Milliardenprojekt: Kommissionschefin von der Leyen will "CERN für KI" einrichten

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen fordert massive Investitionen in die Forschung unter dem Motto eines "CERN für KI". Kritiker monieren, das sei zu vage.

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Ein Kopf bildet sich aus kleinen Teilchen.

(Bild: Shutterstock/Alexander Supertramp)

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Mitglieder der 2018 ins Leben gerufenen Forschungsgemeinschaft Confederation of Laboratories for Artificial Intelligence Research in Europe (Claire), die Europa bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) nach vorn bringen wollen, haben prominente Unterstützung bekommen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihr Kernanliegen aufgegriffen, für KI eine Großforschungseinrichtung nach dem Vorbild des CERN bei Genf einzurichten. Mit der Gründung der Europäischen Organisation für Kernforschung, die Heimstätte des World Wide Web ist, verlagerte sich nach dem 2. Weltkrieg der Schwerpunkt der Grundlagenphysik von den USA nach Europa.

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In ihren politischen Leitlinien für ihre 2. Amtszeit erklärt von der Leyen: "Mit unserer Künstlichen Intelligenz (KI) ist Europa bereits führend, wenn es darum geht, KI sicherer und vertrauenswürdiger zu machen und die Risiken zu bekämpfen, die sich aus ihrem Missbrauch ergeben". Nun müsse die EU ihre Bemühungen darauf konzentrieren, generell "ein weltweit führender Anbieter von KI-Innovationen zu werden". Die Kommission werde daher gemeinsam mit den Mitgliedstaaten, der Industrie und der Zivilgesellschaft eine anwendungsorientierte Strategie entwickeln, "um neue industrielle Einsatzmöglichkeiten" der Schlüsseltechnik zu fördern und "die Bereitstellung einer Vielzahl öffentlicher Dienste, etwa im Gesundheitswesen, zu verbessern".

Die CDU-Politikerin betonte: "In diesem Geiste werde ich die Einrichtung eines Europäischen KI-Forschungsrats vorschlagen, in dem wir alle unsere Ressourcen bündeln können, ähnlich dem Ansatz, den wir beim CERN verfolgen."

Claire brachte die Idee eines "CERN für KI" 2018 bei seiner Gründung ins Spiel. "Es ist an der Zeit", hob der Zusammenschluss seitdem immer wieder hervor, "in großem Maßstab und wirksam in eine öffentlich zugängliche und betriebene KI-Infrastruktur zu investieren und gleichzeitig Spitzenforschung und vorwettbewerbliche Entwicklungskapazitäten aufzubauen." Konkrete Zahlen für das dafür benötigte Budget nannte Claire in seiner Gründungsvision nicht. Holger Hoos, einer der Direktoren des KI-Centers an der RWTH Aachen und Wegbereiter für Claire, schätzte voriges Jahr: Für ein solches Vorhaben wären "maximal 20 bis 25 Milliarden Euro" erforderlich.

Im März schlug auch der wissenschaftliche Kommissionsbeirat SAM die Etablierung eines European Distributed Institute for AI in Science (Ediras) vor, das er als "verteiltes CERN für KI in der Forschung" beschrieb. Dieses solle durch einen "Europäischen Rat für KI in der Wissenschaft" finanziert werden. Die Vorschläge des SAM und von Claire überschneiden sich weitgehend, Ediras soll aber vollständig dezentral arbeiten und KI in der Wissenschaft auf breiter Front fördern. Die Denkfabrik Centre for European Policy Studies (CEPS) regte jüngst an, diese und ähnliche Initiativen in einer Kooperation für vertrauenswürdige KI zu vereinen. Deren Kosten beliefen sich auf 100 bis 120 Milliarden Euro über sieben Jahre. Zum Vergleich: das gesamte Budget für das siebenjährige Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa beträgt 95,5 Milliarden Euro.

Laut Hoos rechnet sich ein milliardenschwerer Einsatz, denn "was man dafür bekommt, ist überaus attraktiv: KI ist ja anders als die Teilchenphysik ein Bereich, in dem der Weg vom Labor in die Praxis sehr kurz ist. Dann wäre das eine Investition", die sich vermutlich binnen weniger Jahre auch finanziell auszahle. Von der Leyen sei aber bislang so unspezifisch geblieben, dass man die Details abwarten müsse. Doch es gibt Gegenstimmen. Die belgische Wirtschaftswissenschaftlerin Reinhilde Veugelers gab gegenüber Euractiv zu bedenken: Ohne wirklich gute Argumente wäre die genannte Ausgabe eine "große Geldverschwendung". Claire & Co. würden "im Grunde auch Lobbyarbeit für ihr Fachgebiet machen". Sie plädiert dafür, das Budget schrittweise zu erhöhen, wenn das Vorhaben prinzipiell funktioniere.

(tho)