Missing Link: "Polizei 2020" – "Polizei 2030"?

Vor 50 Jahren kam die EDV zur Polizei. In Folge kochten viele Behörden ihr eigenes Süppchen. Das Programm "Polizei 2020" soll ein einheitliches System schaffen.

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Missing Link: "Polizei 2020" – "Polizei 2030"?

(Bild: Shutterstock/Cristian Dina)

Lesezeit: 18 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Vor knapp drei Jahren, am 30. November 2016, verständigten sich die Innenminister des Bundes und der Länder im Rahmen ihrer Herbstkonferenz auf die Saarbrücker Agenda zur Informationsarchitektur der Polizeien des Bundes und der Länder als Teil der Inneren Sicherheit. Zur Umsetzung dieser so genannten Saarbrücker IT-Agenda hat das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) das Programm "Polizei 2020" geschaffen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wie sieht es mit dem Programm aus? Worin besteht es, wer macht es, wie wird es finanziert, was ist bislang geschehen? Und was lässt der Blick in die Zukunft für den Datenschutz befürchten oder auch erhoffen?

Das Programm ist eine Mammutaufgabe. Die Datenlandschaft des BKA sowie der polizeiliche Verbund werden seit den 1970er Jahren aufgebaut und weiterentwickelt, je nachdem, was die Arbeit fordert und die Technik hergibt. Und heute sind viele Dateien, so das Bundeskriminalamt (BKA), "kaum miteinander verbunden".

Die Grundlage des polizeilichen Informationswesens in Deutschland bildet das Anfang der 1970er Jahre eingeführte polizeiliche Informationssystem INPOL beim BKA. Es enthält Angaben zu Personen und Sachen, die in Kriminalfälle verwickelt sind. Es wurde mehrfach überarbeitet, seit 2003 läuft INPOL-Neu. Aber es ist schwierig zu reformieren, beim System INPOL schafft man gerade mal drei bis fünf Änderungen pro Jahr, so der damalige Innenminister Thomas de Maizière in einer Rede vor der BKA-Herbsttagung 2016. Daher wurde das Programm Polizei 2020 aufgelegt.

Dabei versuchen die Behörden schon seit mehreren Jahren, die unterschiedlichen Datenbanken unter einen Hut zu bringen. So beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) schon angesichts der Taten des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), einen Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV) einzuführen. Er ist im Entstehen, einige Dateien werden schon genutzt, der Großteil soll aber erst folgen.

Ein weiteres Projekt ist das einheitliche Fallbearbeitungssystem (eFBS), das im Januar 2017 gestartet wurde. Ein eFBS war schon länger Forderung etwa der Polizeigewerkschaft Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Im Jahre 2016 beschloss das Bundesinnenministerium (BMI), rund 35 Millionen Euro für das neue Fallbearbeitungssystem bereitzustellen. Es sollte beim Bund gehostet werden, dadurch, freute sich der BDK, könnten "zudem die Kosten für die einzelnen Länder gesenkt werden, die auf teure und inkompatible Eigenentwicklungen zukünftig verzichten können." (Wobei allerdings laut einer Kleinen Anfrage der Linken der BDK eine Sicherheitspartnerschaft mit der ausführenden Firma rola Security Solutions GmbH geschlossen hat.)

So richtig fertig wurde eigentlich nichts, alles wird teurer und dauert länger als geplant. Das interessiert seltsamerweise kaum jemand: Die Jury der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. hat im Jahr 2015 das Thema "Millionengrab Polizei-Software" (betrifft vor allem INPOL und PIAV) unter die Top Ten der vernachlässigten Nachrichten gezählt.

Doch nun wurden die Modernisierung von INPOL, sowie PIAV und eFBS in das Programm Polizei 2020 integriert. So sollen die Konsolidierung und Vereinheitlichung endlich klappen.

