Molekularbiologische Ernährungsmedizin kämpft gegen Rückschläge
Medikamente gegen Fettleibigkeit gelten als wichtiger Wachstumsmarkt. Doch die verfügbaren Mittel zeigen kaum nachhaltigen Nutzen. Und auch neue Hoffnungsträger fallen reihenweise durch, berichtet Technology Review.
Medikamente gegen Fettleibigkeit gelten als wichtiger Wachstumsmarkt. Doch die verfügbaren Mittel zeigen kaum nachhaltigen Nutzen. Auch neue Hoffnungsträger fallen reihenweise durch, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 12/07 (seit dem 22. November am Kiosk oder portokostenfrei online zu bestellen).
Der Analysedienst MedMarket Diligence beziffert die weltweiten Umsätze mit zugelassenen Schlankheitsmitteln derzeit auf 624 Millionen US-Dollar. Bis 2015 soll der Markt mit etwa 4,9 Milliarden US-Dollar achtmal so groß sein. Diese Schätzung lag ursprünglich sogar noch höher, wurde aber kürzlich nach einem empfindlichen Rückschlag bei Sanofi-Aventis nach unten korrigiert: Mitte Juni hatte ein Gutachtergremium der US-Zulassungsbehörde FDA einstimmig empfohlen, den erhofften Abspeck-Blockbuster Zimulti (in Europa als Acomplia bereits erhältlich) nicht zuzulassen – bei mehreren Studienteilnehmern traten Depressionen auf, zwei brachten sich sogar um. Anders als die FDA hatte die europäische Zulassungsbehörde EMEA keine großen Bedenken gegen Acomplia. Doch nach der Entscheidung der US-Behörde verschickte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Warnbriefe an die Ärzte: Sie sollen Acomplia nicht bei Patienten verschreiben, die an einer ausgeprägten Depression leiden oder schon Suizidgedanken hatten.
Zu hohes Gewicht erhöht laut Studien das Risiko für Bluthochdruck, Diabetes, Herzerkrankungen oder Schlaganfälle. Kein Wunder also, dass die Pharma-Industrie in Schlankmachern einen großen Zukunftsmarkt sieht. Doch die bisherigen Erfolge sind mäßig, und einiges spricht dafür, dass sich daran nicht viel ändern wird. Dabei ist für manche Leute – insbesondere selbst nicht von Übergewicht geplagte – alles ganz einfach: Wer weniger wiegen will, soll weniger Fett und Zucker zu sich nehmen und sich mehr bewegen. Doch wie mehrere große Studien bei fettleibigen Menschen mittlerweile gezeigt haben, funktioniert das nicht. Das Gleiche gilt zumindest für die ersten Versuche mit Schlankmachern wie Amgens "r-metHuLeptin", das über die künstliche Zufuhr des Sättigungshormons Leptin wirken sollte, über klinische Studien aber nie hinauskam.
"Obwohl Umweltfaktoren das Auftreten von Fettleibigkeit mit beeinflussen, sind die individuellen Gewichtsunterschiede größtenteils durch genetische Faktoren begründet", schreibt Jeffrey Friedman von der Rockefeller University in New York im Fachjournal "Nature Medicine". Friedman hatte im Jahr 1994 Leptin entdeckt und damit die Ära der molekularbiologischen Ernährungsmedizin eingeläutet. Angesichts der Komplexität des Steuersystems für Energiehaushalt und Gewicht im menschlichen Körper ist es nicht verwunderlich, wie bescheiden die bisherigen Erfolge mit Diät-Pillen und wie groß ihre Nebenwirkungen sind. Überwacht und gesteuert wird die Balance von Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch über hormonelle und neuronale Signale, die Informationen aus dem Magen-Darm-Trakt und dem Fettgewebe zum Gehirn leiten. Der Körper ist aber bestrebt, große Gewichtsverluste unter allen Umständen zu verhindern. Die vorläufige Bilanz des Leptin-Entdeckers ist ernüchternd: "Fettleibige kämpfen gegen mächtige evolutionäre Kräfte, die unter von unseren Umweltbedingungen grundlegend verschiedenen Umständen ausgeprägt wurden". (wst)