"20.000 Jahre Klimageschichte komprimiert in nur einem Meter Eis"

Eis aus der Antarktis soll Aufschluss über die Klimazyklen der Erde liefern. Forscher entwickeln dazu ein spezielles Analysegerät, um Gase zu extrahieren.

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Eiskernprobe.

Eiskernprobe.

(Bild: Universität Bern)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christian Elliott
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Florian Krauss trägt zwei Schichten Handschuhe, während er einen Würfel aus Eis in einen mit Gold überzogenen Zylinder schiebt, der im Licht eines Ziellasers rot vor sich hin leuchtet. Er tritt zurück und schaut auf die mit Kabeln und Messgeräten übersäte Maschine, die aus Polareis wichtige Klimadaten machen kann. Wäre dies ein echtes Stück wertvolles, Millionen Jahre altes Eis aus der Antarktis und nicht ein Testwürfel, käme im nächsten Schritt ein Extraktionsgefäß zum Einsatz, das ein Vakuumsiegel erzeugt. Dann wird der 150 Megawatt starke Hauptlaser eingeschaltet. Er sublimiert das Eis langsam und ohne Umwege zu Gas. Krauss, Doktorand in der Abteilung Klima- und Umweltphysik an der Uni Bern, könnte darüber dann erfahren, welche Konzentration von Treibhausgasen zu einem Zeitpunkt weit in der Vergangenheit gewesen war.

Um die Rolle des atmosphärischen Kohlendioxids in den Klimazyklen der Erde besser zu verstehen, greifen Wissenschaftler seit langem auf Eisbohrkerne zurück, die in der Antarktis entnommen wurden. Dort sammelten sich die Schneeschichten im Laufe von Hunderttausenden von Jahren an und verdichteten sich. Die damals herrschenden Luftverhältnisse werden dabei in einem Gitter aus kleinen Blasen eingeschlossen, die als winzige Zeitkapseln dienen. Durch die Analyse dieser Gasblasen und der anderen Bestandteile des Eises – etwa Staub und Wasserisotope – konnten die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen der Konzentration von Treibhausgasen und den Temperaturen vor 800.000 Jahren herstellen. Mittlerweile geht es noch deutlich weiter zurück.

Die europäische Initiative "Beyond EPICA", eine Abkürzung für "European Project for Ice Coring in Antarctica", gibt es schon seit drei Jahren. Ihr nächstes Ziel ist es, den bisher ältesten Eisbohrkern zu bergen, den es je gab: 1,5 Millionen Jahre soll er zurückreichen. Damit würde die Klimaaufzeichnung bis zum Übergang des mittleren Pleistozäns gehen, einer rätselhaften Periode, die eine große Veränderung in der Häufigkeit der Klimaschwankungen auf der Erde brachte – Zyklen von wiederkehrenden Eis- und Warmzeiten.

Die erfolgreiche Gewinnung eines so alten Eisbohrkerns, für das Jahre einkalkuliert werden, ist jedoch nur der einfache Teil. Als Nächstes müssen die Wissenschaftler in mühevoller Kleinarbeit die eingeschlossene Luft aus dem Eis befreien. Krauss und seine Kollegen entwickelten dafür eine innovative, neue Methode. "Wir interessieren uns nicht für das Eis selbst, sondern nur für die darin enthaltenen Luftproben, also mussten wir einen neuen Weg finden, Luft aus dem Eis zu extrahieren", sagt er.

Das schlichte Schmelzen ist dabei keine Option, da sich Kohlendioxid leicht in Wasser auflöst. Bisher haben die Wissenschaftler deshalb mechanische Extraktionsmethoden angewandt, bei denen sie Proben einzelner Eisschichten zerkleinert haben, um die Luft freizusetzen. Doch bei dem "Beyond EPICA"-Eisbohrkern, der bereits im Gefrierschrank der Uni Bern bei 50 Grad Celsius unter Null gelagert wird, wäre das Zerkleinern zu mühsam.

Das älteste Eis ganz unten im Kern dürfte nämlich derart komprimiert und die einzelnen Jahresschichten so dünn sein, dass keine Luftblasen mehr zu sehen sind – sie werden in das Gitter der Eiskristalle gepresst und bilden Clathrat-Einschlussverbindungen. "Ganz unten erwarten wir 20.000 Jahre der Klimageschichte komprimiert in nur einem Meter Eis", sagt Hubertus Fischer, Leiter der Forschungsgruppe in Bern, die sich um die Eisbohrkerne kümmert. Das ist ein Hundertstel der Dicke aller bestehenden Eiskernaufzeichnungen.

Die neue Methode, die Krauss und Fischer nun entwickelt haben, nennt sich deepSLice. Sie besteht aus zwei Teilen. Das Laser-induzierte Sublimations-Extraktionsgerät (LISE) füllt einen halben Raum im Labor des Teams. LISE richtet einen Nahinfrarotlaser kontinuierlich auf ein 10 Zentimeter großes Stück Eiskern, sodass es unter extrem niedrigem Druck und bei extrem niedrigen Temperaturen direkt von fest zu gasförmig wird. Das sublimierte Gas gefriert dann in sechs gekühlten Metall-Tauchrohren, die jeweils die Luft aus einem Zentimeter Eiskern enthalten. Sie sind auf -258 Grad Celsius heruntergekühlt.

Schließlich werden die Proben in ein speziell angefertigtes Absorptionsspektrometer auf der Grundlage der Quantenkaskadenlaser-Technologie gelegt, das Photonen durch die Gasprobe schießt, um die Konzentrationen von Kohlendioxid, Methan und Lachgas gleichzeitig zu messen. Ein weiterer großer Vorteil dieses Systems ist, dass es viel weniger Eis (und Arbeit) erfordert als die alte Analysemethode, bei der die Wissenschaftler Methan durch Schmelzen von Eis – das sich nicht in Wasser auflöst – und Kohlendioxid durch Zerkleinern von Eis maßen.

DeepSLice biete damit "eine einzigartige Fähigkeit, die niemand sonst hat", sagt Christo Buizert, ein Eisbohrkernwissenschaftler an der Universität von Oregon und Leiter Eisanalyse für COLDEX, dem US-amerikanische Pendant zu "Beyond EPICA", das sich derzeit in einem "freundschaftlichen Wettstreit" mit den Europäern befindet, um einen durchgehenden Kern mit bis zu 1,5 Millionen Jahre altem Eis zu finden.

"Die Sublimation von Eis ist eine der schwierigsten Methoden, um Gase aus dem Eis zu extrahieren", sagt Buizert. "Das versucht man schon lange." Es sei ein sehr vielversprechender Weg, weil man 100 Prozent der Gase herausbekommt. "Aber es ist sehr schwierig umzusetzen. Die Tatsache, dass sie es geschafft haben, ist also sehr beeindruckend." Krauss und Fischer haben allerdings noch etwa drei Jahre Zeit, bis sie die notwendige Probe in Händen halten, schätzen die Forscher.

Bis dahin gibt es noch einige Probleme zu lösen. Darunter ist die Frage, wie die Proben nach dem Spektrometerdurchgang für zusätzliche Analysen weiterverwendet werden können.

Das Berner Team glaubt, dass ihre Technik bereit sein wird, wenn der uralte Eisbohrkern schließlich in Gefrierbehältern auf einem Schiff aus der Antarktis über Italien nach Europa kommt. "Unsere letzten Ergebnisse haben uns gezeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir haben tatsächlich die Präzision erreicht, die wir uns gewünscht haben", sagt Krauss. "Ich bin mir sicher, dass das System bereit sein wird."

(jle)