Dies ist der Name für das Programm, mit dem alle bestehenden und perspektivisch geplanten Projekte zur Modernisierung des polizeilichen Informationsmanagements zentral koordiniert werden. Es ist das Bundesvorhaben zur Vereinheitlichung und Konsolidierung des polizeilichen Informationswesens in Deutschland. Die Grundlage bildet das neue Bundeskriminalamtgesetz, das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2016 novelliert wurde. Polizei 2020 hat 19 Teilnehmer, und das BKA als Zentralstelle der deutschen Polizei stellt ihnen Informationen, Serviceleistungen und Know-how zur Verfügung.

Geleitet wird es von einem Bund-Länder-Lenkungsausschuss (BLLA) unter Vorsitz der Leitungsebene des Bundesministeriums des Innern (BMI). Die Programmleitung (ProgrL) ist im BKA angesiedelt. Ihr steht ein Programmstab zur Seite. Für jedes dem Programm zugeordnete Projekt (wie INPOL-Modernisierung, PIAV, eFBS) benennt das BKA eine Gesamtprojektleitung.

Technisch gesehen soll im Rahmen von Polizei 2020 ein Verbundsystem mit zentraler Datenhaltung entstehen: Das BKA nennt es Datenhaus. Daten sollen nur noch einmal erfasst werden, und zwar in einem einheitlichen System nach den gleichen Regeln. Und sie sollen durch die Nutzung zentraler Dienste einheitlich verarbeitet werden.

Laut BKA werden "die laufenden Verbundprojekte PIAV und eFBS […] weiterhin als Einzelprojekte verfolgt und im Hinblick auf das Ziel des Aufbaus einer gemeinsamen, modernen und einheitlichen Informationsarchitektur für die Polizeien des Bundes und der Länder unter dem Dach des Programms Polizei 2020 fortgeführt."

PIAV ist ein oberflächenloses System, welches zentral beim BKA betrieben wird, und zwar als Teil des INPOL-Verbundes. Es soll unter anderem zur Aufklärung nicht nur länder-, sondern auch phänomen- und dateiübergreifender Tat-/Täter- bzw. Tat-/Tat-Zusammenhänge beitragen. Es gibt verschiedene Module bzw. Dateibereiche, die nach und nach scharf geschaltet werden. Den Anfang machte "Waffen- und Sprengstoffkriminalität", der abgekürzt als WSK in den Pilotbetrieb ging. Der nächste Teil war "Gemeingefährliche Straften und Rauschgiftkriminalität". Inzwischen wurde der erste in den zweiten Teil überführt, aber die Abkürzung WSK blieb bestehen und gilt nun für "Gemeingefährliche Straften und Rauschgiftkriminalität".

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Dagegen ist eFBS zunächst einmal bloß für die so genannte "CRIMe-Kooperation" vorgesehen, nämlich das BKA, die Bundespolizei (BPol) und die Länderpolizeien von Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg, die gemeinsam ein anderes Fallbearbeitungssystem benutzen und zusammen auf eFBS umsteigen wollen. Polizeien wie das Zollkriminalamt sowie die Polizeien in Berlin, Rheinland-Pfalz, Bayern und Sachsen verzichten dagegen noch auf eFBS.

Ganz allgemein kann man sagen: Die unterschiedlichen Polizeien handhaben die Projekte verschieden. Viele nutzen nicht alles, etwa eFBS. Vor allem organisieren die Behörden die Projekte ganz unterschiedlich, was angesichts der Verschiedenheit der Bundesländer auch nicht verwunderlich ist: Erstens mag die Abstimmung zwischen Ministerien und Behörden in Stadtstaaten wegen der räumlichen Nähe einfacher sein als in Flächenländern. Zweitens unterscheiden sich die finanziellen und personellen Ausstattungen zwischen den Ländern bedeutend und das erlaubt manchen Ländern, sich mehr als andere beim Bund einzubringen und so natürlich auch Einfluss zu nehmen. Drittens liegt die Federführung für Polizei 2020 und PIAV meist bei einer Polizeibehörde, also einem Landeskriminalamt (LKA), Polizeipräsidium oder auch der Technik; dagegen wurden die Presseanfragen zu diesem Artikel bei etwa einem Drittel der Länder, nämlich Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Sachsen zuständigkeitshalber vom verantwortlichen Innenministerium beantwortet.

