Mobilfunk und VoIP-Telefonie bedrohen das Festnetz

Immer mehr Firmen und Privatkunden verzichten zugunsten von Handy und IP-Telefonen auf ihren Festnetzanschluss.

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Das gute alte Festnetz-Telefon wird von immer mehr Firmen und Privatkunden durch Handy oder Voice-over-IP-Fernsprecher ersetzt. Dies zumindest will das britische Marktforschungsunternehmen MORI im Rahmen einer von Nokia in Auftrag gegebenen Studie herausgefunden haben. Demnach sollen bereits 45 Millionen Kunden in Deutschland, GroĂźbritannien, SĂĽdkorea und den USA ihre FestnetzanschlĂĽsse abgemeldet haben und ausschlieĂźlich das Handy nutzen. Weitere planen der Studie zufolge den Umstieg in ein bis zwei Jahren. Darunter seien viele junge Leute und Besitzer eines eigenen Breitband-Zugangs zum Internet. In SĂĽdkorea wollten 65 Prozent der Befragten bei einem Wohnungswechsel kein Festnetz mehr beantragen.

Die MORI-Analysten sehen darin eine voranschreitende Evolution, die bislang durch die höheren Verbindungspreise für Mobilgespräche gebremst wird. So gaben 69 Prozent der befragten britischen Festnetz-Kunden die niedrigeren Kosten als Hauptgrund dafür an, das alte Telefon zu behalten. In Deutschland und den USA gilt dagegen die höhere Zuverlässigkeit des Festnetzes als wichtiger Grund, einen Festnetzanschluss zu behalten. Doch sehen viele der Teilnehmer mobile Telefondienste als zukunftsweisend an. Je günstiger und zuverlässiger der Mobilfunk werde, desto weniger Festnetzverträge dürften sich verkaufen lassen.

Anders als Privatkunden setzen Firmen schon heute vermehrt auf Voice-over-IP-Angebote. So wechseln groĂźe Unternehmen wie Ford oder die Bank of America ihre Telefonanlagen nicht nur aus, sondern rĂĽsten im selben Schritt gleich auf VoIP-Anlagen um. Davon profitieren groĂźe Telefonausstatter wie Avaya und mehr noch Netzwerkspezialisten wie Cisco. Dominierten bislang Festnetz-Zulieferer wie Lucent und Nortel Networks den Hardware-Telefoniemarkt, liefern sich jetzt nach Angaben von Synergy-Research-Analysten Avaya und Cisco ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Marktanteile. So fĂĽhrt demnach Avaya zurzeit mit 23,9 Prozent um 0,6 Prozentpunkte vor Cisco.

Wendy Bohling vom Avaya-Firmenkundenzweig sieht als Grund für die Entwicklung auch das Jahr-2000-Problem (Y2K). Damals wechselten viele Unternehmen ihre alten Anlagen aus, vor allem große Router, die für ein simples Update zu alt waren. Zu diesem Zeitpunkt krankte die VoIP-Telefonie an zu langsamen Internetverbindungen, die unter anderem für die damals schlechte Qualität der IP-basierten Sprachdienste verantwortlich waren. So nutzten VoIP um die Jahrtausend-Wende nur einige technikbegeisterte Privatleute, hauptsächlich Amateurfunker.

Nach der Y2K-Umrüstung und Verbesserungen bei der VoIP-Qualität konnten viele Großunternehmen ihre IP-Infrastruktur für den günstigeren Sprachdienst nutzen. So stiegen die Erlöse aus dem Verkauf von VoIP-Ausstattungen nach Angaben der Synergy Research Group im ersten Halbjahr 2004 um stolze 61 Prozent. Cisco freut sich beispielsweise über ein Geschäft mit der Bank of America. Diese hat begonnen, 5800 Bankfilialen mit 180.000 IP-Telefonen auszustatten. Ford bestellte 50.000 Geräte für seine 110 Geschäftsstellen in Michigan.

Privatanwender und kleinere Unternehmen werden derweil von den Mobilfunkanbietern hofiert. So bietet O2 seine Mobilfunkverträge schon lange mit einer Homezone an, mit der mobile Telefonate von Zuhause aus kaum teurer als Festnetzgespräche sind. Noch in diesem Herbst soll außerdem das surf@home-Angebot starten, das schnellen Internetzugang zu Festnetztarifen über das UMTS-Netz liefern soll und damit in Konkurrenz zu DSL-Angeboten tritt. Vodafone zielt mit seinen UMTS-Angeboten unter dem Namen Wireless Office mehr auf Unternehmen, die mit vorgefertigten Lösungen und besser kalkulierbaren Verträgen das Festnetz komplett einsparen können. Es wird wohl von der Preisgestaltung der Kommunikationsanbieter abhängen, ob das Festnetztelefon noch eine Zukunft hat. (rop)