Microsoft geht mit sich nicht hart ins Gericht

Hintergrund: Microsoft möchte im Kartellprozess mit einem hellblauen Auge davonkommen.

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Von
  • Jürgen Kuri

Hintergrund: Gestern abend amerikanischer Ortszeit legte Microsoft, gerade noch rechtzeitig innerhalb des Terminplans von Richter Thomas Penfield Jackson, seine Vorschläge für eine abschließende Regelung des Kartellverfahrens gegen den amerikanischen Softwarekonzern vor. Natürlich forderten die Redmonder, den Antrag des US-Justizministeriums und der 19 amerikanischen Bundesstaaten, Microsoft in zwei Teile aufzuspalten, zurückzuweisen. Stattdessen schlägt Microsoft einzelne Regeln vor, an die sich der Konzern in Zukunft halten will.

Besonders hart geht der Konzern mit sich selbst allerdings nicht ins Gericht. Den Widerspruch, auf der einen Seite nach eigenen Aussagen keinen Rechtsbruch begangen zu haben, und auf der anderen Seite eine Strafe wegen eben dieser Rechtsbrüche vorzuschlagen, löst Microsoft mit "ollen Kamellen" auf – so zumindest lassen sich erste Kommentare zum Antrag aus Redmond zusammenfassen. Im Einzelnen bietet Microsoft unter anderem an, dass es PC-Herstellern in Zukunft erlaubt sei, das Icon des Internet Explorer vom Windows-Desktop und -Startmenü zu entfernen. Außerdem soll es den PC-Bauern möglich sein, ihre eigene Internet-Zugangskonfiguration während der Installation von Windows anzubieten, Anwendungen, die nicht von Microsoft stammen, auf dem Desktop zu verankern sowie einen anderen Web-Browser als den Internet-Explorer als Default-Browser einzurichten. Zusätzlich ist es Microsoft nach den eigenen Vorschlägen zukünftig verboten, spezielle Lieferverträge für Windows mit Herstellern abzuschließen, die Einschränkungen für die Vertragspartner beinhalten, andere als Microsoft-Software auszuliefern.

Microsoft will sich ebenfalls darauf einlassen, allen anderen Software-Herstellern den gleichen "zeitgerechten" und "vollständigen" Zugang zu den technischen Informationen zu geben – nach dem Text des Vorschlags allerdings nur für die Informationen, die der Konzern für die gesamte Entwicklergemeinde bereithält. Zu dem Vorwurf, bestimmte APIs und Schnittstellen in Windows würden für die Öffentlichkeit gar nicht dokumentiert, sondern seien nur den hauseigenen Entwicklern bekannt, schweigt sich Redmond wohlweislich aus. Microsoft ist es nach den eigenen Vorstellungen zukünftig auch verboten, den Zugang zu technischen Informationen von der Zustimmung abhängig zu machen, nur für Windows zu entwickeln. Falls Microsoft selbst Anwendungen für ein anderes Betriebssystem entwickelt, darf der Konzern diese Software nicht zurückhalten, bis der Hersteller der Nicht-Windows-Plattform die Entwicklung von Anwendungen einstellt, die mit denen von Microsoft konkurrieren. Die Maßnahmen sollen 45 Tage nach der Beschlussfassung durch das Gericht in Kraft treten und dann für vier Jahre gelten.

Ob Richter Thomas Penfield Jackson über Microsofts Vorstellungen zum weiteren Vorgehen begeistert ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Microsoft wäre es natürlich am liebsten, der Richter würde den Vorschlag der Firma annehmen. Dann gebe es keine Notwendigkeit für irgendwelche weiteren Verhandlungen, heißt es in Redmond. Falls das Gericht einige Elemente aus dem Antrag der Kläger berücksichtigen will, soll es den Microsoft-Vorschlag als vorläufige Entscheidung in Kraft setzen. Falls der Richter beide Anträge ablehnt, benötige man bis zum 7. August, um sich auf das abschließende Verfahren vorzubereiten. Sollte Richter Jackson der Ansicht sein, Microsoft müsse den Quellcode von Windows oder anderes "geistiges Eigentum" der Firma offen legen, könne das Verfahren erst am 2. Oktober weitergehen. Und wenn der Richter den vollständigen Zerschlagungsplan der US-Justiz weiter in Betracht zieht, fordert Microsoft mindestens sechs Monate Zeit, um sich auf das abschließende Verfahren besser vorbereiten zu können – die Anhörungen zum Strafmaß könnten dann nach der Vorstellung der Redmonder am 4. Dezember dieses Jahres beginnen.

