Mobile Arbeit: Optimierungsbedarf und zusätzliche freie Tage als Ersatz

Unternehmen haben Homeoffice nur teilweise im Griff, zeigen Studien. Gerecht ist es auch nicht, wenn die einen von zu Hause aus arbeiten dürfen, andere nicht.

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(Bild: Anikin Stanislav/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Am 27. Januar 2020 wurde der erste Coronafall in Deutschland bekannt. Ein Mitarbeiter eines Automobilzulieferers aus Bayern hatte sich infiziert. Wenige Wochen später verhängte die Bundesregierung den ersten Lockdown. In diese Zeit fielen Verhandlungen der IG Metall mit Cso, heute Cariad, dem Softwareunternehmen des VW-Konzerns mit aktuell rund 5.500 Mitarbeitenden. Die Verhandlungen von Seiten der Gewerkschaft führte die IG Metall Bayern, weil Cso seinen Sitz in Ingolstadt hatte. Ein Jahr und einen Tag nach dem ersten Ausbruch von Corona verkündete die Gewerkschaft den Abschluss des Tarifvertrags 'für Mobilität und Arbeit von morgen'. Neben einem kompetenzbasierten Entgeltsystem regelt der Tarifvertrag selbstbestimmte Arbeitszeiten und die Beschäftigten haben das Recht auf mobile Arbeit erhalten. Das war ein Meilenstein für die mobile Arbeit von IT-Beschäftigten.

Bosch hat bereits 2014 konzernweit mobiles Arbeiten in einer Betriebsvereinbarung ermöglicht. Aufgrund der Erfahrungen und Entwicklungen damit während der Pandemie wurde 2021 die Betriebsvereinbarung 'Smart Work' beschlossen. Damit stehen die Ergebnisse im Mittelpunkt und nicht die Präsenz vor Ort. Deshalb gilt bei mobil Arbeitenden bei Bosch für die Wahl ihres Arbeitsortes keine Anzahl an festen Tagen im Betrieb oder im Homeoffice. Sie haben somit freie Arbeitsplatzwahl – selbstverständlich im Einklang mit ihren Aufgaben.

Thomas Hesmer, 52 Jahre und Ingenieur, ist seit sechs Jahren bei Bosch. Er leitet ein weltweites Team, das als interner Dienstleister anderen Bosch Abteilungen Technologie- und Geschäftsberatung anbietet. Beispiel: ein Bosch-Team misst einen Raum digital in seinen Dimensionen und kommt auf die Idee, daraus ein Geschäftsmodell etwa für Installateure abzuleiten. "Wir beraten dann die Kollegen bei der technischen Umsetzung ihrer Idee, der Planung eines Geschäftsmodells und dem Bau eines Prototypen", sagt Hesmer.

Sein Team arbeitet mobil. Die meisten von unterschiedlichen Standorten in Deutschland aus, andere in Bulgarien, Shanghai und Singapur. "Die virtuelle Zusammenarbeit funktioniert über Landesgrenzen und Zeitzonen hinweg gut. Einzig bei der Technik ist hin und wieder etwas Luft nach oben", sagt Hesmer. In einer Videokonferenz mit drei Beteiligten, von denen zwei zu Hause sind, könne die Übertragung bei großen Datenmengen schon mal stocken. Die Vorteile von Homeoffice: seine Mitarbeitende verlieren keine Zeit auf dem Arbeitsweg undkönnen daheim effizienter, weil konzentrierter arbeiten. Weil jedoch der zufällige Austausch unter den Kollegen und Kolleginnen fehlte, hat die Gruppe entschieden, feste Teamtage einzuführen. Gruppenmitglieder, die an ähnlichen Themen arbeiten, treffen sich an zwei festen Tagen im Büro. So gelingt der so wichtigen Ad-hoc-Austausch. Das sind die zufälligen Begegnungen am Kaffeeautomaten, bei dem gefachsimpelt oder persönliches geredet wird, was für den Teamgeist gut ist. Ob diese beiden Tage reichen, sei schwer zu sagen. Die Zeit wird es zeigen. Wenn sich die Teammitglieder vor Ort im Büro treffen – ob nun in Deutschland, Bulgarien oder Asien – dann ist der Austausch bewusster. Vor Corona war er eher zufällig.

