Mit Westerwelle gruscheln und der "Kanzlerin" zwitschern

Die Obama-Kampagne hat den Erwartungsdruck auf den Einsatz des Internets im deutschen "Superwahljahr" deutlich erhöht, doch Strategen der großen Parteien halten die US-Ansätze nur teils auf Deutschland übertragbar. Manche Fakes fallen aber gar nicht auf.

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Am 27. September sind rund 62,2 Millionen Deutsche aufgerufen, den 17. Deutschen Bundestag zu wählen

Die erfolgreiche Wahlkampagne von Barack Obama hat den Erwartungsdruck auf den Einsatz des Internets im deutschen "Superwahljahr" deutlich erhöht. Gewünscht würden auch hierzulande eine größere Öffnung der Parteien und mehr Mitmachmöglichkeiten, wusste der Bundesgeschäftsführer der FDP, Hans-Jürgen Beerfeltz, auf dem Medientreffpunkt Mitteldeutschland in Leipzig zu berichten. "Die Leute wollen keine Propaganda mehr von oben, sie haben lackierte Sprüche satt." Sie würden sich auch hierzulande stärker über das Internet und andere direkte Dialogangebote informieren.

Die Liberalen rühmen sich ganz in diesem Sinne, mit dem sozialen Netzwerk "mit mach"-Arena und seinen 20.000 Nutzern eine der größten virtuellen Gemeinschaften in der Parteilandschaft hierzulande aufgebaut zu haben. Zudem habe man schon 2005 und somit weit vor Obama die vor allem für parteiinterne Diskussionen eingerichtete Webseite my.fdp gestartet, betonte Thomas Scheffler aus dem Wahlkampfteam der Freidemokraten. Dazu kämen "ungewöhnliche Formate" wie die an eine Comedy-Show erinnernde Videoserie "Fricke & Solms" von zwei FDP-Finanzexperten. Diese komme vielleicht teils "etwas hölzern rüber", heitere aber den politischen Alltag der Protagonisten auf. Zudem könne man seit Kurzem mit Parteichef Guido Westerwelle "bei StudiVZ gruscheln". "Hardcore-Unterstützern" stünde es letztlich offen, sich auf einer Testimonal-Seite als "Selbstdenker" mit Gesicht und Statement für die FDP zu positionieren.

Obwohl es bei den Liberalen im Online-Wahlkampf keineswegs bierernst zugeht, will Scheffler von einer reinen "Bespaßungsplattform" Internet aber nichts wissen. Vielmehr solle die Kampagne in die Offline-Welt "verlängert" werden. Auch Andreas Schulze betonte als Online-Stratege der Grünen, dass mit dem "Eintritt in die grüne Erlebniswelt" übers Netz letztlich eine "Offline-Tätigkeit" am 27. September bei der Bundestagswahl erreicht werden solle. Den größten Vorteil des Internets sieht er darin, dass es den "organisatorischen Rückstand der kleinen Parteien gegenüber der großen verkürzt". So könne man etwa in einem Wiki Plakatentwürfe ablegen oder gemeinsam eine Konkurrenzbeobachtung machen. Facebook erlaube es zudem der Parteispitze um Renate Künast und Jürgen Trittin, mit ihren Status-Updates "1.200 Freunde" auf einmal zu erreichen. Dabei würden die Chefs selbst ihre Kurzbotschaften aussenden, nicht PR-Helfer im Hintergrund.

Auch laut Charly Lehnert, der als freier Berater der Linken gerade für Oskar Lafontaine die Webseite oskar-waehlen.de aufgesetzt hat, führt kein Weg an der Nutzung der vom Internet gebotenen Techniken vorbei. Man dürfe dort aber "keine Spielwiesen und Schwatzbuden aufmachen". Das Menschliche gehe vor das Virtuelle. Einem "guten Schiff mit einem guten Kapitän" könne Werbung im Netz und offline aber "Wind in die Segel blasen".

Die bislang in einer Koalition gebundenen und bundesweit größten Parteien wollen da im Internet nicht abseits stehen. Die Obama-Kampagne, die sich dank nutzergenerierter Inhalte wie den Clips des "Obama-Girls" zu einer Art Selbstläufer entwickelte und übers Web Millionen Spendengelder einsammelte, sei aber "nur in Ansätzen überhaupt auf Deutschland übertragbar", meint Harald Walter aus der Bundesgeschäftsstelle der CDU. Seine Partei nutze ihre Community-Seite teAM 2009 daher nur als "Startrampe". Von dort aus würden die Kampagnenmitstreiter mit Parteipositionen ausgerüstet und dann zu Facebook, StudiVZ oder Blogs "rausgeschickt", um in die dortigen Diskussionen einzugreifen. Die eigene Plattform sei deshalb sogar "bewusst unattraktiv" gehalten.

Das Online-Screening der Christdemokraten hat bisher aber noch nicht dazu geführt, dass Walter auf das Twitter-Konto "Bundeskanzlerin" aufmerksam geworden ist. Die vermeintliche Angela Merkel, die sich in zwei schon etwas angestaubten Updates etwa für Drogentipps interessiert, "habe ich bisher nicht auf dem Schirm gehabt", räumte der Marketingexperte ein. Bei derlei Geschichten werde er aber grantig. So kündigte Walter auch an, nach dem Hack des Twitter-Kontos der CDU am Wochenende Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten.

Für die SPD erklärte Thomas Bosch salomonisch: "Man kann die Wahl im Internet nicht gewinnen, aber vielleicht verlieren." Am Anfang habe das Netz der Information und Organisation gedient, jetzt wolle man mit Hilfe von Twitter, YouTube, sozialen Gemeinschaften und der Plattform Wahlkampf 09 die Anhänger auch "mobilisieren". So weit wie in den USA würden die Beteiligungsmöglichkeiten für interessierte Nutzer ohne Parteibuch aber noch nicht gehen: "Wenn man draußen Wahlkampf machen will, geht das nur über die Kandidaten und Netzwerke vor Ort." Da müsse man "in den klassischen Parteistrukturen angedockt" sein. Insgesamt sei ein "unfassbar spannender und lebendiger Wahlkampf" zu erwarten, blickt der grüne Kampagnenleiter Rudi Hoogvliet ironisch auf die kommenden Monate. Zumindest, wenn alle nicht nur von Dialog und Partizipation reden würden.

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)