In Brandenburg zum Beispiel sind die Verantwortlichkeiten geteilt, da liegt die Federführung für PIAV bei der Polizei, und das Innenministerium zeichnet für Polizei 2020 verantwortlich.

In Baden-Württemberg wiederum wird "die Projektierung im Rahmen eines Multiprojekts PIAV, eFBS und Polizei 2020 betrieben", so die Stabsleitung beim LKA. Das Projekt "XPolizeiBW" beinhaltet PIAV, eFBS, außerdem das Bildfahndungssystem (BFS), das Europol Kommunikationssystem (SIENA), das Asservatenmanagementsystem (AMS), sowie das Elektronisches Aktensystem (e-Akte). Baden-Württemberg beteiligt sich, so die Stabsleitung, "seit Planungs- und Entwicklungsaufnahme PIAV und eFBS an diesen Projekten; gleiches gilt für das Programm Polizei 2020. BW bündelt das vorgehaltene Wissen und nutzt die sich ergebenden Synergien aller diesbezüglichen Vorhaben. Von dort aus werden die Mitarbeiter themenbezogen und ressourcenschonend in den Bund- und Länder-Projektbereichen eingesetzt." Genutzt wird PIAV schon, es ist dort "eine im polizeilichen Anwendungsportfolio BW offiziell allen Sachbearbeitern bereitgestellte Anwendung. Die komplette Sachbearbeitung kann unter Beachtung eines speziellen Rechtekonzepts vollumfänglich auf alle bereits vom Wirkbetrieb umfassten Bereiche zugreifen. Eine Dienstanweisung regelt verpflichtend die Anlieferung relevanter Daten."

In Sachsen ist seit dem 1. Dezember 2013 das Teilnehmerprojekt "PIAV-Operativ Land Sachsen" (PIAV-SN) eingerichtet, und das Teilnehmersystem "PIAV-SN" wird seit dem 1. Mai 2016 genutzt, seit der "Wirkbetriebsaufnahme" der 1. Stufe des PIAV auf Basis von rsCASE. Derzeit passt die sächsische Polizei ihre Projektstrukturen an die des Bundes (Polizei 2020) an, so die Stabsstelle Kommunikation im Innenministerium, "sodass künftig das Projekt PIAV-SN als Projektgruppe des sächsischen Teilnehmerprogramms "Polizei.2020.SN" fortgeführt wird."

Berlin verfolgt PIAV weiterhin als Einzelprojekt, sagt Auke Creutz, der Leiter der etwa 20 Mitarbeiter starken "Zentralstelle Polizei 2020 – Polizei 2020, PIAV, CASA" – in Berlin, "aber wir haben Polizei 2020 und PIAV in der Zentralstelle Polizei 2020 im LKA gebündelt. Wir wollen schlanke Strukturen und Abstimmungsdefizite vermeiden. Aber es gibt weiterhin das Einzelprojekt PIAV mit einem verantwortlichen PIAV-Projektleiter, einem verantwortlichen Ansprechpartner für PIAV-Operativ, einem verantwortlichen Ansprechpartner für PIAV-Strategisch und so weiter."

Polizei 2020 wird in Berlin im Stab des LKA umgesetzt, erklärt Creutz: "Die Umsetzung des Programms Polizei 2020 wird im Land Berlin von Programmrat und Lenkungsausschuss begleitet und diese Gremien treffen die strategischen Entscheidungen." Der Lenkungsausschuss, der das erste Mal im August 2019 zusammengekommen ist, entscheidet über besonders wichtige Fragestellungen. Zu ihm gehören wichtige Vertreter der Behörde und der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, wie zum Beispiel die Berliner Polizeipräsidentin und der Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit und Ordnung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Im Programmrat geht es eher um fachliche und technische Fragen.

