Missing Link: Überwacht die Überwacher, oder: Klagen gegen den Präventionsstaat
Seite 2: Wer kontrollliert die Ăśberwacher?
Ein weiterer Grund für den endlosen Strom von Klagen: Der staatlichen Aufsicht über die Überwachung wird wenig Vertrauen entgegengebracht. Die schwächelnde Überwachung der Überwacher wurde, so befand auch die Europäische Agentur für Grundrechte (FRA), nur unzulänglich renoviert. Der NSA-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament hatte die FRA damit beauftragt, Europas Geheimdiensten nachzuspüren. Im zweiten Bericht zu den Geheimdiensten der 28 Mitgliedsstaaten_blank resümiert die FRA, die Aufsichtsmaßnahmen in den EU-Mitgliedsstaaten blieben verbesserungswürdig. Mit Blick auf die Änderungen der Aufsicht in Deutschland notieren die EU-Beamten, dass ein Mehr an Aufsichtsbehörden nicht zwangsläufig zu einer verbesserten Aufsicht führen muss. Vielmehr kann Fragmentierung die Folge sein.
Auf diesen Effekt verwies auch die Humanistischen Union (HU), die selbst mehrere Verfassungsklagen gegen Ăśberwachungsgesetze initiiert hat, in einer beiĂźenden Kritik einer vom Bundesinnenministerium veranstalteten Fachkonferenz zum "Recht der Nachrichtendienste". Auch wenn eine bessere Ausstattung zugesagt wurde, seien die Neuerungen im Bereich der Geheimdienstkontrolle in mancher Hinsicht geradezu "dysfunktional", schreiben der HU-Vorsitzende, Sven LĂĽders, und der Rechtswissenschaftler Hartmut Aden.
Einschränkungen der Aufsicht
In der Praxis hatten die oppositionellen Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) bereits nach der Aufarbeitung des Amri-Falles kritisiert, dass der eigens benannte "Superbeauftragte" für die Geheimdienstkontrolle "die parlamentarischen Kontrolleure eher entmachte als stärke, da die Tatsachenermittlung und die Sichtung der Unterlagen weitgehend aus dem PKGr ausgelagert werde."
Der Versuch der G10-Kommission, per Klage den BND dazu zu zwingen, den Aufsehern Einblick in die Selektorenlisten zu gewähren, nach denen der deutsche Geheimdienst von ihm belauschte Datenverkehre für die NSA durchforstet, ist 2016 in Karlsruhe gescheitert. Der Grund: die G10-Kommission sei kein Verfassungsorgan und daher nicht zur Organklage berechtigt. Die Verfassungsrichter hatten wenig später auch gleich die Klage von Grünen und Linken aus dem NSA-Untersuchungsausschusses abgewiesen, die ebenfalls auf ihr Aufsichtsrecht pochen und sehen wollte, wen der BND für die USA ausspioniert hatte. Wie die mangelhafte rechtsstaatliche Überwachung der Dienste angesichts solcher Einschränkungen der Aufsicht zu leisten ist, bleibt ein ziemliches Rätsel.
Von Staatstrojanern und echten VerfassungsschĂĽtzern
Mangelhafte Aufsicht bei erheblich ausgeweiteten Befugnissen der Überwachung kann bei technisch weitreichenden Eingriffen wie den in mehr und mehr Gesetze eingeschleusten Staatstrojanern ins Auge gehen. Gleich fünf Klägergruppen haben das Verfassungsgericht gegen das staatliche Hacking angerufen. Neben dem Verein Digital Courage klagen die GFF, die FDP und auch der Bundesverband IT-Sicherheit Teletrust (Az. 2 BvR 897/18). Die Klage von Teletrust hätte insbesondere der Staatstrojaner-Nutzer BKA gerne verhindert. Für Teletrust ist der durch die Trojaner-Regelung vorprogrammierte Einkauf von Schwachstellen kontraproduktiv für die ohnehin bedrohte Sicherheit von IT-Systemen.
Noch mehr Trojaner-Klagen dürfte das Jahr 2020 bringen, wenn weitere Beschwerden gegen die neuen Landespolizeigesetze (Polizeiaufgabengesetze, PAG) verhandelt werden. Schon anhängig, aber noch nicht auf der aktuellen Vorausschau in Karlsruhe sind die Einsprüche von GFF/Bündnis NoPaG und den Bundestagsfraktionen der Grünen, der FDP und der Linken gegen das Bayerische Polizeiaufgabengesetz.
Gegen das unter Grüner Regentschaft verabschiedete Baden-Württembergische Polizeigesetz samt Trojaner müssen andere ran: Hier klagt die GFF mit dem Chaos Computer Club Stuttgart, der Providergenossenschaft ISPeg, dem Versandhandel Zündstoff und weiteren Klägern. Digital Courage bereitet laut Auskunft von Sprecherin Rena Tangens aktuell die Klage gegen das PAG in NRW vor.
Statt Klagen: Bessere Gesetze
Ein Allheilmittel sind all die vielen Klagen dabei nicht, warnt Tangens. "Wir wollen, dass auf parlamentarischem Wege die richtigen Entscheidungen getroffen werden", sagt sie. Dass in den letzten Jahren Gesetze oft einfach mal so per "Versuch und Irrtum" beschlossen worden seien, mit dem Hintergedanken "mal schauen, ob sich jemand die Arbeit macht und eine Verfassungsbeschwerde einreicht", sei ein Unding, urteilt Tangens. Und es macht den Nichtregierungsorganisationen und Dauerklägern viel Arbeit. GFF, HU, Digital Courage und andere Dauerkläger wie der Pirat Patrick Breyer verdienen angesichts der Entwicklung das Prädikat "Verfassungsschützer" wohl eher als die so benannten Behörden.
Nur für einen weiteren Übergriff des Staates hagelte es in Karlsruhe so viele Einzelklagen wie für den Staatstrojaner: die (man muss schon fast sagen: gute alte) Vorratsdatenspeicherung (VDS). Der eigentlich schon vom EuGH erledigte Zombie erhebt immer wieder sein Haupt. Fünf Klagen (1 BvR 2683/16, 1 BvR 141/16, 1BvR 229/16,1 BvR 2023/16, 1 BvR 2821/16) gegen die nach dem ersten Klatscher aus Karlsruhe 2010 novellierte Regelung wird das Verfassungsgericht dieses Jahr erledigen. Die VDS ist auch die Norm, die es insgesamt in Europa auf die meisten Verfahren bringt. Quer durch Europa beschäftigt die umstrittene Datensammelei für den Staat die Gerichte.