Netatmo kritisiert Matter scharf, Nanoleaf wirft Thread raus
Mit Netatmo kritisert eine prominente Marke den Smart-Home-Standard Matter. Auch andere Hersteller zweifeln am unausgereiften Thread-Funk.
Der Smart-Home-Standard Matter bleibt eine chaotische Baustelle. Mit Netatmo übt nun eine prominente Marke Kritik an dem Smart-Home-Standard. "Matter bietet derzeit keinen unmittelbaren Vorteil in unserem System", sagte Marc Chachereau, R&D Director bei Netatmo, gegenüber heise online. "Die Einführung eines zusätzlichen Protokolls verbessert das Produkt nicht von Natur aus und bringt auch keine sinnvollen neuen Anwendungsfälle mit sich – Netatmo-Produkte sind seit dem ersten Tag mit allen wichtigen Ökosystemen kompatibel."
Trotz starker Kritik am chaotisch gestarteten Smart-Home-Standard Matter will der Pionier Netatmo daran festhalten. "Wir geben Matter keinesfalls auf, sondern arbeiten aktiv an neuen Produkten", betont Marie Tranchimand, Sales & Marketing Director bei Netatmo, gegenüber heise online. Der Hersteller hatte zuvor bestätigt, die Arbeit an einem angekündigten Premieren-Produkt für Matter eingestellt zu haben: Der auf der IFA 2022 gezeigte Kontaktsensor von Netatmo mit Thread und Matter kommt nicht mehr auf den Markt.
Nanoleaf sortiert Thread aus
Abgesehen von schleppenden Fortschritten bei Matter ist Netatmo vom Funkprotokoll Thread enttäuscht. Es sollte Netatmo-Technik mit den Plattformen der Matter-Initiatoren Amazon, Apple, Google und Samsung koppeln. Thread-Funk gilt als eine Säule von Matter. Doch ob er sich durchsetzt, steht mehr denn je auf der Kippe. Das Protokoll steckt ebenfalls in den Anfängen, ist kaum verbreitet und erklärungsbedürftig.
Über Bord werfen will Netatmo Thread trotzdem nicht – im Gegensatz zu Nanoleaf, der Produkte mit Thread ausdrücklich aussortiert. Andere Hersteller wie Bosch und Aqara weiten ihr Matter-Sortiment mit Thread-Produkten zwar aus, bauen aber zusätzlich lieber noch den etablierten Funkstandard ZigBee ein.
Netatmo gehört zu den ersten Mitstreitern des 2022 vorgestellten Kommunikationsprotokolls Matter. Es soll die Einrichtung und Bedienung von Smart-Home-Produkten verschiedener Hersteller in übergreifenden Plattformen vereinheitlichen. Außer über WLAN oder den Umweg von (W)LAN-Gateways kommunizieren Matter-Komponenten mit dem IP-basierten, mesh-fähigen Thread.
Lesen Sie auch
Home und Siri: Apple schiebt Support für Saugroboter ins nächste Jahr
Matter: Neue Version 1.4 kombiniert Funknetze und hilft bei der Energiewende​
Anti-Matter: Warum ich von dem neuen Smart-Home-Standard erstmal genug habe
Zehn Jahre HomeKit: Wie sich Apples Smart-Home-Plattform entwickelt hat
Flic-Drehregler bekommt Matter – aber anders als gedacht
"Kundschaft wĂĽnscht sich nicht mehr"
In unbestimmter Zukunft könnte die Matter-Schnittstelle den Zugang zu Zusatzdiensten vereinheitlichen. Doch Priorität hat das nicht. "Ein großer Teil unserer Kundschaft wünscht sich nicht mehr als den Funktionsumfang der Netatmo-Apps", sagt Chachereau.
Im Zuge des vorübergehenden Rückzugs aus Matter stellt Netatmo auch das Thread-Protokoll infrage. Das Unternehmen will sich aber noch nicht festlegen, ob Thread eine Zukunft im Hersteller-Portfolio hat. Das Funkprotokoll funktioniert losgelöst von Matter, wird aber von den Triebfedern Google und Apple eng damit verknüpft. "Ohne Matter bringt Thread nichts. Perspektivisch ist die Funktechnik interessant. Doch aktuell ist ZigBee ausgereifter", meint Netatmos Produktentwicklungschef. ZigBee kommt bei Produkten zum Einsatz, die Netatmo für den Dachkonzern Legrand und dessen Partnermarken entwickelt.