Die Kosten von "Polizei 2020" mit PIAV und eFBS sind nicht ganz einfach zu beziffern. Zunächst gilt, so das BKA: "Der Erfüllungsaufwand zur Umsetzung des neuen BKAG, der sich maßgeblich auf die Umsetzung des Programms "Polizei 2020" bezieht, beträgt ausweislich des Gesetzentwurfs 254 Millionen Euro. Die darüber hinaus gehende übergreifende und dauerhafte Finanzierung von Anpassungen in Landessystemen soll über einen Polizei-IT-Fonds (im Koalitionsvertrag als Investitionsfonds bezeichnet) erfolgen."

Im Koalitionsvertrag steht: "Mit den Versteigerungserlösen der 5G-Lizenzen wollen wir einen Investitionsfonds einrichten, der für den Ausbau der digitalen Infrastruktur zur Verfügung steht." Die Versteigerung hat 6,55 Milliarden Euro gebracht, die sicherlich auf mehrere Projekte verteilt werden. Für Polizei 2020 soll für die kommenden fünf Jahre ein dreistelliger Millionenbetrag zur Verfügung stehen.

Das ZKA nennt, wie die meisten Behörden, die 254 Millionen Euro plus Investitionsfonds, und fügt hinzu: "Weitere in Zusammenhang mit dem Programm des Zolls zu Polizei 2020 entstandene/entstehende Kosten wurden/werden aus dem laufenden Haushalt beglichen. Eine Konkretisierung ist zurzeit nicht möglich."

Bei der Bundespolizei werden die laufenden Verbundprojekte PIAV und eFBS weiterhin als Einzelprojekte verfolgt und unter dem Dach von Polizei 2020 fortgeführt und dafür wurde im August 2018 ein Referat Polizeifachliche Datenverarbeitung realisiert. "Hierdurch können Synergien und fachliche Kompetenzen gebündelt und gegenläufige Projektentwicklungen ausgeschlossen werden."

Besonders kompliziert ist die Bezifferung solcher Personalkosten. So wurden bei der Bundespolizei und in Baden-Württemberg zum Beispiel eigene Referate, Dienststellen oder ähnliches gegründet. Manchmal werden Mitarbeiter der Polizei nur für einzelne Aufgaben herangezogen. In Schleswig-Holstein wird die "Arbeit am Programm Polizei 2020 sowie den Einzelprojekten PIAV und eFBS von verschiedenen Stellen gewährleistet; dies sind Mitarbeiter aus dem Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration, dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung, dem Landespolizeiamt, dem Landeskriminalamt und Dataport. Eine genaue Anzahl an Mitarbeitern zu nennen ist nicht zielführend, da sich beim Aufbau des Programms Polizei 2020 dynamisch personelle Veränderungen ergeben."

So hat die Bundespolizei "bisher im Kontext PIAV ca. 850.000 Euro an Sachmitteln aufgewendet, die teilweise durch den Inneren Sicherheitsfonds (ISF) kofinanziert wurden."

In Baden-Württemberg sind die Kosten von PIAV und eFBS "Bestandteil des regulären IT-Haushalts BW. Ein Teil der Kosten wird durch eine Förderung aus dem EU IT-Fond 'Innere Sicherheit' co-finanziert." Mitarbeiter werden "themenübergreifend" eigesetzt.

Niedersachsen "hat bislang aus EU-Fördermitteln und den Landesmitteln rund 2,3 Millionen Euro verausgabt."

