Missing Link: Weimar 1919 - Meine Herren und Damen!

Seite 2: Sogenannte Frauenthemen und das Netzwerk weißer alter Männer

Inhaltsverzeichnis

Das Netzwerk der weißen alten Männer, wie es heute heißen würde, bestimmte, was die richtigen Frauenthemen waren. Die ersten Politikerinnen durften über "das Soziale" reden, über Mutterschutz, die Stellung nichtehelicher Kinder oder die Rechte verheirateter Frauen, aber nicht über Außenpolitik oder gar militärische Fragen wie später über den Bau des Panzerkreuzers A. Annie get your Gun war in Deutschland nicht angesagt.

Aber es gab Veränderungen. Über die Parteigrenzen hinweg stimmten die Frauen für Artikel 119 der Weimarer Verfassung: "Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung beider Geschlechter. /.../ Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge." Auch Artikel 121 verrät die weibliche Handschrift: "Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern." Ein Passus, der auch hundert Jahre später nicht an Bedeutung verloren hat.

In der Weimaraner Verfassung wurde auch erstmals das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis festgelegt. Und im Zuge aktueller Debatten sei auch Artikel 115 erwähnt, der da lautete: "Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich." Dazu dichtete Bertolt Brecht in seinem Gedichtzyklus zur Weimarer Verfassung sarkastisch:

Auch für einen Deutschen gibt es freie Stätten
Denn die sind in unserem Sklavendasein unersetzlich
Unersetzlich.
Wenn wir eine Wohnung hätten
Wäre diese Wohnung unverletzlich
Unverletzlich.

Da wir leider keine Wohnung kriegen
Sind uns Kellerloch und Brückenborgen unersetzlich
Unersetzlich.
Wenn wir aber auf der Straße liegen
Sind wir dann natürlich auch verletzlich
Verletzlich.

Unabhängig von dem gewaltigen Fortschritt in Verfassungsfragen wurde die Gleichberechtigung anno 1919 nur auf dem Papier vorbildlich praktiziert. Noch das offizielle Foto der Frauen von Weimar wurde von Männern im Hintergrund überwacht.

Zur Nationalversammlung bekamen alle Frauen zusammen ein eigenes Frauenzimmer spendiert, zum Aufenthalt in den Parlamentspausen. Hier wurde Kaffee und Kuchen serviert, während sich die Herren in Wirtsstuben und Bierkellern trafen und "Hinterzimmer-Absprachen" austüfteln konnten.

Von dieser wichtigen Form der politischen Kommunikation ausgeschlossen, war es für Frauen wie die Sexualreformerin Helene Stöcker klar, dass eigene parteiübergreifende Netzwerke gebildet werden müssen. 1919 ist sie zusammen mit Anita Augspurg Mitgründerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, später den "Bund der Kriegsdienstgegner".

Frauen bei der Wahl am 19. Januar 1919

(Bild: "Weimarer Republik", Elefanten Press 1977)

Auf ihre dadaistische Weise reagiert auch die Künstlerin Hanna Höch auf den Politik-Betrieb des Jahres 1919. Sie nahm das berühmte Badehosen-Foto des noch nicht vereidigten Reichspräsidenten Friedrich Ebert und seines Reichswehrministers Gustav Noske, ergänzt es um die Vasenol-Werbung für Fußpuder gegen die Stinkstiefel und rief in dieser im Oktober 1919 zur Schau gestellten Collage zur echten Wahl einer "Deutschen Frauen-Nationalversammlung" auf. Im kleingedruckten die Forderung: "Schrankenlose Freiheit für Hanna Höch".

Die erste deutsche Demokratie existierte 14 Jahre. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Frauen aus der Politik gedrängt. Die Herrenrasse duldete keine selbstbewussten Frauen.

Viele Weimarer Politikerinnen kamen auf die Fahndungslisten und mussten fliehen, etwa Anita Auspurg und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann. Augspurg hatte gleich nach der ersten großen Rede Hitlers in München seine Ausweisung als unerwünschten Ausländer gefordert. Andere begingen Selbstmord, etwa die SPD-Politikerin Minna Bollmann. Politikerinnen wie Marie Zettler von der Bayerischen Volkspartei wurden von der Gestapo überwacht und mussten ihre meist publizistische Arbeit einstellen.

Wieder andere arrangierten sich mit den neuen Machthabern, wenngleich unter Vorbehalten, wie der Fall von Gertrud Bäumer von der Deutschen Demokratischen Partei zeigt. Sie gab weiterhin eine Frauenzeitschrift heraus, musste aber die Aufnahme nationalsozialistischer Inhalte dulden. Erinnert werden muss auch an Frauen wie die SPD-Politikerin Johanna Tesch, die sich im Widerstand gegen Hitler engagierten und im Konzentrationslager starben. (jk)