Die Absicht hinter diesen Terminvorschlägen könnte in den im Herbst anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA zu suchen sein. Zwar hat sich Al Gore, momentan Vizepräsident und hoffnungsvoller Kandidat der Demokraten, bislang mit Kommentaren zu dem Verfahren eher zurück gehalten. George Bush, Sohn des ehemaligen US-Präsidenten gleichen Namens und Kandidat der Republikaner, äußerste sich aber schon eher skeptisch zum Kartellverfahren gegen Microsofts. Die Hoffnung in Redmond: Nach einem möglichen Wahlsieg der Republikaner könnte der Prozess im Sand verlaufen – am 4. Dezember könnte sich die Sache für Microsoft daher von selbst erledigt haben. Angesichts der Redmonder Vorstellungen über den weiteren Zeitplan fühlte sich Bill Gates dann auch schon veranlasst, noch einmal zu betonen, das Unternehmen strebe danach, den Fall so schnell wie möglich zu einem Abschluss zu bringen. "Wir glauben, es gibt keine Basis für den unerhörten Teilungsvorschlag, und wir sind zuversichtlich, dass der Richter diese übertriebene Forderung zurückweisen wird, sodass das Verfahren sehr viel schneller zu einem Abschluss gebracht werden kann", betonte Gates. "Selbst ohne den drastischen Teilungsvorschlag sind viele Elemente aus dem Regierungsantrag ungerechtfertigt, liegen außerhalb des eigentlichen Gegenstands des Verfahrens und sind für die Verbraucher schädlich", erklärte Gates.

Erste Reaktionen von US-Regierungsseite sprachen allerdings bereits davon, Microsofts Plan sei so flau und so voller Schlupflöcher, dass er die Rechtsverletzungen, die der Richter in seinem Urteil festgestellt hat, nicht hätte verhindern können. Anwälte der Kläger betonten, ihr Antrag auf Aufspaltung des Konzerns mit zusätzlichen Auflagen sei auf die Zukunft ausgerichtet und darauf angelegt, zukünftige Rechtsverletzungen durch Microsoft zu verhindern.

Geschichtsbewusste PC-Nutzer dürften sich zudem an eine frühere Vereinbarung zwischen Microsoft und dem US-Justizministerium erinnern: Darin wurden im Rahmen eines Verfahrens zu Windows 95 und seine Kopplung mit dem Internet-Browser und MSN ebenfalls bestimmte Einschränkungen der Geschäftspraktiken vereinbart, die den Ausschluss anderer Anbieter verhindern sollten. Das neue Verfahren zeigt nach Ansicht vieler Beobachter, dass dieser so genannte Consent Decree überhaupt nichts gebracht hat – und die Vorschläge von Microsoft seien eigentlich ein alter Hut, fast schon eine Mogelpackung, vergleiche man sie mit der damaligen Vereinbarung. Außerdem würde die notwendige Überwachung, ob Microsoft die eigenen Vorschläge auch einhält, entweder gar nicht funktionieren oder eine aufgeblähte Bürokratie erfordern, die gar nicht schnell genug auf die sich rapide ändernde EDV-Branche reagieren könnte.

Microsoft versucht offensichtlich, bei der Zumessung einer Strafe ganz bei den alten Vorwürfen zu bleiben, die sich allein auf die Kopplung zwischen Browser, einzelnen Anwendungen und Betriebssystem bezogen. Die Feststellungen des Richters und die Vorwürfe der Kläger, der Konzern operiere in allen Bereichen mit den gleichen Methoden, um Konkurrenz auszuschalten, und versuche so auch neue Märkte wie etwa diejenigen für Handys und elektronische Organizer zu besetzen, ignoriert der Konzern in seinen Vorschlägen geflissentlich. Manager des Konzerns, darunter auch Bill Gates und Steve Ballmer, betonen immer wieder, dass Microsoft doch eigentlich gar nichts falsch gemacht habe – sie scheinen aber bereit zu sein, eine Niederlage in den alten Schlachten um den Web-Browser und seine Integration ins Betriebssystem hinzunehmen, um in den neuen Märkten für Internet-Infrastruktur, Server und kleine, mobile Geräte unbehindert operieren zu können. Ob sich Microsoft mit seinem nun vorgelegten Antrag gegenüber dem Gericht und in der Öffentlichkeit einen Gefallen getan hat, bleibt abzuwarten – aber Microsoft hat ja inzwischen eine eigene "Botschafterin", um das Image der Firma aufzupolieren. (jk)