In Sachsen betragen die "geschätzten Gesamtkosten von 'PIAV-SN' […] für den Zeitraum Dezember 2013 bis 2019 rund 9,6 Millionen Euro, davon rund 2,56 Millionen Euro haushaltswirksame Kosten. Über den Fond für die Innere Sicherheit der Europäischen Union konnte das Projekt mit bislang insgesamt rund 830.000 Euro kofinanziert werden. Bis 2020 werden sich die Gesamtkosten des Projektes auf ca. 11 Millionen Euro belaufen, davon 3,1 Millionen haushaltswirksame Kosten." Für das Projekt "PIAV-SN" sind "über die Projektlaufzeit durchschnittlich zehn bis 15 Bedienstete mit unterschiedlichen Zeit- und Arbeitsanteilen tätig."

In Mecklenburg-Vorpommern betragen die "Ausgaben für das Vorhaben PIAV […] für die Jahre 2015 - 2018 in MV 2.360,2 TEUR. Demgegenüber stehen Einnahmen in Höhe von 513,6 TEUR. Der Haushalt für 2020/2021 befindet sich aktuell noch in der Planung, weshalb zu den künftigen Ausgaben für Polizei 2020, PIAV und eFBS keine Aussage getroffen werden kann. Zukünftig soll außerdem eine übergreifende und dauerhafte Finanzierung von Anpassungen in Landessystemen über einen Polizei-IT-Fonds erfolgen."

In Berlin, so Creutz, wurden seit 2014 "etwa 80.000 Euro jährlich aus dem Berliner Haushalt für die Umsetzung von PIAV ausgegeben – ohne Personalkosten," und seit 2015 "etwa 200.000 Euro jährlich aus EU-Mitteln für die Umsetzung von PIAV – hiervon wurde ein Teil für Personal aufgewendet."

Was die Zukunft bringt (oder nimmt), ist derzeit nicht klar: "Die Fragen der Finanzierung von Polizei 2020 werden aktuell zwischen Bund und Ländern abgestimmt", so die Stabsstelle des Baden-Württembergischen LKA. Einen Rahmen zur Orientation liefert Sachsen: Die sächsische Polizei wird sich voraussichtlich "finanziell am Bundesprogramm Polizei.2020 gemäß des modifizierten Königsteiner Schlüssels beteiligen."

Anfang Juli 2019 hat "Polizei 2020" beim BKA einen neuen Leiter bekommen. Bis Ende Juni wurden unter dem damaligen Programmleiter Andreas Lezgus Strategie und Vorgehensmodelle erarbeitet. Am 1. Juli übernahm Holger Gadorosi, der die Projekte operativ umsetzen und strategisch weiterentwickeln soll.

Zwar würde heute wohl niemand mehr behaupten, dass "Polizei 2020" auch 2020 verwirklicht werden könnte. Aber: "Das ist ein ambitionierter Arbeitstitel. Man könnte eher sagen, 2020 geht es wirklich los, und 2030 werden realistischerweise alle wichtigen polizeilichen Anwendungen über Polizei 2020 verfügbar sein", sagt Auke Creutz. Und das werde denn auch funktionieren. Denn: "Der politische Wille ist da, das Geld ist da und man geht aus IT-Sicht vernünftig vor, indem man nicht mit dem letzten System anfängt, sondern mit den Quellsystemen."

Laut einem Whitepaper des BMI zu "Polizei 2020" ist "Stärkung des Datenschutzes durch Technik" eines der drei Kernziele des Programms Polizei 2020.

Schon grundsätzlich scheint dies ein heikles Unterfangen zu sein. Der damalige Innenminister Thomas de Maizière hat sich vor der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zur Neustrukturierung des BKA-Gesetzes am 27. April 2017 im Deutschen Bundestag sehr für "Polizei 2020" ausgesprochen; gleichzeitig kann man leise Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes heraushören: "Seit einem Jahr ist mein Haus damit beschäftigt, die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor fast genau einem Jahr, am 20. April 2016, verkündet wurde, zu ziehen und die Anforderungen aus der europäischen Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich umzusetzen."

