Mit Homeoffice auf Campingplatz gegen den Fachkräftemangel

Fast jeder Unternehmer klagt, wie schwer es ist, Mitarbeiter zu finden. Firmen müssen findig sein, eine gute Bezahlung reicht heute nicht mehr aus.

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(Bild: Shutterstock/Andrey_Popov)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Elmar Stephan
  • dpa
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Markus Heger klappt seinen Laptop auf und blickt nach oben. Ein Schwarm Wildgänse fliegt über ihn hinweg. Heger, Projektleiter bei einer Wallenhorster IT-Firma, ist bei der Arbeit – und sitzt zugleich vor einem Camper auf einem Campingplatz im Kreis Osnabrück. Das Wohnmobil gehört seinem Chef. Der hat es angeschafft, um seine Firma attraktiver zu machen – für Bewerber. Dazu gehört, Mitarbeitern mobiles Arbeiten auf dem Campingplatz zu ermöglichen.

Fachkräftemangel

Seine Firma gebe es seit 30 Jahren, sagt Inhaber Dieter Klages. Es sei noch nie so schwer gewesen wie jetzt, Nachwuchskräfte zu finden, berichtet der 65-Jährige. "Wir bekommen gar nichts, Null. Und dann überlegt man schon, ob man die Branche verlässt oder was anderes macht." Auch gestandene Mitarbeiter wolle er in der Firma halten. Bei einem Spaziergang an der Nordsee sei ihm dann die Idee gekommen, mit der Möglichkeit zu werben, für kurze Zeit auch auf dem Campingplatz arbeiten zu können – in der Natur, weitab vom hektischen Büro.

Ein befreundeter Unternehmer besorgte ihm ein Wohnmobil. Inzwischen macht Klages mit der Möglichkeit, auf dem Campingplatz zu arbeiten, Werbung für sein Unternehmen. "Wir haben auf einmal 50 Bewerber und wissen gar nicht, wohin damit", sagt Klages.

Lydia Malin vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln erstaunt die Anwerbeaktion von Klages nicht. Grundsätzlich müssten Unternehmen heute angesichts des Fachkräftemangels kreativ sein, um Nachwuchspersonal zu bekommen. Und die IT-Branche sei in dieser Hinsicht seit langem sehr kreativ gewesen. "Die Corona-Krise hat gerade in der IT-Branche zu einer steigenden Nachfrage geführt, weil viele Unternehmen jetzt digitalisieren wollen."

Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass Mitarbeiter nicht unbedingt in der Firma anwesend sein müssen, um ihre Arbeit zu machen. Das gelte auch für Weiterbildungsangebote, die sich auch im Homeoffice wahrnehmen lassen. Es sei damit zu rechnen, dass es diese Angebote weiterhin geben werde. "E-Learning-Angebote, die man entwickelt hat, legt man ja nicht einfach wieder in die Schublade."

Vom Fachkräftemangel sind alle Branchen betroffen. Nach einer KOFA-Studie waren 2019 in Niedersachsen im Jahresdurchschnitt 80,5 Prozent aller Stellen für qualifizierte Fachkräfte in Engpassberufen ausgeschrieben. Mit 66,8 Prozent seien es in Bremen deutlich weniger gewesen, in Hannover waren es 71 Prozent. Angespannt war es im Arbeitsagenturbezirk Nordhorn, wo ganze 92 Prozent aller Stellen in Berufen ausgeschrieben wurden, bei denen es Fachkräftemangel gab. Nordhorn zählte damit zu den Regionen, die auch bundesweit 2019 am stärksten von Fachkräfteengpässen betroffen waren. Gesucht werden dort Berufe aus der Bau-, Elektro- und Schiffbautechnik. Auch in den Bezirken Vechta und Osnabrück war der Mangel sehr groß.

Alle Branchen müssten umdenken bei der Gewinnung von Nachwuchs- und Fachkräften, alte Strategien zögen nicht mehr, sagt Malin. "In der Industrie beispielsweise wurde viel über hohe Löhne gemacht, schon in der Ausbildung." Gute Bezahlung allein sei aber nicht mehr das Ausschlaggebende. "Gerade bei der jungen Generation spielt die Flexibilität sowohl in den Arbeitsstunden, wann ich arbeite, als auch der Arbeitsort eine große Rolle", hat die Expertin beobachtet.

Also müssen die Arbeitgeber immer kreativer werden. "Wir haben heute in einigen Berufen so starke Engpässe, dass wir da tatsächlich einen Arbeitnehmermarkt haben, das heißt, der Arbeitnehmer kann sich aussuchen, für wen er arbeitet." Das gehe hin bis zu sogenannten Guerilla-Recruitings, wo sich Firmen gegenseitig durch Überbietung oder luxuriöse Spezialangebote die Fachkräfte abwerben, sagt Malin.

Er möchte, dass seine Mitarbeiter im Homeoffice auf dem Campingplatz zur Ruhe und zu sich kommen – und damit kreative Ideen für die Arbeit schöpfen. Die Familie solle allerdings nicht mitkommen, das würde zu sehr ablenken, sagt Klages. Sein Mitarbeiter Heger ist zufrieden: Es sei ein ruhiger, ländlicher Campingplatz. "In der Natur ist es schön, da ist auch die Arbeitsatmosphäre eine andere."

(bme)