Microsoft wirft Richter "entscheidende Fehler" vor

Hintergrund: Mit scharfer Kritik an verfahrenstechnischen und faktischen Mängeln fährt Microsoft in der Berufung gegen das Urteil im Kartellverfahren schweres Geschütz auf.

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Von
  • Jürgen Kuri

Hintergrund: In der Berufung, die Microsoft beim Appeals Court gegen das Urteil von Richter Thomas Penfield Jackson eingelegt hat, wirft die Firma Jackson eine Reihe "ernsthafter substanzieller und verfahrenstechnischer Fehler" vor, die nach Ansicht Microsofts "praktisch jeden Aspekt des Verfahrens" beeinflusst hätten. Das Urteil sei größtenteils nur auf Grund von "Aussagen nach Hörensagen, die von den Klägern eingereicht wurden", gefällt worden. Außerdem hätten die Regeln für die Geschäftspolitik, die bis zur endgültigen Entscheidung gelten sollten, "weit reichende und unumkehrbare Konsequenzen."

Für die Forderung, die vorläufigen Auflagen auszusetzen, musste Microsoft ein zusätzliches Papier einreichen, in dem der Konzern begründet, warum er seiner Berufung Erfolgschancen einräumt. Normalerweise darf diese Begründung nur 20 Seiten umfassen – Microsoft legte aber 39 Seiten vor und beantragte gleichzeitig, von der eigentlich vorgesehenen Umfangsbeschränkung befreit zu werden. Den eigentlichen Widerspruch will Microsoft entsprechend zu dieser Begründung genauer untermauern, sobald das Berufungsgericht seinen Zeitplan vorgelegt hat. Bislang ist aber noch nicht klar, ob dieser Appeals Court tatsächlich darüber verhandelt – er hat allerdings die Berufung von Microsoft in einer überraschend schnellen Reaktion angenommen, wohl um dem obersten Bundesgericht Supreme Court zu zeigen, dass man gewillt ist, das Verfahren rasch durchzuziehen. Da aber das US-Justizministerium bei Richter Jackson bereits beantragt hat, über die Berufung beim Supreme Court zu verhandeln, kann dieser das Verfahren, wenn Jackson wie erwartet zustimmt, immer noch an sich ziehen. Das Recht dazu gibt ihm der so genannte Expediting Act, der die direkte Berufung vor dem Supreme Court bei Kartellverfahren von nationaler Bedeutung zulässt.

In seiner jetzigen Eingabe an den Appeals Court kritisiert Microsoft Richter Jackson zum ersten Mal direkt: Er habe der Firma kein angemessenes Verfahren ermöglicht und Feststellungen getroffen, ohne die Beweise zu nennen oder die Präzedenzfälle, die sie rechtfertigen würden. Auch stellt Microsoft mit einer gewissen Befremdung fest, dass Jackson den Strafantrag der Kläger "ohne eine einzige substanzielle Änderung" unterzeichnet habe. Und obwohl Microsoft selbst zur Beweisführung Zeitungs- und Magazin-Artikel vorlegte, wirft der Konzern Jackson vor, er habe die Anwendung der Bundesgesetze über Beweismittel weitgehend ausgehebelt, indem er diverse Tageszeitungs- und Zeitschriftenartikel sowie anderes reines Hörensagen als Beweismittel zugelassen habe. Zu den Auswirkungen des Verfahrens bemerkt Microsoft, dass schon die Tatsachenfeststellung des Richters dazu geführt habe, dass Microsoft seine Position als Firma mit der weltweit größten Marktkapitalisierung verloren habe. "Die Öffentlichkeit wird ernsthafte und weit reichende Schäden erleiden", wenn das Urteil von Jackson in Kraft gesetzt werde.

Zur Tatsachenfeststellung selbst erklärt Microsoft unter anderem, der Richter sei etwa auf die Beweismittel von Microsoft nicht eingegangen, dass die Firma keine Gebühren von den Verbrauchern für die Verbesserungen an Windows durch den Internet Explorer verlangt habe, wovon die Kunden aber deutlich profitiert hätten. Außerdem sei zwar die Beweisführung von Microsoft unwidersprochen geblieben, die Verbesserungen durch den Internet Explorer hätten nicht durch einen eigenständigen Browser wie Netscapes Navigator erreicht werden können, in der Urteilsbegründung sei dies aber nicht mehr berücksichtigt worden.

In einer begleitenden Mitteilung erklärte Steve Ballmer, CEO von Microsoft, der Konzern werde natürlich dem endgültigen Urteil nachkommen, "aber wir glauben, dass das Urteil [von Richter Jackson] sowohl falsch als auch ungerecht ist." Und er betonte: "Wir glauben, dass das Berufungsgericht erkennen wird, dass Microsofts Produktinnovationen das Herz und die Seele des Wettbewerbs in der Hightech-Industrie sind." Und Bill Neukom, Microsoft-Vizepräsident und unter anderem für juristische Angelegenheiten zuständig, meinte, der Konzern werde um die Aufhebung mehrerer Tatsachenfeststellungen ersuchen, die deutlich fehlerhaft seien. Bislang hatte Microsoft in seinen Ankündigungen für das Berufungsverfahren vor allem darauf abgehoben, dass trotz der Tatsachenfeststellungen des Richters das Strafmaß unangemessen sei. Die nun vorgelegten Berufungsdokumente verschärfen mit ihrer zusätzlichen Kritik an Richter Jackson und der Tatsachenfeststellung den Ton im weiteren Kartellverfahren deutlich. Ob dies mögliche Einigungsverhandlungen, die in den letzten Tagen wieder ins Gespräch gebracht wurden, verhindert, steht allerdings noch in den Sternen. (jk)