Die Pandemie ist inzwischen vorbei, Arbeit hat wieder ihren Alltag – und der ist anders als zuvor. "Es wird inzwischen viel öfters im Homeoffice gearbeitet, als zuvor", sagt Stefan Rief, Institutsdirektor und Leiter des Forschungsbereichs Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, IAO. Er beobachtet, dass ganz häufig hybride Arbeitsmodelle genutzt werden: 2 Tage im Büro, drei Tage im Homeoffice. "Hybride Arbeitsmodelle sind inzwischen die häufigste Form der mobilen Zusammenarbeit in Unternehmen", sagt Rief. Sie bietet viel Freiraum für Flexibilität.

Viele Unternehmen meinen, hybride Arbeitsformen im Griff zu haben. "Dem ist nicht so, wie wir an Studienergebnissen sehen", sagt Rief. Wir würden erst am Anfang dieser Thematik stehen. Bei den einen Mitarbeitenden im Homeoffice sinkt die Bindung zum Unternehmen, bei anderen steigt sie. Die einen fühlen sich besser informiert, andere schlechter. "Die Unternehmen sollten genau hinschauen, an welcher Stelle nachgesteuert werden muss und wo nicht", sagt Rief.

Positiv am hybriden Arbeiten sei, das Leben auch positiv gestalten zu können. Beschäftigte mit der Möglichkeit auf Homeoffice haben beispielweise einen persönlichen Zeitgewinn, weil berufliches Pendeln wegfällt. Das Problem der schlechten Information lasse sich durch feste Tage im Büro lösen, an dem sich alle Teammitglieder treffen. Viele Firmen denken dabei in Wochentagen. "Besser wäre ein Projektdenken", sagt Rief. Denn in Projekten gibt es unterschiedliche Phasen mit größerer oder geringer Notwendigkeit für persönliche Zusammentreffen derTeammitglieder. Rief hält es auch für angebracht, Daten über zufällige Begegnungen zu erheben, um sie bei Bedarf optimieren zu können. Dies dem Zufall zu überlassen, sei keine so gute Idee.

Eine möglichst weit gefasste Arbeitszeitautonomie der Beschäftigten schon, meint Sophie Jänicke, Gewerkschaftssekretärin in der Tarifabteilung beim Vorstand der IG Metall mit dem Schwerpunkt Arbeitszeit. "Diese sehr frei und autonom gestalteten Arbeitszeiten müssen aber erfasst werden", sagt Jänicke. Arbeitszeiterfassung hält sie deshalb für sehr wichtig, weil bei mobiler Arbeit die Gefahr besteht, dass die Arbeit ausufert. Wenn die Bedingungen klar sind, wer vom Homeoffice aus arbeiten darf und wieviel, dann sind die Erfahrungen aller Beteiligten beim mobilen Arbeiten gut, so Jänicke. Organisationen brauchen Regeln.

Gewerkschaften geht es um Gerechtigkeit. Wie sich die erreichen lässt, wenn die einen Beschäftigten von zu Hause aus arbeiten dürfen, andere dagegen nicht, darauf hat die IG Metall noch keine Antwort gefunden. "Wir sind mit unseren Überlegungen noch nicht fertig", sagt Jänicke. Eventuell seien zusätzliche freie Tage eine Lösung für die Mitarbeitenden, die ihre Arbeit nicht vom Homeoffice aus erledigen können. Irgendeine Lösung würde gebraucht, um kein Empfinden für Ungerechtigkeit aufkommen zu lassen. Denn das schadet dem Betriebsklima.

(emw)