In seiner Rede vor der BKA-Herbsttagung 2016 war er noch etwas deutlicher: "Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum BKA-Gesetz seine Rechtsprechung zum Datenschutz und zur Zweckbindung weiterentwickelt – eine Entscheidung, die wir voll umsetzen und auf die gesamte IT des BKA anwenden werden. Worum geht es dabei? Im Mittelpunkt steht der sprachlich etwas sperrige Grundsatz der "hypothetischen Datenneuerhebung". Es hat eine Weile gedauert, bis ich das meiner amerikanischen Kollegin Loretta Lynch verständlich erläutern konnte. Dabei geht es im Kern darum, dass die Eingriffstiefe der jeweiligen Datenerhebungsmaßnahme, z.B. eine Telekommunikationsüberwachung, bei der weiteren Verwendung der Daten streng beachtet wird. Herr Vizepräsident Kirchhof ist morgen hier und wird Ihnen dieses Prinzip bei Bedarf im Einzelnen erläutern. Wie immer man zu dem Urteil steht." Man kann aus de Maizières Aussagen eine gewisse Distanz gegenüber einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes heraushören, und zwar gegenüber dessen Forderung nach verbessertem Datenschutz. Was sagt es über ein Ministerium aus, wenn der oberste Chef, wohlgemerkt ein Jurist, so spricht?

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Eine neue BKA-Abteilung soll Hasspostings zentral erfassen. Die Behörde fordert dazu eine erweiterte Vorratsdatenspeicherung und ein geändertes NetzDG.

Risiko Daten selbst: "Eine möglichst hohe Datenqualität ist dabei nicht nur ein Gebot des Datenschutzes, sondern auch die Grundlage effektiver Polizeiarbeit. Ein übergreifendes Informationssystem ermöglicht es, personen- und ereignisbezogene Daten phänomenübergreifend zusammenzuführen, um so Zusammenhänge besser zu erkennen und die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen." So das BKA, und es ist sicherlich korrekt. Aber diese Zusammenführung wird natürlich auch Unschuldige ins Blickfeld rücken, und wie wird mit solchen falsch positiven Treffern umgegangen?

Risiko Cloud: Das BKA baut eine Cloud als Polizei Service Plattform für das Programm "Polizei 2020 auf". Laut BKA wurden erste "Beispielimplementierungen […] bereits auf die Plattform überführt. Die Plattform selbst ist im Polizeinetz verfügbar, eine Reihe von Teilnehmern des Programms "Polizei 2020" hat Zugriff auf den Entwicklungsbereich der Plattform und unternimmt erste Schritte zur Nutzung. Aktuell laufen die Planungen, welche Funktionalitäten polizeilicher Fachanwendungen sukzessive auf die Plattform transformiert werden können. Querschnittservices (fachliche, technische Services und Services für die Entwicklung) befinden sich im Aufbau. So sollen Test- und Produktionsbereiche schrittweise vervollständigt werden." Ohne Cloud wird´s nicht gehen, aber mit wie sicher wird diese sein?

Risiko andere Behörden: Bei "Polizei 2020", PIAV und eFBS wird auch mit ausländischen Polizeibehörden zusammengearbeitet, so das BKA: "In Bezug auf "Polizei 2020" und damit zusammenhängende IT-Projekte gibt es einen Austausch zu best practices in der Transformation polizeilicher IT-Architekturen unter anderem mit den Niederlanden, Dänemark, Australien und Kanada." Dies ist unverfänglich. Und einerseits ist eine internationale Zusammenarbeit hilfreich, sogar notwendig, wenn es um Prävention und Bekämpfung von Verbrechen geht. Andererseits erhöht die internationale Zusammenarbeit auch das Risiko, dass auf dem "kleinen Dienstweg" mehr Daten ausgetauscht werden, als im Sinne der Justiz erwünscht sind. (bme)