindest gegenüber dem Argument, eine bessere Marktchance für Netscape hätte den Wettbewerb gefördert und dem Konsumenten genützt. Bevor Microsoft seinen Browser mit Windows verknüpfte, habe schließlich Netscape den Browser-Markt dominiert. Hier sei scheinbar einfach "ein Monopol durch ein anderes abgelöst worden", erklärte der Richter.

Normalerweise sitzen in Berufungsverhandlungen dieser Art drei Richter von zwölf; im Microsoft-Prozess sollen sieben Richter urteilen. Zwei der Richter, Raymond Randolph und Stephen Williams, waren an dem Prozess beteiligt, mit dem ein früheres Antitrust-Urteil von Richter Thomas Penfield Jackson aufgehoben wurde. Jackson hatte Microsoft untersagt, Betriebssystem und Browser miteinander zu verknüpfen. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil mit der Begründung auf, der Kunde könne schließlich aus dieser Verknüpfung auch Nutzen ziehen.

Beobachter spekulieren, dass schon ein Teilerfolg von Microsoft zu neuen außergerichtlichen Einigungsverhandlugen führen könnten – mit größeren Erfolgsaussichten als in der ersten Runde. Die neue US-Regierung, so wird spekuliert, könnte sich kompromissbereiter geben als die Trustbuster der Clinton-Regierung. Ein abschließendes Urteil wird nicht vor diesem Sommer erwartet. Die mündliche Verhandlung wird heute fortgesetzt; dann steht unter anderem auch eine mögliche Befangenheit von Richter Thomas Penfield Jackson auf der Tagesordnung, der sich nach dem Prozess in verschiedenen öffentlichen Auftritten abfällig über Bill Gates und Microsoft äußerte. (wst)