"Missing Link": Der Erste, der nichts zu verbergen hatte

Seite 2: Spruch als Verteidigung gegen den Staat

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1919 prangerte Sinclair in "The Brass Check" die Korrumpierbarkeit der Presse an. Er erwähnte eine Explosion von 1914 in New York; dort hatten Anarchisten einen Sprengsatz gebaut, der zu früh los ging. Dabei starben die drei Bombenbastler und eine unbeteiligte Frau. Die New Yorker Zeitungen brachten anschließend Sinclair mit dem Anschlag in Verbindung. Zitat von Seite 194: "From first to last I had nothing to hide, and for that reason I had nothing to fear, and this was as well known to the newspapers as it was to the police who were probing the explosion.”

Das beschädigte Haus

(Bild: Library of Congress)

Das Argument "Nothing to hide" dient also als Verteidigung gegen die Staatsmacht und die Medien, die sie unterstützen. Ein ähnlicher und weitgehend vergessener Fall ist aus dem Jahr 1917 überliefert. Am 6. April erklärten die USA Deutschland den Krieg, am 15. Juni erließ der Kongress das Spionagegesetz von 1917. Es richtete sich weniger gegen Agenten des Kaisers als gegen US-amerikanische Bürger, die in irgendeiner Form die Kriegsanstrengungen behinderten. Hier hatten die Gesetzeshüter praktisch freie Hand.

Am 5. September 1917 stürmten Polizisten und Beamte des US-Justizministeriums im ganzen Land Büros der Sozialistischen Partei und der Industrial Workers of the World, der radikalsten Gewerkschaft. Die IWW-Zentrale in Chicago wurde leer geräumt, fünf Tonnen Akten weggeschafft. Der Chef der Gewerkschaft, William Haywood, konnte nur ein schnelles Statement verfassen, das im Oktober auch in einer linken Zeitschrift stand. Auszug: "We who have nothing to hide, and never have had, have nothing to fear from a fair and square investigation. "

William "Big Bill" Haywood

(Bild: Library of Congress)

Zu der fairen und ehrlichen Untersuchung kam es natürlich nie. 1918 wurden 101 Gewerkschaftler vor Gericht gestellt; die meisten von ihnen, darunter auch Haywood, erhielten jahrelange Gefängnisstrafen. Der IWW-Boss legte Berufung ein und blieb nur einige Monate hinter Gittern. Im März 1921 floh er in die Sowjetunion, wo er die Regierung beriet. 1928 starb er, 59 Jahre alt, in Moskau. Die eine Hälfte seiner Asche ruht in der Kremlmauer, die andere auf einem Friedhof bei Chicago.

William Haywood war wohl nicht der Erfinder des "Nothing to hide"; Upton Sinclairs Buch legt nahe, dass die Worte schon um 1910 bekannt waren. Im politischen Kontext finden wir sie aber zuerst bei Haywood und auf der linken Seite des Spektrums. In unserer Zeit wurde das Argument von den Verteidigern der staatlichen Neugier übernommen. Auch das Spionagegesetz von 1917 wurde seitdem einige Mal revidiert. Er ist aber noch immer die Hauptwaffe der USA gegen abweichende Verhaltensweisen. (mho)