Missing Link: "Polizei 2020" – "Polizei 2030"?

Seite 3: "Polizei 2020 – lediglich ein ambitionierter Arbeitstitel

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Anfang Juli 2019 hat "Polizei 2020" beim BKA einen neuen Leiter bekommen. Bis Ende Juni wurden unter dem damaligen Programmleiter Andreas Lezgus Strategie und Vorgehensmodelle erarbeitet. Am 1. Juli übernahm Holger Gadorosi, der die Projekte operativ umsetzen und strategisch weiterentwickeln soll.

Zwar würde heute wohl niemand mehr behaupten, dass "Polizei 2020" auch 2020 verwirklicht werden könnte. Aber: "Das ist ein ambitionierter Arbeitstitel. Man könnte eher sagen, 2020 geht es wirklich los, und 2030 werden realistischerweise alle wichtigen polizeilichen Anwendungen über Polizei 2020 verfügbar sein", sagt Auke Creutz. Und das werde denn auch funktionieren. Denn: "Der politische Wille ist da, das Geld ist da und man geht aus IT-Sicht vernünftig vor, indem man nicht mit dem letzten System anfängt, sondern mit den Quellsystemen."

Laut einem Whitepaper des BMI zu "Polizei 2020" ist "Stärkung des Datenschutzes durch Technik" eines der drei Kernziele des Programms Polizei 2020.

Schon grundsätzlich scheint dies ein heikles Unterfangen zu sein. Der damalige Innenminister Thomas de Maizière hat sich vor der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zur Neustrukturierung des BKA-Gesetzes am 27. April 2017 im Deutschen Bundestag sehr für "Polizei 2020" ausgesprochen; gleichzeitig kann man leise Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes heraushören: "Seit einem Jahr ist mein Haus damit beschäftigt, die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor fast genau einem Jahr, am 20. April 2016, verkündet wurde, zu ziehen und die Anforderungen aus der europäischen Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich umzusetzen."

In seiner Rede vor der BKA-Herbsttagung 2016 war er noch etwas deutlicher: "Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum BKA-Gesetz seine Rechtsprechung zum Datenschutz und zur Zweckbindung weiterentwickelt – eine Entscheidung, die wir voll umsetzen und auf die gesamte IT des BKA anwenden werden. Worum geht es dabei? Im Mittelpunkt steht der sprachlich etwas sperrige Grundsatz der "hypothetischen Datenneuerhebung". Es hat eine Weile gedauert, bis ich das meiner amerikanischen Kollegin Loretta Lynch verständlich erläutern konnte. Dabei geht es im Kern darum, dass die Eingriffstiefe der jeweiligen Datenerhebungsmaßnahme, z.B. eine Telekommunikationsüberwachung, bei der weiteren Verwendung der Daten streng beachtet wird. Herr Vizepräsident Kirchhof ist morgen hier und wird Ihnen dieses Prinzip bei Bedarf im Einzelnen erläutern. Wie immer man zu dem Urteil steht." Man kann aus de Maizières Aussagen eine gewisse Distanz gegenüber einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes heraushören, und zwar gegenüber dessen Forderung nach verbessertem Datenschutz. Was sagt es über ein Ministerium aus, wenn der oberste Chef, wohlgemerkt ein Jurist, so spricht?

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Eine neue BKA-Abteilung soll Hasspostings zentral erfassen. Die Behörde fordert dazu eine erweiterte Vorratsdatenspeicherung und ein geändertes NetzDG.

Risiko Daten selbst: "Eine möglichst hohe Datenqualität ist dabei nicht nur ein Gebot des Datenschutzes, sondern auch die Grundlage effektiver Polizeiarbeit. Ein übergreifendes Informationssystem ermöglicht es, personen- und ereignisbezogene Daten phänomenübergreifend zusammenzuführen, um so Zusammenhänge besser zu erkennen und die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen." So das BKA, und es ist sicherlich korrekt. Aber diese Zusammenführung wird natürlich auch Unschuldige ins Blickfeld rücken, und wie wird mit solchen falsch positiven Treffern umgegangen?

Risiko Cloud: Das BKA baut eine Cloud als Polizei Service Plattform für das Programm "Polizei 2020 auf". Laut BKA wurden erste "Beispielimplementierungen […] bereits auf die Plattform überführt. Die Plattform selbst ist im Polizeinetz verfügbar, eine Reihe von Teilnehmern des Programms "Polizei 2020" hat Zugriff auf den Entwicklungsbereich der Plattform und unternimmt erste Schritte zur Nutzung. Aktuell laufen die Planungen, welche Funktionalitäten polizeilicher Fachanwendungen sukzessive auf die Plattform transformiert werden können. Querschnittservices (fachliche, technische Services und Services für die Entwicklung) befinden sich im Aufbau. So sollen Test- und Produktionsbereiche schrittweise vervollständigt werden." Ohne Cloud wird´s nicht gehen, aber mit wie sicher wird diese sein?

Risiko andere Behörden: Bei "Polizei 2020", PIAV und eFBS wird auch mit ausländischen Polizeibehörden zusammengearbeitet, so das BKA: "In Bezug auf "Polizei 2020" und damit zusammenhängende IT-Projekte gibt es einen Austausch zu best practices in der Transformation polizeilicher IT-Architekturen unter anderem mit den Niederlanden, Dänemark, Australien und Kanada." Dies ist unverfänglich. Und einerseits ist eine internationale Zusammenarbeit hilfreich, sogar notwendig, wenn es um Prävention und Bekämpfung von Verbrechen geht. Andererseits erhöht die internationale Zusammenarbeit auch das Risiko, dass auf dem "kleinen Dienstweg" mehr Daten ausgetauscht werden, als im Sinne der Justiz erwünscht sind. (bme)