Missing Link: Auch eine Geschichte der Öffentlichkeit - Habermas und der Maulwurf der Vernunft

Seite 3: Mensch-Maschine-Kommunikation

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Es gibt Habermas-Interpretationen gemäß der Theorie des kommunikativen Handelns, die die im Internet ausgetauschten Sprechakte von Menschen als Mensch-Maschine-Kommunikation abwerten oder dahingehend begreifen, dass ein gemeinsamer Bezug auf eine objektive Wahrheit gar nicht möglich ist:

"Für die Kommunikation im Internet gilt jedoch nicht mehr die Prämisse, dass das in einer Äußerung verkörperte Wissen einen Tatsachenbezug haben muss. Die Objektivität einer (sprachlichen) Äußerung innerhalb der Kommunikation zwischen zwei Aktoren muss im Internet nicht mehr zwingendermaßen einen Bezug zur objektiven Welt haben, da ein Tatsachenbezug bzw. eine objektive Beurteilung beider Aktoren unmöglich erscheint, sofern diese sich weder sehen, noch persönlich kennen und somit beide gleichermaßen nicht mehr in der Lage dazu sind, objektiv zu beurteilen, ob ihr Gegenüber tatsächlich der ist, der er vorgibt zu sein."

Im Rahmen der öffentlichen Debatte gibt es nicht nur den Wissenschaftler Jürgen Habermas, der mit großem theoretischem Aufwand die Verständigungsprozesse einer Gesellschaft untersucht, sondern auch den Staatsbürger, der sich in politischen Debatten zu Worte meldet. Als Habermas sich in die Debatte um die von konservativen Denkern geführte Entsorgung der Vergangenheit des Nationalsozialismus einschaltete, schrieb er: "Selbstverständlich haben Philosophieprofessoren -- wie Wissenschaftler und Intellektuelle überhaupt -- keinen privilegierten Zugang zur Wahrheit. Das meinte nur Heidegger. Wenn sie zu praktischen Fragen Stellung beziehen, tun sie das entweder in der Rolle des Experten (der ich nicht bin) oder mit dem Recht zur Teilnahme an den unter Staatsbürgern geführten Diskussionen."

Der Maulwurf wühlt. Und es kommt einiges ans Tageslicht. Möglicherweise auch die Wahrheit.

(Bild: Scherbi / shutterstock.com)

Die erste von vielen staatsbürgerlichen Stellungnahmen erschien im Jahre 1953 und beschäftigte sich mit dem erwähnten Philosophen Martin Heidegger, der im Nationalsozialismus sein Denken "herrschaftskompatibel" machte. 1953 veröffentlichte Heidegger seine Vorlesungen von 1935 unkommentiert, mit Passagen, in denen er von der "inneren Wahrheit und Größe" der nationalsozialistischen Bewegung schwärmte und "Deutschland auf einer weltgeschichtlichen Mission" sah.

In dem Artikel "Mit Heidegger gegen Heidegger denken" fürchtete der Student Habermas, das "begeisterungsfähige Studenten" den kaum verbrämten Faschismus akzeptieren. Das wiederholte sich 1985 bei der "Entsorgung der Vergangenheit" durch den Philosophen Hermann Lübbe. Dieser kritisierte die "68er" Jugend dafür, dass sie die nationalsozialistische Vergangenheit thematisierten und vernarbte Wunden aufreißen würden. Das verärgerte Habermas: "Seit den Tagen des Kaiserreichs hat die Front gegen Linke, Kommunisten, Juden und Intellektuelle im Seelenhaushalt der Deutschen ihre mentalitätsprägende Kraft nie ganz verloren." Nur ein Jahr später bezog er im Historikerstreit eine ähnliche Position gegen Ernst Nolte.

Diese kleine Aufzählung der Interventionen des Staatsbürgers wäre freilich unvollständig ohne seine Warnung vor einem "linken Faschismus", gerichtet 1967 an die Studenten, die nach dem Tod von Benno Ohnesorg zu gewaltsamen Aktionen aufriefen. Habermas nahm den Vorwurf wenig später zurück, auch darin an die Kraft der öffentlich ausgetragenen Debatte und dem Wert vernünftiger Argumente glaubend. Noch in der Mahnung an die Politik anlässlich des 90. Geburtstages, "das bornierte Bewusstsein ihrer nationalstaatlichen Kulturen" hintere sich zu lassen, schwingt dieser Glaube mit.

Wie sagte Habermas, unbeeindruckt vom Feueralarm: "Aber der Maulwurf der Vernunft ist nur in dem Sinne blind, dass er den Widerstand eines ungelösten Problems erkennen kann, ohne zu wissen, ob es eine Lösung geben wird. Dabei ist er hartnäckig genug, um sich trotzdem in seinen Gängen voranzubuddeln." In diesem Sinne: Brav gewühlt, alter Maulwurf!. (jk)