Experten warnen: Möglicher Interessenkonflikt in Neuralink-Tierschutzgremium

Neuralink hat ein Gremium für Tierversuche möglicherweise mit Insidern besetzt. Untersuchungen zu Interessenkonflikten sind bereits angelaufen.

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(Bild: Shutterstock/Wit Olszewski)

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Das Komitee für Tierschutz in Elon Musks Neuralink ist Berichten zufolge möglicherweise mit Unternehmensinsidern besetzt gewesen. 19 der 22 Gremiums-Mitglieder seien bis Ende 2022 auch Angestellte von Neuralink gewesen. Das sei zum einen unüblich sowie unter gewissen Voraussetzungen verboten und könne andererseits zu Interessenkonflikten führen, da die Mitarbeiter des Unternehmens für Gehirnimplantate möglicherweise finanziell vom Fortschritt profitieren könnten, berichtet Reuters. Neuralink testet die Brain-Computer-Interfaces an Tieren und will sie später an Menschen erforschen.

Solche Tierschutzgremien sind durch ein US-Bundesgesetz vorgeschrieben, sobald an bestimmten Arten von Tieren experimentiert wird. Das Komitee für Tierschutz (Institutional Animal Care and Use Committee, IACUC) ist für die ethische Überprüfung und Einhaltung der Tierschutzbestimmungen in jeder Forschungseinrichtung, die in den USA Tierversuche durchführt, erforderlich. Das IACUC wird vom Verantwortlichen der jeweiligen Forschungseinrichtung benannt und berichtet direkt an den CEO über die Einhaltung der Vorschriften.

Die Zusammensetzung bei Neuralink werfe laut Tierforschungs- und Bioethikexperten jedoch Fragen zu möglichen Verstößen gegen die Vorschriften hinsichtlich Interessenkonflikten auf. Ende 2022 standen dem Bricht zufolge von 22 Mitgliedern des Gremiums zur Einhaltung der Schutzbestimmung von Tieren in der Forschung 19 auf der Gehaltsliste des Unternehmens. Den Vorsitz des Gremiums hatte den von Reuters eingesehen Unternehmensdokumente zufolge eine Führungskraft von Neuralink, die das Pflegeprogramm der Tiere leitet, inne – elf weitere Mitglieder seien direkt an der Tierpflege oder Forschung beteiligt gewesen.

Die Durchführung der Experimente mit Gehirnchips an Tieren ist für Neuralink von großer Bedeutung und Voraussetzung für die staatliche Genehmigung für Versuche am Menschen. Musk hat seine ursprünglichen Pläne – Menschen mit Lähmungen mithilfe eines Gehirnimplantats die Steuerung von Computern und so ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – mittlerweile ausgeweitet. Zukünftig soll das Brain-Computer-Interface "ein breites Spektrum an neurologischen Störungen behandeln und sensorische und motorische Funktionen wiederherstellen". Musk ist auch davon überzeugt, dass die Gehirne der Menschen in Zukunft leistungsfähiger werden müssen, damit der Mensch Künstlicher Intelligenz (KI) gewachsen ist und "mithalten" kann, zielt also zusätzlich auf neurologisch gesunde Menschen ab.

Mit einer Genehmigung für Experimente am Menschen – die bislang nicht vorliegt – würde der Wert des Unternehmens konsequenterweise steigen. Die Vergütungen einiger Neuralink-Angestellter setzen sich laut dem Bericht sowohl aus einem Gehalt als auch aus Aktienanteilen zusammen – das hätten auch Überprüfungen von Stellenanzeigen und Aussagen ehemaliger Mitarbeiter bestätigt. Aussagen von mit der Sache vertrauten Personen zufolge könnten leitende Angestellte bei entsprechender Genehmigung und damit einhergehender (besserer) Bewertung für Tests an Menschen mit ihren Anteilen Millionen verdienen. Auch Aktionäre von Neuralink würden satte Gewinne einfahren. Aktuell liegt die Bewertung bei über einer Milliarde US-Dollar.

Der Neurowissenschaftler und Arzt, Dr. Miguel Nicolelis, forscht bereits seit knapp drei Jahrzehnten an der Duke University zu Gehirnimplantaten. Die Mitglieder seines IACUC hätten nie eine Rolle bei der Forschung, den Tierversuchen oder der Tierpflege gespielt. Die Unabhängigkeit sei entscheidend für den Schutz der Integrität bei Tierversuchen, die sich auf künftige klinische Versuche beim Menschen auswirken könnten. Die Zusammensetzung des Neuralink-Gremiums stelle für ihn einen "offensichtlichen Interessenkonflikt" dar. Nicht unüblich sie, dass Unternehmen Tierversuche und deren Überwachung an Universitäten auslagern, um Interessenkonflikte zu vermeiden.

Neuralink sei ursprünglich von 2017 bis 2020 eine Partnerschaft zur Durchführung der Versuche an Tieren mit der University of California, Davis, eingegangen, berichtet Reuters weiter. Später habe Elon Musk die Verfahren der Universität als zu langsam und bürokratisch angesehen und trennte sich demzufolge im Streit wieder von der Universität. Ein Sprecher der UC-Davis erklärte gegenüber Reuters, dass 2019 ein Vorfall im Zusammenhang mit dem Wohlergehen von Tieren festgestellt wurde und eine Änderung an den Forschungsprotokollen anordnet worden sei. 2020 habe Neuralink die Forschung und Überwachung selbst übernommen. Die Universität habe von Neuralink insgesamt 1,9 Millionen US-Dollar erhalten.

Das US-Gesundheitsministerium, National Institutes of Health (NIH), einer der weltweit größten öffentlichen Geldgeber zur Unterstützung biomedizinischer Forschungen, habe sich selbst in der Vergangenheit zu Förderungszwecken an Neuralink gewandt. Musk habe allerdings die "öffentliche Aufsicht" vermeiden wollen und abgelehnt. Das NIH verbietet IACUC-Mitgliedern, die ein Einkommen oder Aktien von einem Forschungssponsor beziehen.

Das US-Landwirtschaftsministerium (United States Department of Agriculture, USDA) ist die federführende Behörde zur Durchsetzung von Tierschutzvorschriften. Ehemalige USDA-Mitarbeiter hätten die Durchsetzung der Vorschriften für Interessenkonflikte aber als lax bezeichnet. Die USDA-Vorschriften verbieten IACUC-Mitgliedern, sich an der "Überprüfung oder Genehmigung einer Aktivität zu beteiligen, bei der das Mitglied einen Interessenkonflikt hat". Allerdings seien diese Vorschriften nicht eindeutig definiert und die Behörde würde in dem Zusammenhang nur selten Konflikte feststellen – außer ein IACUC-Mitglied stimme für die Genehmigung eines bestimmten Versuchs, den es als Angestellter eines Unternehmens auch direkt leitet.

Interessenkonflikte (die auch Neuralink vorgeworfen werden) des IACUC seien auch bei Tierversuchen an Universitäten, Forschungsinstituten und in vielen Unternehmen in der Regel verboten oder würden vermieden. Die Aufsichtsabteilung des USDA (Office of Inspector General), die einen möglichen Verstoß gegen den Tierschutz untersucht, untersuche darüber hinaus angeblich auch die schlampige Durchsetzung des US-Tierschutzgesetzes durch die eigene Behörde, zusammen mit dem Justizministerium.

Die Zusammensetzung des IACUC-Gremiums von Neuralink könne sich Reuters zufolge nach 2022 geändert haben. Weder Elon Musk noch Neuralink habe auf Anfragen reagiert.

(bme)