Millionenstreitwerte wegen Patenten bald auch in Europa?

Softwarepatentgegner fordern nach der kostspieligen Beilegung der juristischen Auseinandersetzung zwischen Research in Motion und NTP eine rasche Einschränkung der Vergabepraxis des Europäischen Patentamts.

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Softwarepatentgegner fordern nach der millionenschweren Beilegung der juristischen Auseinandersetzung zwischen dem Blackberry-Hersteller Research in Motion (RIM) und der US-amerikanischen Organisation NTP eine rasche Einschränkung des Patentsystems in Europa bei der Vergabe gewerblicher Schutzrechte auf "computerimplementierte Erfindungen". Sonst steuere man auf einen ähnlichen Fall zu, fürchtet Florian Müller, Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com. Solch kostspielige Streitigkeiten seien auch auf dem alten Kontinent nur noch "eine Frage der Zeit, wenn die Politiker nicht Maßnahmen ergreifen, um der illegalen Erteilungspraxis des Europäischen Patentamtes (EPA) Einhalt zu gebieten", glaubt der Aktivist. In einem aktuellen Artikel (PDF-Datei) für das Brüsseler Parliament Magazine räumt Müller zwar ein, dass bislang "Prozesskosten und Schadensersatzzahlungen in Europa niedriger als in den USA ausfallen". Das Recht eines Patentinhabers, andere von der Benutzung bestimmter Techniken abzuhalten, sei hingegen ein weltweites Merkmal des Patentwesens. Der Lobbyist führt als Beispiel an, dass jüngst auch die Deutsche Telekom in Verbindung mit der Verbreitung von Fernsehinhalten über das Internet mit Patentklagen bedroht worden sei.

Laut Müller ächzt Europa unter einer Patentinflation: Die Zahl der Patentanmeldungen, die jährlich beim EPA eingereicht werden, sei zwischen 1998 und 2005 von 110.000 auf 180.000 angestiegen. Diese Zahl könne man nicht auf tatsächliches Wirtschaftswachstum zurückführen, sondern sie spiegele "niedrigere Qualitätsstandards, einen zunehmenden Gebrauch von Patenten als strategische Waffe und eine stetige Ausdehnung des patentierbaren Bereichs" wider. Im Juli wies das EU-Parlament zwar eine Richtlinienvorlage zurück, welche die weite Erteilungspraxis des EPA für Monopolansprüche auf Erfindungen rund um Computerprogramme ratifiziert hätte. Die Frage der europäischen Softwarepatente sei jedoch ungeklärt: Gegenwärtig würden sie existieren, auch wenn ihre Durchsetzung oftmals scheitere.

Mit Skepsis betrachten neben Müller auch Organisationen wie die Free Software Foundation Europe (FSFE) oder der Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) eine noch bis Ende März laufende Sondierung der EU-Kommission zur zukünftigen Patentstrategie. Sie befürchten, dass das damit ins Spiel gebrachte Gemeinschaftspatent oder der Vorschlag für ein Patentstreitregelungsabkommen dem EPA zusätzliche Macht und seiner Vergabepraxis eine stärkere rechtliche Position verleihen. Nationalen Obergerichten wie dem Bundesgerichtshof würde dagegen die letztinstanzliche Entscheidungsbefugnis über triviale Patente genommen.

In Kanada, der Heimat von RIM, hat die Vergleichzahlung derweil zu heftigen Reaktionen geführt. "Ein weiterer Skalp eines kanadischen Unternehmens hängt nun stolz wie eine Wettbewerbsflagge von den Dachsparren des US-Justizsystems", kommentiert die National Post den Abschluss des langjährigen Streitfalls. Der Anbieter des beliebten E-Mail-Pushdienstes habe dem Druck eines US-amerikanischen Richters und einer Jury nachgeben müssen, um Bewegungsfreiheit zu gewinnen. Dabei habe das US-Patentamt bereits weite Teile des entscheidenden Patentbestands von NTP für nichtig erklärt.

James Balsillie, einer der RIM-Geschäftsführer, erklärte, "dass er sich nicht so gut fühle" mit den Umständen der Beilegung der viel beachteten Patentfehde. Angesichts des über der Firma schwebenden Damoklesschwerts einer einstweiligen Verfügung in den USA, wo RIM etwa drei Viertel seiner insgesamt 4,3 Millionen Kunden hat, und dem abflauenden Neugeschäft in den vergangenen Monaten habe man sich für den pragmatischen Weg entschieden. Große Freude herrscht derweil bei der Familie des 2004 bereits an Krebs verstorbenen NTP-Mitgründers Tom Campana Jr., der die Unternehmung 1992 ins Leben rief, um sein wachsendes Portfolio an Patenten für Systeme zum Verschicken von Kurznachrichten an Mobilgeräte von einem Computer aus abzusichern. Das Geld hätte seinem Sohn zwar wohl wenig bedeutet, sagte Thomas Campana Sr. laut US-Medienberichten. Dieser hätte es aber nicht ertragen, wenn RIM "mit dem Diebstahl seiner Patente davongekommen wäre". Die Vergleichssumme fließt hauptsächlich an die Witwe des Erfinders sowie den zweiten NTP-Gründer, Donald Stout, die gemeinsam über 50 Prozent an der Firma halten.

Andere Unternehmen, die in jüngster Zeit viel Geld mit dem Eintreiben von Lizenzen für Softwarepatente mit Hilfe von Klageandrohungen machen, haben die Vergleichzahlung ebenfalls begrüßt. "Die Ironie ist, dass der Fall schon vor drei oder fünf Jahren für viel weniger Geld hätte beigelegt werden können", rührt Paul Ryan, Vorstand der besonders im Streaming-Bereich aktiven Patenzlizenzierungsfirma Acacia, die Werbetrommel für sein umstrittenes Geschäftsmodell. Im vergangenen Jahr endeten Verhandlungen über einen Vergleich zwischen beiden Parteien ergebnislos: RIM hatte die Zahlung von 450 Millionen US-Dollar angeboten, während NTP eine Milliarde wollte. Größte Gewinner des Patentkampfs der beiden Firmen sind nach Ansicht von Beobachtern vor allem Patentanwälte, da eine gute juristische Vertretung angesichts der hohen Streitwertigkeiten auch für Computerfirmen im Minenfeld der Softwarepatente unerlässlich sei. (Stefan Krempl) / (se)