Trotz der Kritik an Matter und Thread betont das Unternehmen, sich nicht vollständig zurückziehen zu wollen. Marie Tranchimand von Netatmo formuliert die Pläne des Unternehmens: "Wir engagieren uns weiterhin in Bezug auf Matter." In den Arbeitsgruppen der Zertifizierungsorganisation CSA, die die Standard-Spezifikationen erarbeiten, ist Netatmo weiterhin involviert. "Die Zukunft gehört Matter. Aber gegenwärtig ist der Standard noch nicht die perfekte Antwort auf das, was die Smart-Home-Welt braucht."
Vage Pläne
Wann und welche Produkte erscheinen könnten, will der Hersteller noch nicht öffentlich sagen, erklärt nur so viel: "Wir arbeiten grundsätzlich weiterhin an Matter-kompatiblen Produkten im Bereich Energiemanagement- und Sicherheitsanwendungen", sagt Marie Tranchimand. Netatmo ist für sehr lange Entwicklungszyklen bekannt. Ein im vergangenen Jahr erschienenes Smart Lock war drei Jahre zuvor zur CES 2020 angekündigt worden.
Mit dieser unverbindlichen Haltung erinnert Netatmo an den Matter-Ausstieg von Belkins Submarke Wemo. Im Frühjahr 2023 zog auch sie sich bereits vor dem Marktstart geplanter Geräte zurück. Angesichts einer Flut zu erwartender Matter-Produkte bezweifelte der Hersteller, mehr als die Konkurrenz bieten zu können. Doch ähnlich wie Netatmo beschwor Belkin die in Aussicht stehenden positiven Effekte von Matter für die Smart-Home-Welt und schloss eine Rückkehr in den Markt mit fertigen Matter-Produkten nicht aus. Bisher ist aber nichts passiert. Als Planungsgrundlage taugen solche Absichtserklärungen für die Smart-Home-Kundschaft jedenfalls nicht.
Nanoleaf von Thread enttäuscht, setzt auf Matter-over-WiFi
Im Unterschied zu Netatmo hat Lichtspezialist Nanoleaf bereits marktreife Matter-Produkte. Der Matter-Pionier teilt aber die Zweifel am Thread-Funk. Neue Leuchtmittel stattet er nicht mehr damit, sondern ausschlieĂźlich mit WLAN aus.
Annika Beck, Marketing Director EMEA bei Nanoleaf, bezeichnet Thread-Produkte in kommerzieller Hinsicht als "Enttäuschung". Im Vergleich zu WLAN-Produkten seien sie für Kaufinteressierte zu erklärungsbedürftig und an zu unbequeme Voraussetzungen geknüpft. Zudem harmonieren Thread-Zentralen verschiedener Hersteller bisher nicht. Neue Spezifikationen von Thread 1.4 für ein Vermaschen der Netze sind noch nicht in der Gerätefirmware angekommen. Und im Gegensatz zu WLAN-Produkten brauchen Geräte mit Thread auch dann eine Vermittlungsstelle zum Heimnetz, wenn man sie nicht über Matter steuert. Das war für die Nanoleaf-Kundschaft wohl zu unattraktiv.
Hybride Lösungsansätze von Bosch und Aqara
Aqara und Bosch zeigten auf der IFA 2024 Matter-Produkte, mit denen man die Vorteile von Thread nutzt, aber bei Bedarf auf einen anderen Verbindungsweg ausweicht. Aqaras neue Leuchtmittel sowie ein Heizkörperthermostat, ein Kontaktsensor und ein Stecker von Bosch funken außer mit Thread auch mit ZigBee. Um sie ausschließlich mit Thread auszustatten, dafür reicht der Vertrauensvorschuss der Hersteller dann wohl doch nicht.
Über ZigBee lassen sich die Geräte auf Wunsch weiterhin mit den Gateways der beiden Hersteller koppeln. Über die dazugehörigen Apps stehen umfangreichere Softwarefunktionen zur Auswahl als bei der direkten Kopplung mit einer Matter-Plattform. Das lässt die Wahl zwischen einem schlankeren Setup oder mehr Funktionsvielfalt, macht die Produkte aber auch wiederum komplexer und erklärungsbedürftiger.
Das ist symptomatisch für den derzeitigen Status von Matter. Einzelne Rückzüge von Herstellern wirken sich nicht spürbar auf die Geräteauswahl aus, die insgesamt wächst. Wegen vieler Verbindungsoptionen, unterschiedlicher Infrastruktur-Voraussetzungen und noch begrenztem sowie abweichendem Funktionsumfang der Matter-Plattformen macht der Standard die Planung eines Smart-Home-Setups derzeit aber komplizierter als einfacher.
In einer früheren Version der Meldung schrieben wir, Netatmo wolle sich von Matter verabschieden. Laut Netatmo handelte es sich dabei um ein Missverständnis. Man baue trotz der geäußerten Zweifel weiterhin auf den Smart-Home-Standard. Wir haben den Artikel entsprechend überarbeitet.
(dahe)